AMERICAN HONEY

„AMERICAN HONEY“ von Andrea Arnold (B + R; USA/GB 2015; K: Robbie Ryan; M: Rap, Country, Rihanna, Bruce Springsteen u.a.; 162 Minuten; deutscher Kino-Start: 13.10.2016); die Film-Norm ist, du bekommst eine Einleitung, die Beteiligten werden eingeführt, eine Story wird überschaubar entwickelt, dann der dramatische Hauptteil sowie der geordnete Schluss. Abblende. Alles glatt, alles wie in etwa gehabt, alles in höchstens zwei Stunden erledigt.

Ganz anders hier. Wir starten und blicken auf eine vergleichsweise kleine Leinwand, auf der mit Handkamera von Anfang an sehr viel Unruhe verbreitet wird. Mit unbekanntem Personal. Star heißt im Film die Anführerin, um die sich alles dreht, und gespielt wird sie von der 19jährigen Debütantin SASHA LANE. Als Star ist sie in einem Leben verkeilt, wo sie nur ausgenutzt wird. Sie will, sie akzeptiert das nicht mehr. Haut ab. Schließt sich Jake (SHIA LaBEOUF) an, der mit einer Gruppe Jugendlicher unterwegs ist, um im mittleren USA-Westen Zeitschriften- und Magazine-Abos zu verkaufen. Allerdings spielt er nur den Boss, die wirkliche Chefin heißt Krystal (RILEY KEOUGH), führt geschäftlich ein hartes Business-Regiment und „bestimmt“ privat auch über Jake. Der ein charismatischer Verkäufer ist, und dem Star für die Von-Tür-zu-Tür-Arbeit zugeteilt wird.

Du hast kaum eine Chance, also mach` was draus. Egal, was. Eine Gruppe Jugendlicher. Im Innern eines Klein-Busses. Man will etwas Selbstbestimmtes machen. Zumindest in Ansätzen. Mehr oder weniger legal Geld verdienen. Freiheit genießen. Oder betäuben. Bei Partys, Suff und Trieben. Man fährt durch das Land der unbegrenzten Möglichkeiten, handelt, schachert, lässt sich treiben. Mit ununterbrochener Pump-Musik. Sie gibt Halt. Stolz. Das gute Gemeinschaftsgefühl. Stimmungsvolle Werte-Motivation für das gemeinschaftliche Weitermachen. Auf der rüden Überholspur. Mit dem Hin-und-Wieder-Abbremsen. Wenn es der Chefin zu bunt wird. Weil ihr Star inzwischen zu sehr in die emotionale Quere kommt. Und weil Star „Eigeninitiativen“ unternimmt. Beruflich wie vor allem privat. Jake ist der Preis.

Immer mehr: dieser Sog. Dieses zeitvergessene Eintauchen-hier in diesen abgeschotteten Eigen-Kosmos. Mit deren Befindlichkeiten. Prinzipien. Kommentaren. Wunden. Narben. Verletzlichkeiten. Diesem Achselzucken. Der Egal-Meinung. Diesem Gefühl vom Nirgendwo-Hingehören. Warum bin ich geboren, wenn es „so“ läuft? Blickt Star ein ums andere Mal in die Kamera. Die mehr und mehr ihre Seele auslotet. Was mache ich und warum, und was will ich eigentlich? Werde ich irgendwann einmal das herauskriegen? Wissen? Und was passiert dann?

Die vielen Beiläufigkeiten. On the road again. Die vielen Eindrücke. Bei vielen Kleinigkeiten. In Bewegung. Blicken. Gesten. Befindlichkeiten. Diese körpersprachliche Sensoren-Wahrnehmung. Am Ende ist es schade, dass nach rund 160 Minuten Schluss ist. Zu sehr ist man zum Mitwisser und Mitteilnehmer geworden.

Die britische Autoren-Regisseurin ANDREA ARNOLD wurde mit dem Kurzfilm „Wasp“ („Oscar“ 2005) bekannt. 2006 debütierte sie mit dem Langfilm „Red Road“. Ihr zweiter Spielfilm „Fish Tank“ wurde 2010 in Großbritannien als „Bester Britischer Film“ ausgezeichnet. Ihre 2011 hergestellte Adaption des Romans „Wuthering Heights“ von Emily Bronte kam hierzulande im Heimkino heraus. „American Honey“ lief im Frühjahr im Wettbewerb der Filmfestspiele in Cannes und bekam den „Preis der Jury“. Ihr vierter Spielfilm ist zugleich ihr erster, den sie in den USA drehte. Mit dieser charismatisch-starken, präsenten, überwältigenden Debütantin-Entdeckung, diesem prächtigen Energie-Bündel SASHA LANE. Die 21jährige Texanerin zählt zu d e n Entdeckungen in diesem Kino-Jahr.

„Anderes Kino“ war schon lange nicht mehr so prickelnd: „American Honey“ umweht bereits starker Kult-Geruch (= 4 PÖNIs).

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