PÖNIs: (4,5/5)
„DIE ERFINDUNG DER WAHRHEIT“ von John Madden (USA/Frankreich 2016; B: Jonathan Perera; K: Sebastian Blenkov; M: Max Richter; 132 Minuten; deutscher Kino-Start: 06.07.2017); machen wir gleich Kritik-Nägel mit Köpfen: Dies ist einer der herausragendsten Unterhaltungsfilme seit langem. Dabei handelt es sich bei „Miss Sloane“, so der Originaltitel, um einen spannenden wie intelligenten wie aktuellen politischen Ami-Thriller, der natürlich zuhause, in den Trump-USA, kaum Publikum fand. Zu sehr pikt er in die hässliche hauseigene Polit-Wunde: Korruption. Opportunismus. In das allgegenwärtige System: Beeinflussung.
Stichwort: LOBBYISMUS. Damit wird bekanntlich der gezielte Versuch von (mächtigen) Interessengruppen, sprich: Wirtschaftsunternehmen, bezeichnet, in den politischen Meinungsbildungsprozess des Landes einzugreifen und – vor allem – die politischen Entscheidungsträger, sprich: die Abgeordneten der verschiedenen Parteien, in ihrem Sinn und für ihre Absichten zu beeinflussen. Außerdem wirken Lobbyisten auf die öffentliche Meinung durch „gezielte“ Öffentlichkeitsarbeit ein; dies geschieht mittels der Massenmedien. Da dieser Begriff Lobbyismus negativ besetzt ist, bevorzugen Interessenverbände Bezeichnungen/Begriffe wie „Public Affairs“ oder „Politikberatung“. Allein in Berlin, so heißt es, gibt es rund 5000 Lobbyisten, statistisch für jeden Abgeordneten acht. In der „Süddeutschen Zeitung“ vom 29. Februar 2016 heißt es in einem Artikel der Autoren Markus Balser und Uwe Ritzer: „Durch die Hintertür. Der Bundestag sperrt Unternehmenslobbyisten aus. Tatsächlich gab es noch nie so viele professionelle Einflüsterer. Ihre Macht ist enorm. Viele operieren versteckt und sind auf Hausausweise nicht angewiesen“. Während Bundestags-Präsident Norbert Lammert (CDU) im selben Artikel den beachtlichen und in zunehmendem Umfang glänzend organisierten Einfluss erwähnt. Die Internetplattform „abgeordnetenwatch.de“ meldete kürzlich, dass weiterhin „706 Verbändelobbyisten“ über jene „Hausausweise“ verfügen, mit denen die Inhaber sogar bis in die Kantine des Deutschen Bundestages vordringen können.
Gerade meldeten die DPA-Nachrichten (vom 03.07.2017): Das Bundeskanzleramt muss der Transparenzinitiative „abgeordnetenwatch.de“ nach einem Gerichtsbeschluss vom 23. Juni 2017 Auskünfte über dienstliche Abendessen von Kanzlerin Angela Merkel mit Lobbyisten erteilen. Die 27. Kammer des Berliner Verwaltungsgerichts kam zu der Auffassung, dass Merkels „Funktionsfähigkeit und Eigenverantwortung“ durch die Bekanntgabe der Informationen nicht beeinträchtigt würden. Das Kanzleramt hat Beschwerde beim Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg eingelegt.
Natürlich würde sich hierzulande kein (geförderter) Filmemacher auch nur annähernd trauen, aus „solch einem Stoff“ einen rasanten, etwa kritischen Spielfilm herzustellen. In den USA schon. Der britische Regisseur JOHN MADDEN, „Oscar“-Preisträger 1999 für den „Besten Film“ „Shakespeare in Love“, war zuletzt zweimal mit der Indien-Komödie „Best Exotic Marigold Hotel“ (2012/2015) amüsant unterwegs. Jetzt taucht er in das schwer zu überschauende System des amerikanischen Lobbyismus ein. Und stellt den hochintelligenten, brillanten Branchen-Star Elizabeth Sloane (JESSICA CHASTAIN) in den Themen-heißen Mittelpunkt. In Washington ist die politische Einflussnahme hinter den Kulissen ein lukratives Business. Die absolut selbstsichere, völlig skrupellose Lobbyistin der alteingesessenen Kanzlei „George Dupont“ ist berüchtigt für ihr einzigartiges Talent, ihre Rücksichtslosigkeit und ihre zahllosen Erfolge. Um zu gewinnen, tut sie alles: „Ich bin angetreten, um zu gewinnen. Um zu gewinnen, treibt man seine Gegner vor sich her“. Konsequent und eisenhart. Für die mächtige Waffenlobby ist SIE die Frau der Stunde, um ein neues geplantes Waffengesetz, das den freien Handel mit Waffen einschränken soll, zu verhindern. Doch nun zieht Elizabeth Sloane – völlig unvermutet – einen Strich durch ihre Karriere. Wechselt nach einem Streit mit den Auftraggebern, sturen, alten Herren, die sich nichts sagen lassen wollen und schon gar nicht schlussendlich von einer Frau, überraschend die (Anwalts-)Seite. Wo der neue Chef Rodolfo Schmidt (MARK STRONG) zunächst ganz begeistert ist über diesen imponierenden „Neu-Einkauf“. Doch diese Power-Frau, die sich mit Aufputschmitteln „hilft“ und den „nötigen Sex“ auf einen „inspirierenden“ Call-Boy fokussiert, ist alles andere als ein umgänglicher Team-Player, sondern eine ganz und gar auf sich und ihre – bisher – genialen, erfolgreichen wie stets wirkungsvollen Methoden fixiert. Doch die Gegenseite kennt sie ja und bezieht wütend Gegen-Stellung.
Was für ein permanent spannungsvoller Thriller! Der Extra-Klasse! Weil eine gigantische Schauspielerin die Fäden in der Hand hat und behält: JESSICA CHASTAIN, 40, ist derzeit eine der angesehensten Schauspielerinnen überhaupt. Unvergessen bleibt zum Beispiel ihr Part als CIA-Analytikerin auf der Jagd nach Osama bin Laden in „Zero Dark Thirty“, für den sie 2012 den „Golden Globe“ sowie eine „Oscar“-Nominierung erhielt. Hier dominiert sie total an der Rampe. Spricht anfangs direkt in die Kamera, zu uns hin, redet vom Kartenspiel und von Trümpfen, die stechen, wenn sie sich in das gegnerische Herz bohren. Dabei ist ihr Antrieb kein Minderwertigkeitsgefühl und Bestätigungsgefühl gegenüber erfolgreichem „Mann“, es geht also nicht um ein Geschlechter-Duell, sondern die bärenstarke Lust am Gewinnen. Als Elizabeth Sloane besitzt sie den Vorteil, allen, wirklich allen anderen, vollends überlegen zu sein. Während man auf der Gegenseite noch fabuliert und Ideen entwickelt, wie man ihr beikommen kann, ist sie schon mit der übernächsten Planung befasst. Mit dieser Mrs. Sloane-Präsenz und Schlau-Kraft kann niemand mithalten; diese Person verfügt über Klugheit und faszinierenden Erfindungsreichtum; und die überragende Jessica Chastain verblüfft in einer „normalerweise“ gigantischen Männer-Dominanz-Hollywood-Rolle. Und kommt schließlich und natürlich mit einer sagenhaften Schluss-Pointe daher.
„DIE ERFINDUNG DER WAHRHEIT“ ist einer jener Filme, die man als Dauer-Kinogänger genießt: Mit soviel Verstand, Sinn, Spannung und soviel darstellerischem Spitzen-Charisma kommen nur wenige Angebote im Jahr daher (= 4 1/2 PÖNIs).