LIFE OF PI: SCHIFFBRUCH MIT TIGER

PÖNIs: (5/5)

„LIFE OF PI: SCHIFFBRUCH MIT TIGER“ von Ang Lee (Co-Pr + R; USA 2011/2012; B: David Magee; K: Claudio Miranda; M: Mychael Danna; 125 Minuten; deutscher Kino-Start: 27.12.2012); ER ist der derzeit erfolgreichste lebende Filmregisseur, der am 23. Oktober 1954 in Taiwan geborene und seit 1978 in den USA lebende Ang Lee. Der mit seinen Filmwerken wie „Das Hochzeitsbankett“ (1993), „Eat Drink Man Woman“ (1994), „Sinn und Sinnlichkeit“ (1995), „Der Eissturm“ (1999), „Tiger and Dragon“ (2000), „Brokeback Mountain“ (2005) und zuletzt „Taking Woodstock“ (2009) viele bedeutende internationale Filmpreise gewonnen hat (2 x „Oscar“; 2 x „Goldener Berlinale Bär“; 2 x „Goldener Löwe“ von Venedig). Dabei adaptierte Ang Lee für seine Filmauswahl zumeist literarische Stoffe, von Jane Austen („Sinn und Sinnlichkeit“), über Daniel Woodrell („Wer mit dem Teufel reitet“/1999), Rick Moody („Der Eissturm“) oder Du Lu Wang („Tiger & Dragon“). Oder Biographisches („Taking Woodstock“) oder sogar Kurzgeschichten (wie beispielsweise die von Annie Proulx/“Brokeback Mountain“). Für seinen neuesten Film steht ein Ausnahme-Roman Pate: „Life of Pi“. 2001 wurde der dritte Roman des damals 38-jährigen kanadischen Schriftstellers YANN MARTEL veröffentlicht. Im Jahr darauf erhielt er den britischen Roman-“Oscar“, den „Booker Prize“; 2003 erschien der Roman hierzulande unter dem Titel „Schiffbruch mit Tiger“. Mit über weltweit 7 Millionen verkauften Exemplaren avancierte das Buch zum Bestseller. Dessen Verfilmung aber für „unmöglich“ gehalten wurde. Nach vielen „Anläufen“, bei denen u.a. M. Night Shyamalan („The Sixth Sense“), Alfonso Cuarón („Harry Potter und der Gefangene von Askaban“) und Jean-Pierre Jeunet („Die fabelhafte Welt der Amelie“) beteiligt waren, übernahm schließlich Ang Lee die Aufgabe, die Geschichte zweier ungewöhnlicher „Partner“ in einem Rettungsboot zu erzählen und vor allem – adäquat zu visualisieren. In „passendem“, also funktionierendem 3D.

Sein Name klingt exotisch: Piscine Molitor Patel. Nach einer Pariser Schwimmanstalt. Die sein Großvater so mochte. Nach vielen Hänseleien nennt er sich fortan Pi. Pi wächst als jüngster Sohn eines Zoo-Besitzers in den siebziger Jahren im indischen Pondicherry auf. Inmitten eines exotischen Gartens, mit vielen verschiedenen Tieren und ganz eigenen Ansichten über den eigenen Glauben, sprich die unterschiedlichen Religionen und die menschliche, also animalische Natur. Besonders ein Tiger namens „Richard Parker“ hat es ihm angetan. Als es im Land zunehmend politisch unruhiger wird, beschließt die Familie nach Kanada auszuwandern. Mit einigen Tieren, die sich hier nicht veräußern lassen und dann dort verkauft werden sollen. Auf dem japanischen Frachter Zimzum wird eingecheckt. Als der unterwegs, mitten in der Nacht, in einen fürchterlichen Sturm gerät und sinkt, landet Pi in einem Rettungsboot. Zusammen mit einem verletzten Zebra, einem seekranken Orang-Utan, einer hungrigen Hyäne und – „Richard Parker“. Der sich unter die Plane geflüchtet hat. Das Abenteuer kann beginnen. Dauer: 227 Tage.

Wo anfangen? Hitchcock kommt in den Sinn. Beim Stichwort Boot. Rettungsboot. 1943 spielte sein Film „Lifeboat/Das Rettungsboot“ vollständig auf solch einem kleinen Kahn auf dem Meer, bekam drei „Oscar“-Nominierungen (darunter „Beste Regie“), und im Lexikon „Film im Fernsehen“ heißt es dazu: „Kammerspielartiger, dramatischer Film um Fragen von Menschlichkeit und Toleranz in Extremsituationen“. Ähnlich hier. Enge, Aufruhr, seelische wie körperliche, die unterschiedlichen Bewegungen, Strömungen, die Stimmungen um Angst, Überlebenswillen, Hoffnung. Und wieder Angst. Und Resignation. Im Wissen um Endlichkeit. Dies auf solch „überschaubarem“ Raum „durchweg“, also dauer-spannend, optisch opulent, vor allem plausibel, schlüssig wie unglaublich dauer-faszinierend filmisch zu komponieren, gelingt hier. Überzeugend. Grandios! Als bewegendes Drama, als atemberaubender Thriller, als spirituelles Ereignis, als meditatives Vergnügen, als fabel-hafte Magie um Schöpfung, Sein und „Robinson“-Existenz. Mit sagenhaften Bildern, grandiosen Motiven und einem riesigen Ideen-Reichtum an Nerven-Suspense und märchenhaft-perfektem, (fast) nicht zu bemerkendem Trickreichtum. Mit anderen Worten: „SO ETWAS“ gab es in der Kinematographie bisher noch nicht: in dieser epischen, überwältigenden, sensiblen wie intelligenten, hochemotionalen Augenschmaus-Fülle: Wenn Fische fliegen, ein Wal „durchsichtig“ wird, ein Quallenschwarm leuchtet, eine Insel komplett aus Erdmännchen besteht und nachts nach Menschen- und Tierfleisch giert. Oder – diese tobende See voller „tobender“ Raubfische.

Die 3D-Effekte des Teams um den Spezialisten und „Oscar“-Preisträger BILL WESTENHOFER („Der goldene Kompass“) sind permanent verblüffend. Die Bilder des Kamera-Experten CLAUDIO MIRANDA („Der seltsame Fall des Benjamin Button“) geraten gedankenvoll atmosphärisch. Dabei stets ohne Selbstzweck und „Eigenleben“, sondern sich intensiv-farbenprächtig wie zauberhaft ausdrückend. In diesen aufwühlenden „Wasser“-Kosmos sich überwältigend einfügend. Was sich Autor DAVID MAGEE („Oscar“-Nominierung für sein Drehbuch zum Peter Pan-Movie „Wenn Träume fliegen lernen“) und Regisseur ANG LEE an triumphierender Inspiration und abenteuerlicher Aufregung wie kribbelnder Gelassenheit haben einfallen lassen, ist avatarisch brillant. Voller „komischer“, brutaler, gefühlvoller, verblüffender Dauerüberraschungen. Begleitet vom einfühlsamen wie unaufdringlichen Score des kanadischen Komponisten und mehrfachen „Genie Awards“-Gewinners (= kanadische „Oscars“) MYCHAEL DANNA, der seit „Der Eissturm“ zu Ang Lees „Filmfamilie“ zählt. Und hier imponierend zwischen asiatischer Pop-Folklore und westlichen Symphonien lust- wie stimmungsvoll orchestral mit philosophiert. „Life of Pi“ ist auch musikalisch ein epischer Volltreffer.

Sein Name gilt fortan: SURAJ SHARMA. Der Junge aus dem Boot. Pi. 17 Jahre. Bisher völlig unbekannt. Sohn eines Mathematikers. Lebte mit seinen Eltern in mittelständischen Vororten von Delhi. Keinerlei vorherige Schauspielerfahrung. DIE lebhafte Entdeckung. Denn ER trägt komplett glaubhaft den Film. Mit einem Tiger als einzigem „Stichwortgeber“. Auf einem kleinen Boot. Suraj Sharma fügt sich in das Natur-Ensemble aus Wasser und Tier körperstark ein. Ähnlich wie sein „Gegenüber“ Richard Parker. Als seekranke, wütende, verstörte, „verständnisvolle“ Raubkatze. Was für ein Team! IRRFAN KHAN, bekannt aus „Slumdog Millionär“, interpretiert den älteren Pi. Als Kommentator dieser unglaublichen Geschichte. DIE dann auch in einer „anderen Version“ (gegenüber japanischen Staatsbeamten) letztlich formuliert wird. Welche dabei die „bessere“ ist, bedarf keiner Frage. Übrigens – ILJA RICHTER, der auch die deutsche Hörbuchfassung von „Schiffbruch mit Tiger“ interpretiert, synchronisiert adäquat den weise erzählenden, kommentierenden erwachsenen Ex-Abenteurer Pi. Mit vorzüglichem stimmlichen Einfühlungsvermögen.

Was für ein betörendes, Sinne und Kopf wunderbar klug wie herrlich emotional füllendes Kino-Ereignis. „Life of Pi: Schiffbruch mit Tiger“ ist auf phantastischem „Oscar 2013“-Kurs (= 5 PÖNIs).

P.S.: Aus einer aktuellen Kalender-Notiz = Der Tiger ist die größte Raubkatze der Welt – und er hat zurzeit mit riesengroßen Problemen zu kämpfen. In den vergangenen 150 Jahren hat der Tiger nämlich etwa 93 Prozent seines ursprünglichen Lebensraumes verloren. 40 Prozent davon wurden allein in den letzten zehn Jahren zerstört. Wenn es so rasant weitergeht, dann herrscht bereits Alarmstufe dunkelrot. In Sachen totaler Ausrottung.

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