IN ZEITEN DES ABNEHMENDEN LICHTS

PÖNIs: (4,5/5)

„IN ZEITEN DES ABNEHMENDEN LICHTS“ von Matti Geschonneck (D 2016; B: Wolfgang Kohlhaase; nach dem gleichn. Roman von Eugen Ruge /2011; K: Hannes Hubach; 101 Minuten; deutscher Kino-Start: 01.06.2017); selten, jedenfalls in letzten Zeiten, einen neuen deutschen Kinospielfilm so gebannt und fasziniert einverleibt. Für mich, als ehemaliger WEST-Berliner, der immer neugierig war auf das, „was nebenan“ passierte und der sich oft beim östlichen Nachbarn herumtrieb von wegen der dort lebenden „Rest“-Familie und von wegen neuer DEFA-Spielfilme im Kino. Und hier kommt „davon“, also von so vielem Ex-Gefühltem, wieder eine Menge gedanklich wie atmosphärisch hoch.

Ost-Berlin: Wir schreiben den 1. Oktober 1989. Standort: in einem grauen Vorort-Haus. Hier feiert der Rote Patriarch Wilhelm Powileit (BRUNO GANZ), hochdekoriertes SED-Parteimitglied. Er begeht seinen 90. Geburtstag. Er, der 1952 aus dem mexikanischen Exil zurückkehrte, um die DDR mit-aufzubauen, und der es nicht versäumt, darauf hinzuweisen, dass ja einst der Genosse Stalin deshalb starb, weil er vergiftet wurde, was seine Ehefrau Charlotte (HILDEGARD SCHMAHL) auch gerade an ihm versuche, ist der Kälteste Überlebenskrieger, den man sich vorstellen kann. „Ich sage, was ich sage“, knarrt es aus ihm heraus. Wilhelm, der verdiente wie ebenso verbitterte und bisweilen demente und/oder einfach „schelmische?“-Veteran. In diesem alten Haus mit diesem alten Mittelpunkt-Tyrannen herrscht eine entsetzliche, fassadenhafte Retro-Stimmung. Viele lächeln eisig. Und wir begreifen: Wilhelm, der Erich Honecker des Hauses, inmitten der zerfallenden, abgewirtschafteten Deutschen Demokratischen Republik. Den Tisch, auf dem das Büffet stehen wird, repariert er, dies lässt er sich nicht nehmen, schließlich war Wilhelm auch mal Handwerker, und dieser Ausziehtisch, „gebaut unter den Nazis, repariert durch den Kommunismus“, funktioniert dann auch eine kleine Weile, bevor er zünftig zusammenkracht. In der Zeitung ist über Wilhelm Powileit zu lesen: „ein Leben für die Arbeiterklasse“.

„DDR“-Emotionen als Drill: Gäste erscheinen. Mit obligatorischen Blumen („auf den Friedhof damit“), einem weiteren Orden, den üblichen Trocken-Reden, doch unübersehbar: die „Familie DDR“ ist im Begriff, sich aufzulösen. Was der sture alte Genosse natürlich nicht wahrhaben will oder nicht mehr wahrnehmen kann. Und stattdessen Missmut verbreitet. Wenn er denn mal was von sich gibt. Motto: Wieso sind die Zeiten so wie sie gerade sind? Sind WIR nicht die Besseren? (Gewesen?) Wieso ist die Stimmung so mies? Einige Familienmitglieder schälen sich heraus wie Sohn Kurt (SYLVESTER GROTH), der 1956 aus den Arbeitslagern der Sowjetunion nach Ostberlin kam, als erfolgreicher Historiker aufstieg und die Russin Irina (YEVGENIYA DODINA) geheiratet hat und sie heute mit ihrer besten Freundin betrügt. Einer fehlt in dieser piefigen Sippe: Charlotte Powileits Enkel Sascha (ALEXANDER FEHLING). Er ist, wenige Tage vorher, in den Westen abgehauen. Als Wilhelm dies erfährt, kriegt er die wahre Wut. Während Ehefrau Charlotte deprimiert einstimmt: „Ich hätte gerne ein anderes Leben gehabt“.

Das Drehbuch basiert auf einem über 500-seitigen gleichnamigen Literatur-Stoff von Eugen Ruge, der dafür 2011 mit dem „Deutschen Buchpreis“ ausgezeichnet wurde, während sich der Roman über eine halbe Million Mal (bis Juni 2013) verkaufte und auch als „Buddenbrooks des Ostens“ tituliert wird. Nach dieser fulminanten Bestimmung bzw. Kürzung auf einen einzigen, sprich letzten DDR-Tag durch den renommierten Ostberliner Drehbuch-Autoren Wolfgang Kohlhaase, 86, und die formidable Umsetzung von Regisseur MATTI GESCHONNECK („Boxhagener Platz“) kriegt man Bilder- und Erzähl-Lust nach der/auf die Ausführlichkeit dieses östlichen Clans. Der Kino-Spielfilm jedenfalls macht diesbezüglich „an“, besitzt eine enorm klaustrophobische (An-)Spannung, kitzelt scharf und züngig diese präzise eingefangene „charmante“, doppelbödige Untergangsstimmung heraus und schafft mit ihren überdeutlichen atmosphärischen Alltagsgeräuschen (zwischen Rasieren und Schlucken) sogar die normalerweise anstehende Musik(-suppe) weg.

Das Ensemble – eine wunderbare „Ost“-Einheit von ausdrucksstarken Spitzenkräften. Die, so Bruno Ganz im „Aspekte“-Interview, so ihre Erstprobleme hatten, als ihnen ausgerechnet ein „Wessi“ UND Schweizer als „Ober-Ossi“ vorgesetzt, diktiert, wurde. Doch der 74-jährige BRUNO GANZ („Der Untergang“; „Brot und Tulpen“), der Überragendste unter den Besten innerhalb der Schauspieler-Gilde hierzulande, kraucht in diesen Wilhelm Powileit mit jeder Pore so außerordentlich faszinierend-seelentief ein, dass man sich nur noch verneigen kann vor soviel unverkrampfter, listiger Darstellungs- wie Unterhaltungskunst. Bruno Ganz bestimmt und zelebriert diesen faszinierenden Spannungsfilm zu einem feudalen Meisterstück. Ihm zuzuschauen, ihm zuzuhören, ist ein erstklassiger Gedanken-Genuss und macht, wie gesagt, Lust auf mehr aus diesem sozialistischen Geschichtshause Powileit (= 4 1/2 PÖNIs).

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