ZUR HÖLLE, MRS. LOVE

ZUR HÖLLE, MRS. LOVE“ von Juan José Campanella (USA 1989; 105 Minuten; Start D: 08.10.1992).

Diesem Film möchte man entfliehen, doch das funktioniert nicht: Zu sehr packt er und schüttelt durch. Drückt in den immer enger werdenden Sessel und martert. Martert das Gehirn. Knallt dagegen wie eine Lunte, die gleich zündet. Heizt die Emotionen an. Dieser Film macht Angst. Dieser Film macht wütend. Man möchte ständig in ihn eingreifen und fühlt dabei eine immer stärkere Aggression wie Faszination und Ohnmacht. Wir befinden uns in der Welt der Psychopathen. Alle scheinen nur noch krank zu sein. Die Seelen sind unheilbar angekratzt und beschädigt. In solch einer Welt zu leben muss furchtbar sein. Doch dann der Schock: Diese Welt ist unsere Welt. Man will sich dagegen wehren, auflehnen, doch vergebens: Dieser Film hört nicht auf zu lästern, zu höhnen, zu zerstören, zu stören. Es rumort.

Eine Mutter und ihre 3 Kinder. Man hat Geld. Sonst nichts. Einer der 3 Kids ist 12 und heißt Dan. Und. besitzt eine kriminelle Energie wie ein ausgefuchster Gangster. Zugleich aber ist er auch Kind, das sich nach Geborgenheit und Zärtlichkeit sehnt; nach einem Menschen, der ihn führt, versteht und überhaupt sich einmal mit ihm beschäftigt. Die Mutter: Neurotisch, kalt, kaputt. Daniel und seine Mom. Aber da sind auch noch andere Kinder. Auch sie wurden von denen, die es sich leisten können, in die teure Klapsmühle gesteckt. Therapie heißt das Zauberwort unserer Tage. Alles geht zu reparieren, sogar die Seele. Alles ist machbar, veränderbar, wenn dafür nur gut bezahlt wird. Und. Candice Love zahlt brav. Doch die Probleme, die sie sich buchstäblich vom Hals schaffen will, wird sie nicht los. Dan ist nämlich “äußerst oppositionell“, stellt der freundliche Psychologe fest. Während der Sozialarbeiter an die Rechnungen denkt. Niemand versucht, dem Jungen wirklich nahezukommen. “Ruhigstellen“ ist das bequeme, teure Medikament dieser Tage. Jessica, die in der Klinik Kontakt zu Dan bekommt, zieht beglückt Fazit: “Ich schätze, ich hab‘s geschafft, dass sie mir zuhören“. Dan bleibt zurück. Nur noch Er und Mama. Ein schizophrener Countdown. Wie im Western. Aber die Zeit ist heute, und das macht so verrückt. Dan lebt gleich nebenan.

Ein Film als Rundum-Therapie. Er ist fesselnd, lässt nicht mehr los, geht unter die Haut, drückt ins Gehirn. Man vergisst, “Kino“ vor sich zu haben, weil vor allem die Schauspieler so unglaublich überzeugen. Der junge Harley Cross agiert schon wie ein fiebriger Harvey Keitel jr. (und erinnert an den Senior und dessen unvergessene Auftritte in z.B. Scorseses “Mean Streets – Hexenkessel“). Was für ein Unruheherd von Talent, was für ein begnadeter Störenfried, aber auch: Was für ein Angstmacher!? Karen Young als Mrs. Love ist eine ebenbürtige Partnerin, der man gefühlsmäßig permanent an die Gurgel springen möchte, so trifft sie Nerv und Schmerz mit ihrer phantastischen Darstellung. Keine Kuckucksnest-Melancholie, sondern “Kuckucksnest“-Feuer. Das so tief und störend lodert, dass man nicht anders kann als betroffen und begeistert zu applaudieren. Weil wir erkennen, dass dieser Film persönlich “betrifft“. Und weil er so tief eindringt und so lange nachwirkt.

“Zur Hölle, Mrs. Love“ ist der erste wichtige Film der 90er Jahre, weil er die 90er Jahre so brutal stellt, provoziert, beschreibt.
Ich bin begeistert über diesen Film, aber er macht mich auch so unglaublich ratlos und wütend (= 4 PÖNIs).

Teilen mit: