QUEEN OF KATWE

PÖNIs: (4,5/5)

„QUEEN OF KATWE“ von Mira Nair (USA 2015; B: William Wheeler; nach dem gleichn. Roman von Tim Crothers/2012; K: Sean Bobbitt; M: Alex Heffes; 124 Minuten; deutscher Kino-Start: 20.04.2017); Märchen sind etwas Schönes, und wahre Märchen ganz etwas Wunderbares. Lebens-Besonderes. Dies ist eine Geschichte, die auf märchenhaften Tatsachen basiert.

„DAS LEBEN IST EINE PARTIE SCHACH“ (Miguel de Cervantes).

Der Ort, um es höflich zu formulieren, ist nicht der geeignete für ein junges Mädchen, um im Leben durchzustarten: KATWE. So heißt ein Slum-Gebiet am Rande von Ugandas Hauptstadt Kampala. Dort wird 1996 PHIONA MUTESI geboren. Sie ist drei Jahre alt, als ihr Vater an AIDS stirbt. Kurz darauf stirbt auch ihre ältere Schwester Julia. Ihre Mutter kann das Geld für Schule und Bildung ihrer Tochter nicht aufbringen, mit 9 Jahren kann Phiona Mutesi weder lesen noch schreiben.

2005. Das tägliche „normale“ Betteln um Nahrung. Der Zufall will es, dass Phiona auf Robert Katende (DAVID OYELOWO) trifft. Beziehungsweise er auf sie (aufmerksam wird). Katende ist Fußballspieler, Missionar und leidenschaftlicher Schach-Spieler. Und -Lehrer. Täglich schart er eine Gruppe von Kindern um sich, um ihnen dieses Spiel und somit die Fähigkeiten von Konzentration, strategischem Denken und Mut zum Risiko beizubringen. Und auch: Damit sie sich Selbstvertrauen aneignen. Wir ahnen es, Phiona Mutesi (MADINA NALWANGA) zeigt sich und erweist sich als Naturtalent. Dies ist die positive Seite dieser erstaunlichen Geschichte.

Die andere lautet: Wie soll sich solch eine außergewöhnliche Schach-Begabung innerhalb einer von Männern dominierten, snobistischen „Welt“ und vor allem innerhalb ihrer Familie durchsetzen, dort, wo es – bislang – nur darum ging und geht, genügend Nahrung zum täglichen Überleben zu besorgen? Dazu: die Selbstzweifel. Natürlich. Doch Phiona hat auch „Blut“ geleckt, und „Trainer“ Robert Katende unterstützt sie wo und wie er nur kann, damit sie ihr begnadetes Brettspiel-Talent voll ausspielen kann und sie dadurch aus ihrem schäbigen Lebens-Kreislauf endlich herauszukommen vermag.

Die Rechnung geht schließlich auf. Dieses afrikanische Mädchen, das „eigentlich“ keine Chance für Sonstwas hatte, steigt auf. Mit 11 Jahren gewinnt sie die Junioren-Meisterschaften des Landes, mit 15 wird sie nationale Schach-Meisterin von Uganda. Nimmt an internationalen Wettbewerben teil; 2010 ist sie bei der Schach-Olympiade im russischen Chanty-Mansijsk mit-dabei.

Am 10. Januar 2011 veröffentlicht der US-amerikanische Autor und Sportjournalist TIM CROTHERS in der Fachzeitschrift „ESPN“ den Artikel „Game of her life“ über Phiona Mutesi. Ein Jahr darauf erscheint sein Buch „The Queen of Katwe“, das 2012 hierzulande unter dem Titel „Das Schachmädchen – Der erstaunliche Weg der Phiona Mutesi“ herauskommt. „Disney“ kaufte dieses Buch auf, um es zu verfilmen. Für den hervorragenden Film, der jetzt in Deutschland anläuft, wird allerdings nicht geworben (und es gab auch keine Pressevorführungen).

Natürlich: Was läuft alles im Kopf ab, wenn man dies liest bzw. hört? Gedankliche wie emotionale Tränen allerorten! Beschönigender Kitsch! Patriotismus pur à la „Der amerikanische Traum von Uganda“! Phiona Mutesi, d i e neue Disney-Prinzessin! Glauben Sie mir, NICHTS VON ALL-DEM geschieht hier. Dazu ist die indisch-stämmige New Yorker-Regisseurin MIRA NAIR viel zu klug, clever, intelligent, als dass sie auf puren Gefühlsfilmmatsch setzen würde. Ganz im Gegenteil: Ihr Spielfilm überhöht nicht marktschreierisch, verklärt schon überhaupt nicht, sondern gewinnt durch enormes, aufrechtes Einfühlungsvermögen und ein unterhaltsames junges Mädchen, das nicht dauer-trauert, sondern als Frohnatur gewinnt. „The Queen of Katwe“ ist kein Klagelied mit Happy-End, sondern der optimistische kämpferische Blick auf die eigenen Fähigkeiten und Möglichkeiten, die Phiona Mutesi für sich zu entdecken und schließlich zu nutzen weiß. Eine individuelle, außerordentliche Menschen-Schicksal-Geschichte, die die „schlimme Umwelt“ nicht ignoriert (wie AIDS, Armut, früher Tod), diese aber nicht heroisch „benutzt“, um sie effektvoll zur „amerikanischen Anklage“ zu erheben. Dies alles passiert NICHT. Stattdessen gelingt es Regisseurin MIRA NAIR – populär auch bei uns geworden mit ihren Filmen „Salaam Bombay!“ (1988/“Goldene Kamera“ bei den Filmfestspielen von Cannes sowie „Publikumspreis“); Monsoon Wedding“ (2001/“Goldener Löwe“ Venedig-Festival + „Golden Globe Award“) sowie auch mit „Amelia“(2010; s. Kino-KRITIK) -, unaufdringlich wie einfühlsam davon zu erzählen, wie das Schachspiel „Leben“ beeinflussen kann: „Schach lehrt dich, Situationen zu bewerten, Entscheidungen zu treffen, Probleme zu lösen. Jede Herausforderung als Chance zu sehen – und nach Möglichkeit nicht aufzugeben. Die Disziplin, die Geduld … alles, was mit dem Leben zu tun hat, kann man in diesem Spiel finden“ (Phiona-Förderer Robert Katende im Buch von Tim Crothers).

Neben den prominenten Akteuren DAVID OYELOWO (= der Martin Luther King in „Selma“) als Robert Katende und „Oscar“-Preisträgerin LUPITA NYONG‘O („12 Years a Slave“) als Mutter Harriet ist die junge, unbekannte MADINA NALWANGA überragend in der sensiblen Eindringlichkeit, mit der sie diese wunderbare Phiona-Persönlichkeit auf den Körper- und Seelen-sprachlichen Punkt-genau nachempfindet. Eine „Oscar“-Nominierung wäre absolut verdient gewesen.

Nach „Bauernopfer“ von Edward Zwick und dem neuseeländischen Ereignis „Das Talent des Genesis Potini“ von 2013 (s. Kino-KRITIK) haben wir mit „QUEEN OF KATWE“ erneut ein meisterliches „Schach-Mensch-Movie“ im Kino-Angebot – ein treffsicheres, faszinierendes Genre wurde klasse reaktiviert (= 4 1/2 PÖNIs).

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