WÜSTENBLUME

PÖNIs: (5/5)

„WÜSTENBLUME“ von Sherry Hormann (B + R; nach dem gleichn. Buch von Waris Dirie/1997; D/Ö/Fr 2008; K: Ken Kelsch; M: Martin Todsharow; 121 Minuten; deutscher Kino-Start: 24.09.2009); einer amerikanisch-deutschen Drehbuch-Autorin und Regisseurin, die 1960 in Kingston/USA geboren wurde und seit 1966 in Deutschland lebt. Studierte von 1979 bis 1983 an der HFF München; „Leise Schatten“ war 1991 ihr Debütfilm. Drehte 1996 „Irren ist männlich“ und inszenierte für das ZDF einige „Bella-Block“-Serienfilme. War zuletzt mit „Männer wie wir“ 2004 „belanglos“ im Kino. Mit der 11 Millionen EURO budgetierten internationalen Co-Produktion „Wüstenblume“ schuf sie ein Meisterwerk. Das auf dem gleichnamigen autobiographischen Roman und Bestseller von WARIS DIRIE basiert. Deren Buch erschien 1997, erreichte über 50 Lizenzausgaben, wurde bis heute über 11 Millionen mal weltweit verkauft, davon allein 3 Millionen Exemplare bei uns. Eigentlich könnten Buch und jetzt Film ein exotisches Märchen sein. Motto: „eine Nomadin in New York“. Erzählend vom schönen Afrika-Mädchen, das durch glückliche Umstände und attraktives Aussehen zum begehrten Model-Girl „wird“. Der „amerikanische Traum“ sozusagen „auf somalisch“. Denkste.

Am Anfang blicken wir auf das karge, normale Leben in Somalia. Wo Waris Dirie 1963 oder 1965 geboren wird. In einer muslimischen Nomadenfamilie. Als sie im Alter von 13 Jahren mit einem älteren Mann zwangsverheiratet werden soll, flieht sie barfuß durch die Wüste in die Hauptstadt Mogadischu. Wo sie zunächst bei der Familie ihrer Mutter (Tante/Großmutter) unterkommt. Um dann zum Onkel nach London geschickt zu werden. Der ist dort somalischer Botschafter und läßt sie unentgeltlich als Dienstmädchen in der Botschaft arbeiten. Außerdem darf sie das Haus nicht verlassen. Als nach Ausbruch des Bürgerkriegs die Botschaft geschlossen wird, „flieht“ Waris auf die Straßen von London. Ohne Wohnung, ohne Aufenthaltsgenehmigung, ohne Sprachkenntnisse. Schlüpft bei einer quirligen Verkäuferin unter (SALLY HAWKINS/“Happy Go Lucky“) und trickst sich mit Putzjobs, gefälschten Papieren und einer Schein-Ehe durch den Alltag einer illegalen Migrantin. Die Begegnung mit dem englischen Star-Mode-Fotografen Terry Donaldson (TIMOTHY SPALL/“Sweeney Todd“; „Verwünscht“; „All or Nothing“) in einem McDonalds-Shop verändert schließlich ihr Leben: „Aschenputtel“ Waris wird „entdeckt“.

Ein nunmehr begehrtes, „komfortables“ Leben? Jein. Denn da existiert dieses Geheimnis, das erst in einem ausführlichen Interview 1997 zur Sprache kommt und auf bestürzendes Interesse stößt und dann weltweit für enorme Aufregung sorgt: Waris Dirie wurde im Kleinkind-Alter buchstäblich verstümmelt. Stichwort: BESCHNEIDUNG. Das grausame Ritual wird – aus kulturellen, traditionellen Gründen – bis heute ausgeübt. Bei dieser barbarischen Prozedur wird Kindern/Mädchen/Frauen, ohne Narkose, die Klitoris abgeschnitten und die Vagina bis auf eine winzige Öffnung vernäht. Selbst aus gnädiger Vogelperspektive zeigt sich diese Genitalverstümmelung hier als extrem grauenvoll. (Und wir erfahren später, daß diese Misshandlung, die inzwischen in vielen Ländern als Straftat geahndet wird, heute immer noch gang und gäbe ist; geschätzte 6000-mal täglich; darunter auch hierzulande). Waris Dirie erreicht mit ihrem Geständnis gewaltige Aufmerksamkeit. Weltweit. Und wird zur engagierten Botschafterin in Protest und Mitgefühl: Am Ende lauschen viele Zuhörer ihren Worten, als sie vor der UNO in New York von ihren Erlebnissen berichtet. Und sich für ein vehementes Verbot der unmenschlichen Prozedur einsetzt: „Ich habe es überlebt, meine beiden Schwestern nicht“.

Auf meinem Zettel stehen nach der Pressevorführung die Worte: „ERREICHT DAS HERZ!“ „Wüstenblume“ oder: ein bewegender, ein nahegehender, ein hochemotionaler, ein großartiger Menschen-Film. Das ergreifende Porträt einer außergewöhnlichen Frau. Ihr „Werdegang“, ihr Lebensweg, nicht linear, sondern mit Zeitsprüngen; beginnend am Tag der Flucht aus der somalischen Botschaft in London. Mit Rückblenden zu früheren Ereignissen. Dabei völlig unaufgeregt, eher angenehm langsam, behutsam erzählt. Ein „Kennenlernen“ ist möglich. Unter Vermeidung jedweder Effekthascherei, Spekulation, Aufdringlichkeit. Wenige sentimentale Spuren, sondern wunderbar dezent wie eindrucksvoll UNTERHALTSAM: „Wüstenblume“ ist – Gott sei Dank – kein Betroffenheitswerk, kein Jammer-Melodram oder ein Kampagnenfilm, sondern ein ganz und gar STARKES DRAMA, das unter die Haut geht. Ohne irgendwo verlogen, kitschig, albern, denunzierend oder oberflächlich zu sein bzw. zu wirken. Als großes Emotionskino.

Mit einer phantastischen Hauptdarstellerin LIYA KEBEDE. Mit der 1978 in Addis Abea geborenen Äthoperin, einem internationalen Star-Model, die zuvor in Nebenrollen mitwirkte („Der gute Hirte“; „Lord of War – Händler des Todes“), konnte eine Interpretin gefunden werden, die Waris Dirie nicht nur verblüffend ähnlich sieht, sondern dem Film mit ihrer glaubwürdigen Naivität und ihrer sensiblen Verletzlichkeit eine ganz besondere Authentizität verleiht. WIE sie in diese spannende Frau hineinschlüpft und körpersprachliche Seelenverwandtschaft zu Waris Dirie herstellt, ist ebenso grandios einfühlsam wie aufwühlend-beeindruckend.

Fazit: In dieser überzeugenden Mischung aus „Entertainment“ und Anliegen ist attraktives, modernes GROßES UNTERHALTUNGSKINO angesagt. Das Herz und Hirn wunderbar beschäftigt/„aufregt“ (= 5 PÖNIs).

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