DIE WEIBCHEN

PÖNIs: (4/5)

„DIE WEIBCHEN“ von Zbynek Brynych (D/Fr/Italien 1970; B: Manfred Purzer unter dem Pseudonym: Ernst Flügel; K: Charly Steinberger; Ton: Milan Bor/später „Oscar“-Nominierung für „Das Boot“; M: Peter Thomas; 90 Minuten; BRD-Kino-Start: 22.12.1970; alternative Heimkino-Fassung auf der Bonus-Blu-ray: 105 Minuten; deutsche Heimkino-Veröffentlichung: 26.05.2017); IHN hat(te) man bislang nicht auf der historischen Film-Agenda. Sein Name war bekannt als Spielleiter diverser Folgen erfolgreicher bundesdeutscher TV-Serien wie „Der Kommissar“ (mit Erik Ode) oder „Der Alte“ (mit Siegfried Lowitz) oder „Derrick“ (Horst Tappert), aber vom Kino her blieb er ein Fast-Unbekannter. Bis jetzt. Denn soeben kündigte das Tschechische Zentrum in Berlin an, gemeinsam mit dem Berliner „Zeughauskino“, das Filmwerk dieses in cinephilen Kreisen verehrten, ansonsten aber weitgehend unbekannten Filmemachers ZBYNEK (gesprochen: Spinjek) BRYNYCH im Rahmen einer Werkschau vom 1. bis 30. Juli 2017 vorzustellen.

Zeitgleich veröffentlicht ein seit Jahren in Sachen „Ausgrabung“ wunderbar aktiver Anbieter mit dem schönen Namen „Bildstörung“ einen Spielfilm dieses „wundersam fröhlichen tschechischen Herrn“ (Dominik Graf) aus dem Jahr 1970, wo der deutsche Streifen „Schulmädchenreport“ ganz oben auf der hiesigen Kinobesucherliste stand, während „DIE WEIBCHEN“ nach seinem Kino-Start zu Weihnachten 1970 völlig unterging. Obwohl in den Hauptrollen immerhin namhafte weibliche Stars wie USCHI GLAS („Zur Sache, Schätzchen“); die attraktiven Französinnen IRINA DEMICK („Der Clan der Sizilianer“), FRANCOISE FABIAN („Meine Nacht bei Maud“) und PASCALE PETIT (1958: „Die sich selbst betrügen“ von Marcel Carné/die damals als „nächste Brigitte Bardot“ gehandelt wurde) sowie „unsere“ Judy Winter in einem Nebenpart und immerhin „deutsche Männlichkeit“ wie Hans Korte, Klaus Dahlen und Kurt Zips (= na ja) aufgeboten waren. Heute weiß man, Zbynek Brynych war seiner cineastischen wie spielerischen wie gesellschaftskritischen Unterhaltungs- & Denk-Zeit viel zu weit voraus.

Am Ende des Vorspanns wird bereits gewarnt: „Personen und Schauplätze des Films sind frei erfunden. Sie sind ausschließlich Produkte der Phantasie“. Was sogleich in eine bildliche Weitwinkel-Sicht und zu einer bizarren Atmosphäre führt. Uschi Glas, damals reizende 26, sitzt in einem Zug und wird von „merkwürdigen“ Frauen-Augen kalt belauert. Uschi, die hier Eve heißt, reist gen Bad Marein. Auf Empfehlung ihrer Ärztin. Heute würde man sagen von wegen: Burnout, damals lautete die Empfehlung: Erschöpfung auskurieren. Doch an Erholung ist bei Fräulein Eve gar nicht zu denken, zu „umfangreich“ sind ihre baldigen „Horror-Erlebnisse“ in diesem Gebäude. Wo es nur Frauen gibt, die sich anscheinend mit- beziehungsweise untereinander auf gar „seltsame Weise“ köstlich amüsieren. Bei ihren verlockenden Bemühungen, sich männlichen (Zufalls-)Besuchern – sagen wir mal – „vehement anzunehmen“.

Leitmotiv: Heuschrecken, Spezies: Gottesanbeterin. Dort fressen Weibchen nach der Begattung stets ihre Männchen auf. Oder: Der unbändige Freiheitsdrang der Frauen damals, wie Uschi Glas im Bonus-Material erklärt: Männer-Hassen war damals in gewissen Kreisen durchaus „beliebt“. Für den tschechischen Regisseur Zbynek Brynych (*13.06.1927 – †24.08.1995) aber war dies offensichtlich nur der Ausgangspunkt, SEIN ganz eigenes, stilistisch provozierendes wie hintergründiges groteskes, chaotisches BRD-Sittenbild der Anfang Siebziger im gewöhnungsbedürftigen Funky-Stil zu arrangieren. Die traditionelle Moral-Suppe der Adenauer-Ära stank mehr oder weniger ab, das Aufklärungs-Neue begann sich langsam zu formieren. „Bei Brynych gibt es keine Normalität, sondern nur einen Kollaps der Normalität“, bringt es der Filmhistoriker Rainer Knepperges im Bonus-Interview auf den Chaos-Punkt, während im Film aufgebrachtes Weiber-Volk Korsetts & BHs in den Scheiterhaufen befördert und ein „Museum für dumme Männer“ beäugt werden kann. Um einige erkennbare wie schwankende Story-Stimmungslagen hervorzuheben.

„Die Weibchen“ ist ein grandioses, wildes und doch softiges Kannibalinnen-Spektakel, mit reichlich = konsequentem Freigeist-Erotik-Charme, einigen harschen Blutspritzern, einer sich ständig rüde beteiligenden, „einmischenden“, entfesselten Ironie-Kamera sowie mit einer unerhört aufdringlichen Peter Thomas-Musik („Raumpatrouille“) beigegeben, unterlegt, die ständig vollends „ausrastet“ und gegen jede Hör-Erwartung trompetet, währenddessen uns ständig Frauen-Gesichter irgendwie „warnen“. Und das damals berühmt-berüchtigte feministische „Manifest der Gesellschaft zur Vernichtung der Männer“, genannt S.C.U.M., von Valeria Solanas nicht zufällig öfters ins Bild rutscht. Und ein Lied, das da „Der große Hunger“ heißt, von erheblichem wie zügellosem weiblichen Appetit drohend-flott mitteilt (leider gibt es hier keinen Nachspann, wo man erfahren könnte, wer hier die Interpretin ist). Ein völlig ungehöriges, hinterfotziges, lustiges Stück von hinterlistigem bundesdeutschem Provokant-Schmarren, bei dem sämtliche angeberischen Kerle genau DAS bekommen, was sie verdienen. Motto: Wer nicht auf die Warnungen von Eve-Schätzchen hören will, muss halt fühlen. Besser: leiden. Apropos: Die Uschi befindet sich hier auf dem einmaligen Kurz-Weg vom netten Schätzchen zum cleveren Weibchen. Und Hans Korte ist zu erwähnen, einer unserer besseren Kabarettisten später, der einen ständig besoffenen Polizisten mimt („Ich habe jeden Tag drei Morde, sie müssen warten, bis sie dran sind“), der sich immer deshalb zuschüttet, damit sein dadurch „verhunster“ Körper „unschmackhaft“ bleibt: Was für eine Idee, um ein fröhlich-lebender Alki zu bleiben.

Der „Neu-Film“ „DIE WEIBCHEN“ jedenfalls sieht sich heuer wie ein deutsches Giallo-Movie an: Frech, zügellos, grotesk übertreibend, mit sehr viel unorthodoxem Spaß-Radau-Geschmack. Eine 1970er Edel-Frohsinns-Zeit-Entdeckungs-Provokation. Mit sehr guten Bonus-Interviews (mit Kamera-Ass Charly Steinberger; Uschi Glas u.a.) sowie einem ganz vorzüglichem 30-seitigem Booklet.

„Ich steche in den Ameisenhaufen hinein, und sofort stürzen die Bewohner an die Oberfläche, angsterfüllt und voller Entsetzen; und in dem Moment, wo sie ans Tageslicht kommen, da fängt mein Film an“, tat dieser nun unbedingt zum Entdecken freigegebene ZBYNEK BRYNYCH, der einst beim Cannes-Festival von 1958 mit seinem Film „Vorstadtromanze“ in den Wettbewerb eingeladen und erstmals international beachtet wurde, einmal kund. Dieser Heimkino-Film und der Besuch der aktuellen ZBYNEK BRYNYCH-Retrospektive im hiesigen „Zeughauskino“, dem Vorführort des „Deutschen Historischen Museums“ in Berlin, bedürfen einer dringenden Empfehlung (= 4 PÖNIs).

Anbieter: „Bildstörung“.

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