DER SEIDENE FADEN

PÖNIs: (4,5/5)

„DER SEIDENE FADEN“ von Paul Thomas Anderson (B; Co-Produzent; Kamera + R; USA 2017; M: Jonny Greenwood; 131 Minuten; 01.02.2018); seinen Spielfilm davor können wir vergessen, „Inherent Vice – Natürliche Mängel“ (s. Kino-KRITIK/= 1 Mitleids-„Musik“-PÖNI) von 2015 war ein Desaster, über das in der „New York Post“ stand: „Eine zweieinhalbstündige Belastungsprobe“. Davor allerdings konnte der kalifornische Spielleiter, Drehbuch-Autor und Produzent PAUL THOMAS ANDERSON, Jahrgang 1970, SEHR viel besser auftrumpfen mit „There Will Be Blood“ (2007/s. Kino-KRITIK) und „The Master“ (2011/s. Kino-KRITIK). Paul Thomas Anderson, der bislang 5fach „Oscar“-Nominierte, den das „American Film Institute“ als „einen von Amerikas modernen Filmmeistern“ bezeichnet, benennt Filmemacher wie Martin Scorsese, Robert Altman, Stanley Kubrick, Orson Welles und Max Ophüls als seine wichtigsten „Ratgeber“. Für seinen neuesten Film darf man nun auch Alfred Hitchcock hinzufügen, denn was er hier – im Rahmen eines köstlichen melodramatischen Beziehungs-Thrillers – anstellt, ist eine erstaunliche, kinematographisch-erstklassige Leckerbissen-Augenschmaus-Intimitäts-Spannung. Anderson selbst nennt „Rebecca“ von Alfred Hitchcock (von 1940) als Mit-Diesmal-Vorbild.

„Phantom Thread“ heißt der Film im Original, was im Englischen einen Faden beim Nähen beschreibt, der eigentlich nicht existiert. Ähnlich wie bei einem Phantom-Schmerz haben sich die Hände von – viktorianischen – Näherinnen einst nach ihrem Arbeitsalltag mit ihren stumpfen, monotonen  Dauerbewegungen automatisch „weiterbewegt“. Um „Fäden“ geht es auch hier. Allerdings nicht nur um die handwerklichen, sondern auch um und vor allem: die emotionalen. ER ist in der Londoner Modewelt der Fünfziger Jahre d e r anerkannte und verehrte wie eitle Maestro. Als Neurosenkönig: der brillante exzentrische Couturier Reynolds Woodcock (DANIEL DAY-LEWIS). Gemeinsam mit seiner Schwester Cyril (LESLEY MANVILLE) entwirft er Mode für die „Oberen“ sowie für die königliche Familie. Die totale Perfektion ist bei ihm Obsession. Auch im Privatleben. Frauen, so ist zu erfahren, haben des Öfteren seinen Affären-Weg begleitet, doch nie entstand daraus „etwas Ernstes“. Obwohl schon einige Jahre tot, verehrt er immer noch seine Mutter so als würde sie noch leben. Während seine unverheiratete Schwester ihm Geschäftspartnerin und Haushälterin zugleich ist; alles verläuft also im „korrekten“ Gleichgewicht. Bis er der jungen Alma begegnet (VICKY KRIEPS), Kellnerin in einem Hotel in der Schweizer Bergwelt. Wie sagt man: es funkt. Zwischen Beiden. Jenes „Etwas“ tritt ein, das man nicht vorhersehen und gleichsam unverzüglich wieder auslöschen kann. Sehr zum Unwillen seiner Schwester wird Alma für den peniblen Reynolds Muse und Geliebte. Während er sie wie ein bestes Stück neue Entdecker-Mode hofiert, ist sie keineswegs damit einverstanden, sich künftig nur in seinen narzistischen Schöpfungs-Kosmos einzugemeinden. Auf gut deutsch: sich ‘runterbuttern zu lassen. Was ihm, dem Immer-Primadonna-Höflichen, absolut missfällt: „Ich kann meinen Tag nicht mit einer Konfrontation beginnen“. Spannungen, in vielfältigster Form, angestachelt über Bewegungen, Blicke und Gesten, sind vorprogrammiert. Signalisiert auch die nicht nur begleitende, sondern die auch zugleich süffisant kommentierende Musik von „Radiohead“-Gitarrist Johnny Greenwood.

Ein Genie. Im Beruf. Will Genie sein und bleiben. Allerdings: Nicht nur in seinem Beruf, sondern überhaupt. Hält er sich doch für unantastbar. Unangreifbar. Und deshalb für ein Gesamt-Genie. Weil er doch seine künstlerische „Bestimmung“ so grandios auszufüllen vermag. Er will (über) allem thronen. Jegliche Widerrede ist unzulässig. Doch der ewige seidene Faden, der sein kontrolliertes und voll durchgeplantes pedantisches Leben bislang zusammengehalten hat, beginnt auf einmal zu bröckeln.

Zunächst – diese sagenhaften einnehmenden Bilder. Motive. Das unglaublich schöne, farbige Sehen. Mit diesen Dekors. Und stimmungsvollen Stoffen. Diese warmen, die Augen verwöhnenden Gemälde-haften Motive. Die faszinierend einlullen, bis man bei diesem packenden Geschlechterduell wieder „aufwacht“, um amüsant-bestürzt-berauscht zur Kenntnis zu nehmen, was Loriot auf seine unnachahmliche spitzzüngige Zeichen- und Verbal-Weise einst ironisch-süffisant-deutlich betonte: Das mit Männern und Frauen ist ein Unglück. Ich weiß, an Loriot hier zu erinnern, ist, als würde man Spargel mit einer Gift-Soße vermengen. Aber so etwas in dieser exzessiven Gefühls-Art passiert hier ja auch. Allerdings: Charakter-tiefer natürlich. Und ganz fein ausgeleuchtet: bis zum „Ergebnis“. Und durchaus auch mit – prickelndem – Humor.

ER ist der männliche „Meryl Streep“. Was er spielt, wo und wie er auftritt, immer läuft die Empfindung „genial!“ einher: DANIEL DAY-LEWIS. Der 60-jährige Londoner ist der einzige Schauspieler, der gleich dreimal den „Oscar“ als „Bester Hauptdarsteller“ zugesprochen bekam („Mein linker Fuß“; „There Will Be Blood“; „Lincoln“). Für seine aktuelle und gleichzeitig letzte Film-Rolle ist er wieder für den „Oscar“ nominiert worden: Am 20. Juni vorigen Jahres teilte Daniel Day-Lewis mit, nicht mehr als Schauspieler arbeiten zu wollen. Vielleicht, weil er in und mit seinen Rollen und Figuren immer kraftraubend „alles“ gibt. Wie hier: Wo er mit jeder Faser seines Körpers Seelen-Bewegungen und Sprache „mitzuteilen“ weiß, was ebenso ungeheuerlich-hingebungsvoll und Ausnahme-intensiv großartig, also definitiv gefühlsecht wirkt: an spannende Gänsehaut-Schmerzgrenzen heranreicht. Auf diesen überaus eleganten wie einzigartigen Leinwand-Akteur künftig verzichten zu müssen, ist ein gewaltiger Verlust fürs große Empfindungs-Kino. Seine aus Luxemburg stammende und in Berlin lebende Partnerin VICKY KRIEPS, neulich in „Der junge Karl Marx“ schon beeindruckend, vermag brillant „mit-zu-atmen“ und sorgt mit ihrem weiblichen „Aufstand“ für spannende Energie und elektrisierende, pikante Gefühls-Brüche.

„Der seidene Faden“ ist ein ganz starker Film für das Liebhaber-Kino (= 4 1/2 PÖNIs).

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