WELT AM DRAHT (1973)

Was wäre wenn??? Was wäre, wenn wir alle nicht “existieren“ würden? Wenn wir nur Marionetten von etwas “Höhermächtigen“ wären? Wenn wir “Ziehpuppen“ eines Supercomputers oder eines Systems wären? Wenn wir stets nur “deren Anordnungen“ ausführen würden, ohne es zu merken? Wenn wir “menschliche Puppen“ wären, die nur dazu da sind/geschaffen wurden, um “Anweisungen/Befehlen/Anordnungen/Wünschen“ “von woanders“, einer “höheren Ebene“, automatisch zu folgen? Irre, nicht wahr? Aber völlig unDENKbar?

Keineswegs. “Blade Runner“ (1982) oder später “Matrix“ (1999/2003) haben dies filmisch bereits gedacht bzw. verarbeitet. Aber auch RAINER WERNER FASSBINDER (1945- 1982). DER schuf nämlich Anfang der 70er Jahre einen filmischen Zweiteiler für die ARD über Sein und Schein inmitten einer total vernetzten, virtuellen Welt. Dieser insgesamt 204minütige Film wurde zwischen Januar und März 1973 an 44 Drehtagen in Paris realisiert und lief im Ersten Programm am 14. +16. Oktober 1974 – und war seitdem (aus rechtlichen Gründen) nicht mehr zu sehen. Bei der soeben zu Ende gegangenen Berlinale kam der Film nach über drei Jahrzehnten endlich wieder zum Vorschein. Innerhalb des “Berlinale Special“ Programms lief er, In einer nunmehr restaurierten Fassung, erstmals auf der Leinwand. Unter Federführung des damaligen Fassbinder- und späteren Hollywood-(“Scorsese“-)Kameramanns MICHAEL BALLHAUS (“GoodFellas“; “Gangs of New York“; “Departed“) und mit Hilfe der “Fassbinder Foundation“, die auch schon für die restaurierte Fassung des TV-Mehrtellers “Berlin Alexanderplatz“ sorgte, sowie mit Unterstützung des “Bundeskulturstiftung“ wurde der TV-Film digital wiederbelebt. Jetzt Ist er, als “Arthaus Premium“, mit zwei DVDs, auch auf dem DVD-Markt angekommen. Dabei handelt es sich natürlich um das Film-Juwel:

WELT AM DRAHT“ von Rainer Werner Fassbinder (Co-B+R; BRD 1973; Co-B: Fritz Müller-Scherz; nach dem Science-Fiction-Roman „Simulacron-3“ von Daniel F. Galouye von 1964; K: Michael Ballhaus; Ulrich Prinz; M: Gottfried Hüngsberg; Titelmelodie: „Albatross“ von Fleetwood Mac; 204 Minuten /99 + 105 Minuten/; im Rahmen der Berlinale 2010 hatte eine restaurierte Fassung, die unter der künstlerischen Restaurierungs-Leitung von Michael Ballhaus entstand, in der Reihe Berlinale Special am 14. Februar 2010 ihre Welturaufführung; Doppel-DVD-Veröffentlichung dann ab: 18.02.2010).

“Welt am Draht“ basiert auf dem 1964 erschienenen Science-Fiction-Roman “Simulacron-3“ des amerikanischen Journalisten und Schriftstellers Daniel F. Galouye (1920-1976). Und spielt im Film in den aktuellen 70er BRD-/Westeuropa-Jahren. Da gibt es das “Institut für Kybernetik und Zukunftsforschung (lKZ)“. Dort wurde ein Spitzencomputer namens “Simulacron-1“ entwickelt. DER ist imstande, eine ganze Welt künstlich zu simulieren. Diese virtuelle Realität läuft rund um die Uhr und wird von sog. “Simulationseinheiten“ bevölkert. Diese führen in etwa dasselbe Leben wie Menschen und besitzen ebenso ein Bewusstsein. Außer einer “Kontaktperson“ allerdings wissen diese simulierten Menschen nicht, dass sie und ihre Welt gar nicht “existieren. Nachdem der Leiter des Instituts, Professor Henry Vollmer, offensichtlich Selbstmord begangen hat, wird sein engster Mitarbeiter, Fred Stiller (KLAUS LÖWITSCH), zum neuen Direktor ernannt. Und muss sich sogleich mit “merkwürdigen Begebenheiten“ befassen, auseinandersetzen.

Mitarbeiter verschwinden plötzlich, sind jedoch “amtlich“ unbekannt. Während Stiller sowieso davon überzeugt ist, dass Vollmer keineswegs sich selbst umgebracht hat, sondern Opfer eines Verbrechens wurde, und demzufolge eigene Nachforschungen anstellt. Und während er dies vehement tut, ereignen sich innerhalb der Computersimulation seltsame Dinge. Einer Simulationseinheit gelingt es zum Beispiel, in den realen Körper eines Menschen zu schlüpfen, was bis dato als völlig unmöglich galt. Gut, der “Schaden“ wird entdeckt und kann “behoben werden. Aber irgendwas ist hier im Gange, das Stiller mehr oder weniger langsam „wahnsinnig“ werden lässt. Zudem wird inzwischen am Institut über die Nutzung der Forschungsergebnisse politisch diskutiert (wir sind in den 70ern, nicht vergessen). Stillers Vorgesetzter, Herbert Siskins, will, dass die Forschungsergebnisse der Industrie, einem internationalen Stahlkonzern, zur Verfügung gestellt werden. Was Proteste auslöst. Aber was ist hier eigentlich wirklich los? Stiller zermürbt langsam: Ist er paranoid? Setzt ihm der Stress psychisch so zu, dass er zeitweise seine Wahrnehmungen verliert? Was passiert um ihn herum und mit ihm WIRKLICH?

Die Manipulation von Meinungen und Wahrnehmungen, die Allmacht der Konzerne, das “Spielen“ mit “beeinflussbaren Menschen“, Technik als Bedrohung…; Fassbinder setzte dies zeitgemäß wie futuristisch um. Mit viel Edelstahl, Plastik-Mobiliar, einer sterilen, düsteren, bedrohlich wirkenden Architektur und ständig surrenden Computer-Anlagen. Eine abartig schicke, aber total kalte Welt. In der die Figuren surreal wirken, auftreten, wie “unecht“, zudem verstört seine bisweilen irritierend holprige, bewusst avantgardistische Atmo-Inszenierung. “Welt am Draht“ ist heute ein faszinierender Fiction-Abenteuer-Thriller. Aus jenen 70er Tagen…

Fassbinder bediente sich klassischer Genre-Motive, um – in/mit Handarbeit, also ohne die gängigen Tricks und digitalen Trickmöglichkeiten von heute, einen spannenden Film über Manipulation und Korruption/Gier zu drehen. Zeitlos aktuellen Themen, wie wir wissen. Dabei versammelte er hochkarätiges Personal um sich und brachte sie auf darstellerische Hochtouren: Namhafte deutsche Schauspieler wie KLAUS LÖWITSCH, BARBARA VALENTIN, KARL-HEINZ VOSGERAU, MASCHA RABEN, GÜNTER LAMPRECHT, ULLI LOMMEL (wird gerade im ‘Spiegel‘ über ein längeres Interview porträtiert), ADRIAN HOVEN, IVAN DESNY, JOACHIM HANSEN, RUDOLF LENZ oder INGRID CAVEN, GOTTFRIED JOHN, MARGIT CARSTENSEN und KURT RAAB oder EDDIE CONSTANTINE, PETER KERN und WALTER SEDLMAYR waren “so“ damals eine Entdeckung. Fassbinder “gestaltete“ sie bisweilen gegen ihre bisherigen Rollen- Klischees und ließ sie interessant “anders- laufen“. Schnulzen-Akteure wie Adrian Hoven (“Kaiserjäger“) und Rudolf Lenz (“Der Förster vom Silberwald“) oder die damalige Busen-Ikone Barbara Valentin (“Ein Toter hing im Netz“) waren plötzlich “ganz anders“ drauf und entpuppten sich als vielseitige, spannende Charaktermimen.

Der Rückblick auf ein bislang weitgehend unbekanntes Fassbinder-Filmwerk jedenfalls wird jetzt auf DVD zu einem tollen neuen Erleben. Ergänzend sei auch auf das beachtliche
Bonusmaterial mit filmhistorischen Dokumenten, einer Fotogalerie und 2 Kurzfilmen von Rainer Werner Fassbinder (“Das kleine Chaos“ + “Der Stadtstreicher“) von DAMALS hingewiesen, was das aktuelle Fassbinder-Ereignis “extra-gut“ abrundet. “Welt am Draht“ oder – was für eine brillante Entdeckung (= 5 PÖNIs).

Anbieter: “Kinowelt Home Entertainment“

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