PÖNIs: (5/5)
„DER FREMDE SOHN“ von Clint Eastwood (R + M; USA 2007; B: J. Michael Straczynski; K: Tom Stern; 142 Minuten; deutscher Kino-Start: 22.01.2009); was haben der mittlerweile 73-jährige WOODY ALLEN und der mittlerweile 78-jährige CLINT EASTWOOD gemein – nun sie drehen inzwischen Filme „im Akkord“. Und werden dabei keineswegs schlechter, uninteressanter oder langweiliger, ganz im Gegenteil: Wie ein guter Wein … immer besser, schmackhafter, klassiger.
Das neueste Werk von Clint Eastwood, im letzten Frühjahr im Wettbewerb der Filmfestspiele von Cannes erstaufgeführt, spielt im Los Angeles von 1928 und basiert auf einer wahren Geschichte. Als die alleinerziehende Mutter Christine Collins eines Abends von der Arbeit nach Hause kommt, ist der 9-jährige Sohn Walter verschwunden. Möglicherweise entführt. Walter ist und bleibt verschwunden, die Mutter ist täglich auf der Suche nach ihm und „nervt“ die Polizei. Denn DIE ist zu dieser Zeit mehr mit Machterhalt und Selbstdarstellung beschäftigt als mit der Aufklärung von Verbrechen. Nach fünf verzweifelten Monaten aber scheint es doch noch ein Happy-End für Christine zu geben: Die Polizei präsentiert ihr auf dem Bahnhof einen kleinen Jungen, der ihr Sohn sein soll. Doch die Mutter ist sich absolut sicher, dass dieser Junge NICHT ihr Sohn ist. Die Polizei, die ihr sowieso schon angeschlagenes öffentliches Image völlig gefährdet sieht, erklärt sie nun für unzurechnungsfähig und sperrt sie in eine psychiatrische Anstalt. Läßt Ärzte attestieren, dass es sich bei dem fremden Jungen NATÜRLICH um ihr Kind handelt, obwohl der fast 8 cm kleiner und beschnitten ist. Dabei sind die Collins nicht jüdisch. Doch es hilft nichts, Code 12 findet Anwendung, mit diesem werden Frauen „zur Ruhe gebracht“, die ihre laute Klappe einfach nicht halten wollen. Doch inzwischen regt sich, formiert sich „draußen“ Widerstand. Der Presbyterianer-Pater Briegleb (JOHN MALKOVICH) mobilisiert Anwälte und Demonstranten. Zugleich entwirrt sich parallel einer der furchtbarsten (Kinder-)Serienmordfälle in der Geschichte der USA. Los Angeles: Keine sonnige Stadt der Engel, sondern ein eher schmuddliger, nasskalter, unwirtlicher Ort. Wetter- wie seelenmäßig.
Schon die ersten Bilder von Kameramann TOM STERN; der seit mehr als 20 Jahren mit Clint Eastwood zusammenarbeitet, signalisieren – gemeinsam mit den jazzig-melancholischen Klängen von Eastwoods Musik: Hier beginnt ein emotional-packendes wie SEHR atmosphärisches Drama. In einer ziemlich miesen, unmoralischen Welt. „Changeling“, so der Originaltitel, zieht sofort in den Bann, fasziniert durch seine Dichte, Kühle, Charakter-Nähe. Und Sorgfalt: Nie wird spekulativ argumentiert, sondern stets plausibel. Und: Die Spannung ist auch deshalb enorm, weil – wie eigentlich immer in den Filmen des zweifachen „Oscar“-Preisträgers („Erbarmungslos“; „Million Dollar Baby“) – das Ensemble ausnahmslos bestens zusammengesetzt wurde und entsprechend agiert: Die bei uns weniger bekannten JEFFREY DONOVAN (als gnadenloser Gesetzeshüter, der seine Macht „genüßlich“ ausübt) und JASON BUTLER HARNER (als psychotischer Kindesmörder) sind stark in ihren – unangenehmen – Figuren, aufregend-präsent, bestürzend „echt“. Den Film aber „führt“ eindringlich wie beeindruckend ANGELINA JOLIE. Die zwischen tränenreicher Verzweiflung und unbeugsamem Willen klug-emotional aufwühlt und überzeugt. Eine exzellente Leistung. „Der fremde Sohn“ oder: Ein SEHR spannendes, ein SEHR nahegehendes, ein aber auch interessant-wütendes Meisterwerk. Denn die aktuellen Verweise sind unüberseh- bzw. unüberhörbar: Ein Staat, der seine Bürger entmündigt, zum Narren hält, zwingt diese zwangsläufig, dagegen anzugehen. Wenn das filigrane Autoritätsgebilde zerbröselt, weil einer nicht mehr lügt und die anderen nicht mehr glauben, sind wir doch im (USA-)Heute angekommen. Oder? (= 5 PÖNIs).