„LIEBE AUF DEN ZWEITEN BLICK“ von Joel Hopkins (B+R; USA/GB 2007/2008; K: John de Borman; M: Dickon Hinchliffe; 93 Minuten; Start D: 16.04.2009); das ist der 2. Kinofilm (nach „Jump Tomorrow“/2001/???) des hierzulande gänzlich unbekannten britischen Drehbuch-Autoren und Regisseurs, der 1988 sein Film-Studium an der „New York University“ beendete. Seine Diplomarbeit, der Kurzfilm „Jorge“, bekam zahlreiche Preise.
Der New Yorker Harvey Shine ist Komponist von Werbe-Jingles. Mit Karriere-Knick. Harvey ist nicht nur in die Jahre, sondern auch aus der Mode gekommen. Nahezu unmerklich hat ihn „The Next Generation“ überholt. Harvey ist geschieden, gestreßt, ziemlich ausgelaugt. Und muß zu allem Überfluß nun auch zu seiner (einzigen) Tochter nach London. Denn diese, Susan, heiratet. Und hat nun auch noch beschlossen, daß nicht er, der Papa, sie zum Traualtar führen soll, sondern Stiefvater Brian (JAMES BROLIN). Tief gekränkt eilt Harvey zum Flughafen zurück, will abhauen, doch sein Flugzeug ist bereits weg. An der Flughafen-Bar trifft der frustrierte Harvey auf Kate. Die Londonerin „im besten Alter“ arbeitet hier als Statistik-Frau, führt Umfragen durch. Kate „blättert“ auch so vor sich hin, schwankend zwischen grauem Job, einer ziemlich nervenden Mama Zuhause wie am Handy und wenig erbaulich abgelaufenen Verkupplungsversuchen ihrer Freundin. Eher widerwillig läßt sie sich auf eine Plauderei mit Harvey ein. Man wetteifert darüber, wer den übelsten Abend hinter sich hat. Dabei siegt Harvey eindeutig nach Punkten: Vom Stiefvater ausgestochen, auf der Hochzeit seiner Tochter fünftes Rad am Wagen, Heimflug verpaßt, telefonisch gefeuert. Als Jazzmusiker wie offensichtlich nun auch als Werbe-Jingler endgültig gescheitert. Kate kann da „nicht mithalten“. Begleitet Harvey und ist „angepikst“ von seinem hatnäckigen Charme, von seinem lakonischen Slapstick-Humor. Die freundlich-abgeklärte Single-Frau beginnt zu lächeln. Beginnt, seine Aufmerksamkeit „zur Kenntnis zu nehmen“. Die zwischenmenschliche CHEMIE strömt behutsam, aber unaufdringlich. Kate begleitet Harvey zurück zur Hochzeit.
„Last Chance Harvey“, so der Originaltitel, ist ein Film für eine NEUE-alte Kino-Zielgruppe: Für DIE „über 40“. Von der die Statistiken besagen, daß sie derzeit am meisten Konsumgeld besitzen, aber das Kino bisher davon kaum partizipierte. Weil es einfach an geeigneten Themen-Filmen mangelte. Hier aber ist nun endlich einmal „ein solcher“, und was für einer. Einer, der sich nicht mehr mit diesen albern-amourösen Kindereien von pubertären Fratzen-Gestalten abgibt, sondern der sich mit sogenannten „reifen Menschen“ ausstattet, die für „romantische Mätzchen“ eigentlich keine Nerven mehr besitzen, die aber – mit ganz feinem Understatement und herrlich staubtrockenem, selbstironischem Humor – köstlich herumzubalzen beginnen. Dabei wird beinahe jeder Satz zu einem kleinen, feinen, also SEHR unterhaltsamen Pointen-Feuerwerk. Zwei der GANZ GROßEN Darsteller sorgen dafür, daß diese An-Sich-08/15-Banal-Love-Story SO prächtig funktioniert: Der zweifache „Oscar“-Preisträger DUSTIN HOFFMAN („Kramer gegen Kramer“; „Rain Man“) und die zweifache „Oscar“-Preisträgerin EMMA THOMPSON (sowohl als Schauspielerin/“Wiedersehen in Howard´s End“ wie auch als Drehbuch-Autorin für „Sinn und Sinnlichkeit“). ER ist inzwischen 71 und sieht aus und wirkt wie „um die 50“; SIE wird an diesem Mittwoch (15. April) 50 und sieht auch „ohne Boxtox“ einfach klasse aus. Wenn diese überreifen Semester loslegen, benötigen sie nicht sehr viel und vor allem nicht viele Worte: In Körpersprache, kleinsten Bewegungen, Berührungen, Gesten sind sie charmant-ausdrucksstark, amüsant, lächelnd-zauberhaft. Versinken nicht in düstere Alters-Melancholie, sondern strahlen ungeahnte Zuversicht und Prima-Herzenswärme aus, ohne daß es peinlich, dämlich, albern wird bzw. wirkt. DIE könnten uns auch aus dem Telefonbuch die Seiten vorlesen und es wäre spannend, atmosphärisch, kribbelnd.
Der Herbst des Gefühlslebens als zweiter Frühling, hey, das ist hier tatsächlich hinreißend, liebenswert und voll positiver Energie. In einem geradezu provozierend-regenfreien, fast mediterranen London. Das man SO noch nie gesehen hat, als 2. Charming-Paris, ohne die „obligatorischen Sehenswürdigkeiten“ und Postkarten-Ansichten wie Tower, Big Ben & Co., sondern inmitten einer bislang (jedenfalls auf der Leinwand) unbekannten, aber sehr atmosphärischen südlichen Themse-Umgebung (Paddington Station; Southbank Center…..). Ich empfehle, den Film in der originalen Sprache (mit Untertiteln) zu genießen. Denn dieses geradezu musikalische Wechselspiel zwischen dem Genäsel des lockeren Amis Harvey und Kates exakt artikuliertem, leicht gouvernantenhaften Britisch bleibt dadurch angenehm-unverfälschter. „Liebe auf den zweiten Blick“ oder: Ein schönes Seufzer-Movie (= 4 PÖNIs).