„IL DIVO – DER GÖTTLICHE“ von Paolo Sorrentino (B+R; It/Fr 2008; K: Luca Bigazzi; M: Teho Teardo; 117 Minuten; Start D: 16.04.2009), einem 38-jährigen Neapolitaner, dessen Film im Vorjahr beim Cannes-Festival mit dem „Preis der Jury“ ausgezeichnet wurde. Mit der brillanten Polit-Satire „Il Divo“, präzise übersetzt „Der Entrückte“, begibt sich Sorrentino auf eine faszinierende Reise in die Abgründe italienischer Nachkriegspolitik.
Dabei geht es von Anfang an „zur Sache“: Im schnellen Rhythmus eines Gangsterfilms reiht sich gleich zu Beginn Mafiamord an Mafiamord. Rauschen Grauen und Polit-Verbrechen, Korruption und Sex-Geschichten der letzten 4 Jahrzehnte Italiens am Zuseher vorbei. Kein anderer italienischer Politiker seit dem Zweiten Weltkrieg war länger an der Macht als der 1919 geborene GIULIO ANDREOTTI. Zwischen 1946 und 1992 war er als Vertreter seiner Partei, der „Democrazia Cristiana“, 25mal Minister und 7 x Premierminister. Seit 1991 ist er Senator auf Lebenszeit und mit seinen inzwischen 90 Lebensjahren immer noch politisch aktiv. Gegen ihn ist Berlusconi ein Waisenknabe: 29mal wurde er angeklagt, 29mal wurde er letztinstanzlich freigesprochen. Sein Name wurde mit fast allen Skandalen der italienischen Nachkriegsära in Verbindung gebracht. Er soll direkte Verbindungen zur Mafia gepflegt haben und in dutzenden von Fällen der Drahtzieher politischer Morde gewesen sein. Ermittlungen gegen ihn wurden angestrengt wegen Korruption, Amtsmißbrauch und illegaler Finanzierungen, seine Immunität wurde aufgehoben. Doch letzten (juristischen) Endes wurde Andreotti, der über ein umfangreiches privates Archiv seiner politischen Gegner und Freunde verfügt, dank seiner „Gedächtnislücken“ und wegen Verjährungen von allen Vorwürfen immer freigesprochen.
Diesem schrankenlosen Machtmenschen hat der Drehbuch-Autor und Regisseur ein filmisches Denkmal gesetzt, das auch als Denkzettel zu begreifen ist. Anschaulich und beklemmend seziert der Filmemacher die Abgründe politischer Macht und zeigt dabei nicht die bekannten Muster, WIE Politik „gemacht“ wird, sondern wie ein Politiker-Mensch ohne Rücksicht auf persönliche Verluste seine Macht erhalten und ständig „vermehren“ möchte. Und dabei selbst engste Beziehungen allein diesem Zweck unterordnet („Ich habe keine kleineren Laster“/1959; „Die Boshaftigkeit der Guten ist höchst gefährlich“/1970; „In Kriminalromanen wird der Schuldige immer gefunden. Im wirklichen Leben ist das seltener der Fall“/1981). Jede Kameraeinstellung, jedes Cinemascope-Bild ist bis ins kleinste Detail durchkomponiert, dient allein der präzisen, prägnanten Annäherung an die Person Andreotti und an seine engsten Mitarbeiter, die das System bedingungslos bis zur Selbstaufgabe stützen. Dabei konzentriert sich die „gedanklich hochmotivierte“ Kamera (von LUCA BIGAZZI) nicht auf (den sonst so üblichen) politischen Aktionismus im großen Erzählstil, sondern im Gegenteil auf minimale Gesten und winzige wie furchterregende Verhaltensweisen.
Der Andreotti-Mime TONI SERVILLO erhielt für seine überragende darstellerische Leistung den „Europäischen Filmpreis“. Der 49-jährige Schauspieler, der auch schon in dem vorzüglichen und mehrfach preisgekrönten Anti-Mafia-Film „Gomorrha“ von Matteo Garrone eine Hauptrolle hatte (und den geschäftstüchtigen „Müll-Verwerter“ Franco spielte), verkörpert mit frappierender Ähnlichkeit den konservativen Politiker in einer dämonischen Mischung aus Murnaus „Nosferatu“-Vampir, päpstlichem Nuntius und einem bösen „E.T.“-Zwerg. Das gewinnt noch an Gewicht, wenn man weiß, dass Andreotti „Dr. Jekyll und Mr. Hyde“ einmal als seinen Lieblingsfilm erklärte. Diese außerordentliche Satire übersteigert die Eigenarten Andreottis und seines Gefolges ins Total-Groteske, eindrucksvoll-„kommentierend“-untermalt von der Musik des Komponisten TEHO TEARDO. Im übrigen: Natürlich ist Vorwissen über die Nachkriegsgeschichte Italiens von Vorteil. Doch wer auch nicht jede gezeigte Person identifizieren und zuordnen vermag und der mitunter kompliziert-spannenden Montage nicht immer folgen kann, egal: Denn die meisterhafte Inszenierung und das großartige Darsteller-Ensemble sorgen für viel Denk-Stoff und intelligenteste Unterhaltung. Mit natürlich durchaus aktuellem italienischen Politverweis und –geschmack. P.S.: Im Abspann läuft Trios „Da Da Da“-Ulk-Song-Klassiker als surrealer Stimmungsgrusel-Rauschmeißer wie passender Schlusskommentar. Molto bene (= 4 1/2 Pönis).