LUNCHBOX

PÖNIs: (4/5)

„LUNCHBOX“ von Ritesh Batra (B + R; Indien/Fr/D 2012; K: Michael Simmonds; M: Max Richter; 105 Minuten; Start D: 21.11.2013); man nennt sie die DABBAWALAS von Mumbai, und sie sind aus dem Straßenbild dieser Millionenmetropole gar nicht wegzudenken. Mit ihrem speziellen Lieferservice. Für die täglichen Mittagslunchpakete, die Frauen am Vormittag für ihre berufstätigen Gatten frisch zubereiten. Und DIE dann um die Mittagszeit pünktlich wie „ordentlich“ zugestellt werden. Obwohl die etwa 5000 Dabbawalas zumeist Analphabeten sind, kommen Fehler bei der Zustellung inmitten des gigantischen Verkehrs in diesem Großstadtmoloch so gut wie nie vor. Diese Essenskuriere sind wahre Meister in der Erfüllung ihrer Fahr- und Zustell-Pflichten. Das ist der Ausgangspunkt für eine der schönsten Debüt-Entdeckungen des Kino-Jahres.

Ist man aus Indien filmisch vorwiegend ein buntes Treiben mit (sehr) viel flottem Singsang und tänzerischer Akrobatik gewohnt, ist hier alles und ganz wunderschön anders: „Lunch Box“ ist ein feines, mehr leises Wohlfühl-Movie inmitten einer brodelnden Menschenmassenbewegung. In dem wir auf zwei verwandte Seelen blicken, die DAS aber – noch – nicht wissen. Können. Bis dieses unglaubliche, zufällige Versehen passiert: Eine Lunchbox landet eines schönen Mittags beim falschen Adressaten. Beim introvertierten Großraum-Buchhalter und Witwer Saajan (IRRFAHN KHAN/der Polizei-Inspektor aus „Slumdog Millionär“). Ihn erreichen die Nahrungsköstlichkeiten von Ila (NIMRAT KAUR). Einer in ihrer Ehe längst frustrierten Ehefrau, die mit ihren raffinierten Speisen ihrem Mann wie ihrer Ehe zu „neuer emotionaler Würze“ verhelfen möchte. Ein Zustellirrtum mit erstaunlichen Folgen. Von wegen – irgendwie sind in diesem gigantischen indischen Großstadtpulk zwei Seelen aufeinander getroffen, die nicht fremdeln, sondern zueinander „passen“. Fortan bestimmen „Lunch-Briefe“ die mittägliche Tagesordnung, in denen sich behutsam auch immer mehr Persönliches mitteilt. Der märchenhafte Zufall und seine sagenhaft leisen, lächelnd einfachen Schicksals- und Glücksmomente. Dabei völlig kitschresistent. Motto: „Manchmal fährt der falsche Zug halt in den richtigen Bahnhof“.

„Lunchbox“ ist ein berührender Film, der Seele streift. Diese sanft streichelt. Ohne große Erklärungsbemühungen. Mit sensiblen stillen Spannungsmotiven. Um diese kleinen, bedeutungstiefen Gesten des Alltags. Schauen, staunen, entdecken. Fühlen. Zulassen. Mit zugleich faszinierend einfließenden Impressionen aus Mumbai. Wo der einzelne Mensch in der Masse unterzugehen scheint. Individualität aussortiert ist. Denkste, breitet Drehbuch-Autor und Regisseur Ritesh Batra süffisant aus: Lässt Assoziationen charmevoll sprühen, die dann zu karmareichen Gefühlswallungen führen. Der Beteiligten. Blicke, Montagen, Töne, Gesten um die sich verändernden Wahrnehmungen. Empfindungen. Am Bürotisch ebenso wie in der „Küche“. Im „Gesamten“. Äußerlich, in den „kommentierenden“ Requisiten, ebenso wie in der freudigen Diskretion der immer offener, tiefer werdenden inneren Korrespondenz. Verständigung. Auf „leckere“ altmodische Weise. Zwischen Zweien, die sich eigentlich nie über den Lebensweg hätten laufen können. Und die bei dem pedantischen Bürokraten Saajan auch gegenüber seinem Lehrling, einem Vollwaisen, der um seinen „väterlichen“ Respekt buhlt, für eine menschliche Kehrtwendung sorgt. Hin zur offenen Wertschätzung. Des und der Anderen. Um ihn herum. Seelenbaustellen werden hier unangestrengt aufgetan. Angegangen. In die verblüffende wie angenehm sorgfältige Reparatur geschickt. Ohne dabei heldenhaftes Rührzeugs dominant zu benutzen. Mit blöden Bewegungen oder falschem Zungenschlag. Bolly- wie Hollywood sind hier ganz weit weg. Bei dieser ganz feinen Hymne an den herrlichen Geschmack der Zuneigung.

Das charmante „Arthouse-Kino“ bietet zum Jahresende mit dem schon im Frühjahr, beim Festival in Cannes sehr wohlwollend aufgenommenen Film (Publikumspreis), ein prickelndes, liebevoll unterhaltsames Großvergnügen an (= 4 PÖNIs).

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