VORWÄRTS IMMER!

PÖNIs: (4/5)

„VORWÄRTS IMMER!“ von Franziska Meletzky (Co-B + R; D 2016; Co-B: Markus Thebe, Philipp Weinges, Günter Knarr; K: Bella Halben; M: Eike Hosenfeld, Moritz Denis; 90 Minuten; deutscher Kino-Start: 12.10.2017); es ist eine berühmte DDR-Losung: „Vorwärts immer! Rückwärts nimmer“. Stammt aus der Gründerzeit der DDR und wurde von Erich Honecker in seiner Festansprache zum 40. Jahrestag der DDR am 7. Oktober 1989 zitiert. Der Film setzt zwei Tage später ein, am frühen Morgen des 9. Oktober 1989. Wo man sich im Theater in Ost-Berlin „was traut“. Man beabsichtigt, angesichts der ständigen und zunehmenden und nicht mehr „zu übersehenen“ Unruhen im Land, am Abend ein zeitkritisches Stück mit dem Titel „Vorwärts immer!“ aufzuführen. Als „Überraschung“. Darin im Blickpunkt: Das Zentralkomitee der Einheitspartei SED. Mit den ganzen alten Bonzen. Für den Honecker-Darsteller Otto Wolf (JÖRG SCHÜTTAUF) zugleich Risiko wie Chance. Endlich mal an der Rampe stehen und Wahrheiten zeigen und sagen. Doch der Schiss zieht sich durchs Ensemble. Zumal man sich auch hier nicht sicher vor „Beobachtern“ ist. Sein oder Nichtsein, so lautet fortan die – hintergründige – Dauer-Frage. Motto: Es darf vehement improvisiert werden. Bei diesem „lispelnden“ Wechselspiel. Von Situationen und Gefühlen. Beziehungsweise umgekehrt.

Anne, Otto Wolfs schwangere Tochter (JOSEFINE PREUß), will – mit gefälschtem Westpass – die Republik verlassen. Zu ihrer Mutter in den Westen abhauen, die vor Jahren dorthin abgeschoben wurde. Natürlich ist der Herr Papa, ein eigentlicher Duckmäuser und Karrierist, dagegen und stellt sie, noch ganz in der Honecker-Bühnen-Maske, vor dem Theater zur Rede. Was zwei Stasi-Kundschafter im Auto „aufstößt“. Motto: Issers oder issers nicht? Der Honecker? In der Folge überstürzen sich die Ereignisse. Sowohl im Theater wie auch und viel „draußen“. Sowohl in Ost-Berlin wie auch in Leipzig, wo für den Abend eine Großdemonstration angekündigt ist, wie auch in Wandlitz, wo Honecker-Ehefrau Margot (HEDI KRIEGESKOTTE) die heimischen wie auch die politischen Fäden zieht und es auf einmal mit gleich zwei Erichs zu tun bekommt.

Der eine sucht seine Pantoffeln, der andere will den Schießbefehl für Leipzig aufheben.

Komik resultiert aus überspielter Angst. Wie hier. Fast alle haben „die Hosen“ gestrichen voll, bemühen sich um opportunistische Vorteile oder haben einfach die Faxen dicke oder reagieren frei nach mutigem Risiko-Empfinden. Listig couragiert. Ängstlich tapfer. Verzweifelt. „Auferstanden“. Dabei entsteht keine plumpe filmische Schenkelklopfer-Arie, sondern eine mit viel „britisch-unlikem“ Schmunzel-Humor durchsetzte Anarchie um aufgebrachte Bürger, perplexes Führungspersonal und irritierte Uniformierte. Im DDR-Oktober von 1989. Anlässlich von diversen Verwechslungen mit haarsträubenden Auswirkungen. Motto: Als alles in der DDR anfing, endgültig zusammen zu brechen. Dabei schwingt Spieß-Bürger „Loriot“ („Ödipussi“) ebenso mit wie – entfernt – ein formidables Ernst Lubitsch-Zwinkern („Sein oder Nichtsein“/1942).

Das Schwerste: eine clevere Komödie. In der die wortwitzige Doppelbödigkeit an der chaotischen Slapstick-Front ernsthaft juxt. Manchmal pointiert, manchmal solchermaßen bemüht. Aber auch bei bisweilen klamottigen Details – fast immer noch auf erheblichem Spaß-Niveau. Mit viel Retro-„Dingen“ („Creme 21“ gegen Udo Lindenberg-LP) und einem köstlich aufblühenden Ensemble. Das diese oberste Kleingeistigkeit, sprich: das Politbüro, hervorragend = auf den Grau-Punkt genau, herauskitzelt, während der Nachwuchs längt schon unterwegs ist, sein „Eijen-Ding“ durchzuziehen.

JÖRG SCHÜTTAUF, geboren am 26. Dezember 1961 in Karl-Marx-Stadt, von 2001 bis 2010 im ARD-„Tatort“ der Frankfurt-West-Hauptkommissar Fritz Dellwo, mimt den doppelten Nuschel-Greis Honecker in einem Ulk-Guss. Phantastisch sprach-vibrierend. Frau Margot, die tückische Ost-Mutti-Chefin, wird von der aus Oberhausen stammenden HEDI KRIEGESKOTTE als personifizierte Frau Misstrauen ausgestattet, die schließlich ein „Echt-Kuss“ kurzzeitig aus ihrer Verbitterung reißt. Der aus Potsdam stammende, sich in der „heute-show“ als Außenreporter und Experte Albrecht Humboldt einen ulkig-guten Namen machende Potsdamer Schauspieler ALEXANDER SCHUBERT tänzelt figürlich einen umwerfend eitlen „Egon Krenz“ ab. Während „Anne“ = JOSEFINE PREUß („Türkisch für Anfänger“) für die porösen Gefühls“angelegenheiten“ sorgt und einen beklemmenden wie dann grandios-lustigen Glanzauftritt als weiblicher Clown auf DDR-Landstraße mit Volkspolizei hinlegt. Ach ja, zu den Namhaften zählt auch noch DEVID STRIESOW als Harry Stein, der auf der Bühne gegen Otto antritt, sich hier für den „besseren Staatsratsvorsitzenden“ hält und nicht ahnt, dass ausgerechnet sein Sohn Matti (MARC BENJAMIN) Ottos Tochter geschwängert hat.

Eine schön-bitter-komische Persiflage. Mit Ost-deutschem Kuddelmuddel, ernsthaften Zwischentönen (in Leipzig) und viel „Köpenick“-Witzigkeit durchsetzt. Wobei eben Jörg Schüttauf als „Hauptmann Erich“ eine Masken-starke Sprach- und Bewegungs-Wucht ist. FRANZISKA MELETZKY, Jahrgang 1973, aus Leipzig, hat es vermocht und geschafft, eine deutsche Komödie prima in Gang und Schwung zu bringen, die lachhaft-pikant zündelt und zündet (= 4 PÖNIs).

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