EIN RUSSISCHER SOMMER

EIN RUSSISCHER SOMMER“ von Michael Hoffman (B+R; Russland 2008; 112 Minuten; Start D: 28.01.2010); basiert auf dem Roman des Literatur-Wissenschaftlers JAY PARINI, der 2007 unter dem Originaltitel „The Last Station. A Novel of Tolstoy´s Final Year“ veröffentlicht wurde und ein Jahr darauf unter dem Titel „Tolstojs letztes Jahr“ hierzulande herauskam. Jetzt ist, praktisch zum Film, eine Sondertaschenbuchausgabe unter dem Film-Titel plus dem „eigentlichen“ deutschen Buchtitel erschienen. Ein globales Film-Handwerk ist zu vermelden: Der amerikanische Regisseur Michael Hoffman („Tage wie dieser…“/1996; mit George Clooney + Michelle Pfeiffer) dreht mit dem kanadischen Star CHRISTOPHER PLUMMER (8O/gerade auch mit „Das Kabinett des Dr. Parnassus“ von Terry Gilliam im Kino), der britischen „Oscar“-Lady HELEN MIRREN („The Queen“), dem schottischen Jungspunt JAMES McAVOY („Abbitte“), dem neuen Ami-Star PAUL GIAMATTI („Sideways“; „Shoot`Em Up“) und der Irin KERRY CONDON („Die Asche meiner Mutter“) in Sachsen-Anhalt, Brandenburg, Thüringen und einem Studio in Leipzig einen Film über das letzte Lebensjahr des russischen Schriftsteller-Genies LEW, genannt LEO Nikolajewitsch Graf TOLSTOI (1828 – 1910).

Zugleich gehen Film wie Roman auf die „wahre“ Spurensuche nach der (Ehe-)Frau an seiner Seite – SOFIA TOLSTOI, die annähernd 50 Jahre mit dem großen Leo Tolstoi verheiratet war. Und DIE jahrzehntelang als hysterische Person tituliert wurde, die ihrem Mann das Leben zur Hölle machte. Weil aber damals praktisch alles, was der Meister dachte, sagte und tat, haargenau „protokolliert“ wurde, lassen neue Publikationen (wie eben jenes Buch von Jay Parini) und dieser Spielfilm Sofia in neuem Licht erscheinen. Basierend auf den Tagebüchern Tolstois, denen seiner Ehefrau, seiner Tochter Sascha, seines Arztes und Anderer entsteht ein „dramatischer Sommer“ im Jahre 1910. „Anna Karenina“ und „Krieg und Frieden“ sind erschienen. Tolstoi ist der berühmteste Autor der Welt. DER aber nicht zur Ruhe kommt. Einerseits ist er auf seinem großräumigen Gut umlagert von Jüngern, die ihn abgöttisch verehren, jedes seiner Worte von den Lippen abschreiben und bestürmen, doch sein Werk „dem russischen Volk“ zur Verfügung zu stellen, andererseits ist da seine starke, selbstbewußte, gekränkte Ehefrau Sofia. Sie hat dem Schriftsteller 13 Kinder geboren, hat seine umfangreichen Manuskripte handschriftlich festgehalten (und das Mammutwerk „Krieg und Frieden“ alleine siebenmal handabgeschrieben) und etliche Affären des sexuelle Enthaltsamkeit predigenden Ehegatten toleriert. Doch jetzt sei die Grenze der Toleranz erreicht, zürnt sie. Sofia kämpft vehement um Aufmerksamkeit und Liebe wie auch um sein Erbe und Tantiemen. Dabei ist es immer „schwieriger“ geworden, ihren Mann überhaupt „zu erreichen“, denn nun widmet er sich vornehmlich moralischen, religiösen Fragen, die den nationalen Eiferern um ihn herum gut „in den Kram“ passen. Als Tolstoi schließlich von seinem Gut Jasnaja Poljana flieht, um „Irgendwo“ zur Ruhe zu kommen, brechen die letzten Lebensstunden für ihn an.

„Ein russischer Sommer“ ist ein spannender Menschen-Film. Über BERÜHMTE Menschen. Mit faszinierendem Hintergrund. Sowohl geistig wie seelisch, körperlich und regional. Und mit interessantem „Personal“ drumherum. Wie dem jungen „Spion“ Walentin, der die Liebe im Freigeist Mascha entdeckt, die auf dem Gut lebt. CHRISTOPHER PLUMMER, oftmals als fieser Schurke oder eleganter Bösewicht in vielen Filmen fein-schockend („G(Give)“/1978; „Inside Man“/2006), ist wie ein guter Wein – je älter, immer besser. Als Leo Tolstoi zeigt er Souveränität, Leidenschaft und „letztes kämpferisches Aufbäumen“. Ein erschöpftes Genie vor dem Ende. Großartig in dieser körpersprachlich jederzeit ansprechenden Interpretation. Ebenso bzw. einmal mehr wie die phantastische HELEN MIRREN . Die mit bewundernswerter Trotzköpfigkeit, mit nicht mehr zu unterdrückender Wut und sinnlicher Alters-Leidenschaft die gedemütigte, gebeutelte, „verratene“ Ehefrau spielt, deren Lebenswerk kaputtzugehen droht. WIE dies Helen Mirren mimt, zänkisch, bettelnd, listig, verzweifelt, draufgängerisch, gehört zur darstellerischen Performance-Spitzenklasse. Ist aufregend, nachvollziehbar, charakter-tief, äußerst unterhaltend. Ein erhabenes, anregendes, informatives, tolles Filmdrama. Prädikat: Gutes Kopf- und Bauch-Kino (= 3 PÖNIs).

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