Das Talent des Genesis Potini

DAS TALENT DES GENESIS POTINI“ von James Napier Robertson (B+R; Neuseeland 2013; K: Denson Baker; M: Dana Lund; 124 Minuten; Start D: 16.06.2016); auch in Neuseeland gibt es natürlich die alljährlichen hauseigenen „Oscars“, hier: „New Zealand Film Awards“ genannt. „The Dark Horse“, so der Originaltitel, räumte bei der Preisvergabe für 2014 gleich 6 hochkarätige Trophäen ab, darunter für den „Besten Jahresfilm“, „Beste Regie“ und „Bester Hauptdarsteller“. Seitdem wurde der Film auf zahlreichen internationalen Filmfestivals gezeigt; erntete dabei viel Lob und bekam reichlich Anerkennung. Bei der jetzigen Kinobegegnung zeigt sich, dass diese enormen Vorschusslorbeeren absolut verdient sind. „Das Talent des Genesis Potini“ entpuppt sich als ein faszinierendes Film-Erlebnis. Mit Meisterwerk-Charisma.

„Das Leben ist eine Partie Schach“ (Miguel Cervantes).

Auf den allerersten Blick ist Genesis Potini kein Mann, den man unbedingt näher kennenlernen möchte. Im Gegenteil, diesem in die Jahre gekommenen bulligen Typen mit dem kahlgeschorenen Kopf, den Zahnlücken und seinem ständigen Vor-sich-hin-Gemurmel umgibt eine bedrohliche Aura. Genesis ist Maori, zählt zum Volk der neuseeländischen Ureinwohner, wuchs – als nicht weißer „Dazugehöriger“ – im unteren Gesellschaftsmilieu Neuseelands auf. Lernte früh Prügeln und Saufen als „Artikulation“ beziehungsweise Frust-Abbau kennen. Genesis Potini ist krank. Übersetzt: Manisch-depressiv. Mit vielen „Störungen“. Seine letzte Chance ist die ständige Einnahme der verordneten Tabletten sowie sein Bruder Ariki (WAYNE HAPI). Der „übernimmt“ ihn – widerwillig – aus der Psychiatrie, wo Genesis seit Jahren des Öfteren Patient war, und bringt ihn in seinem schäbigen Nichts unter. In der abgelegenen Heimatgemeinde Gisborne. Familienbande. So was. Aber Stabilität-Bekommen, feste Strukturen annehmen, in solch einem Unterschichten-Milieu? Ariki ist Chef einer aggressiven, kriminellen Biker-Gang, was für Genesis alles andere als lebens- und gesundheitsfördernd ist. Zudem muss er mit ansehen, wie der Bruder seinen bald 15jährigen Sohn Mana JAMES ROLLESTON) auf dessen baldige „traditionelle Eingemeindung“ in die brutale Gang vorbereitet.

Alles also aussichtslos? Scheint so. Bis Genesis d i e Überlebens-Chance entdeckt. Und ergreift. Stichwort: Seine Leidenschaft, sein sagenhaftes Talent mit bzw. beim Schach-Spielen. Genesis beherrscht das Spiel der Könige wie ein Meister. In einem heruntergekommenen kleinen Club-Raum kommen täglich „aussichtslose“ Kids zusammen, um abzuhängen. Anfangs hämisch belächelt, will Genesis es wissen: Wenn ihr mitmacht, bringe ich euch das Schach-Spiel richtig bei. Und führe euch sogar hin zu einem Wettbewerb ins „weiße“ Auckland. „The Eastern Knights“ nennen sie künftig ihren Schach-CLUB. Wie bekloppt ist das denn, lautet natürlich die breite Reaktion. Drumherum. Aber Genesis hat „Blut“ geleckt. Sieht hier endlich eine Chance. Für sich und vor allem aber für diesen chancenlosen Nachwuchs. Dabei bringt er die Mythen der Maori-Kultur mit ein; bezeichnet diese kleine Gemeinschaft als „Whanau“: Familie. In die würde er aber auch seinen Neffen Mana integrieren, aber dabei stößt Genesis auf Granit. Buchstäblich. Der Junge ist als künftiger Gang-Sklave bereits fest „verplant“.

Du hast keine Möglichkeiten, also nutze sie? Solch eine („amerikanische“) Helden-Story? Überhaupt nicht. Ganz und gar nicht. An keiner Stelle. „Das Talent des Genesis Potini“ zeigt sich fernab von Kitsch und „dream“-Rührseligkeit als spannende neuseeländische Underdog-Geschichte mit Realismus-Geschmack. Ohne „Färbung“. Oder trockene Ideologie-Breitseiten. Kraftvoll und sensibel zugleich erzählt dieser ungemein nahegehende, unkonventionelle Film eine authentische Geschichte von Selbstfindung und Mut, von Hoffnung in schwierigster Situation und Verantwortungsübernahme. Für andere, für sich. Ohne großes Getöse und „Rocky“-Fanfaren. Und schon gar nicht im üblichen 08/15-US-Film-Stil, erst Problem, ach herrje, dann schnelle, erfolgreiche (märchenhafte) Problembeseitigung, sondern als packendes menschliches Drama. Bei dem vieles nicht vorhersehbar ist. Was die mitreißende Faszination ausmacht.

IHN gab es wirklich, GENESIS POTINI. Geboren am 5. September 1963, verstorben am 15. August 2011. Eine lokale Berühmtheit in seiner Heimat, die zur landesweiten Legende wurde. Genesis Potini stand bereits 2003 im Mittelpunkt des Dokumentarfilms „Dark Horse“ von Jim Marbrook, der 2005 als „Bester neuseeländischer Dokumentarfilm“ ausgezeichnet wurde. Der – nach „I’m Not Harry Jenson“ (2009) – zweite Spielfilm des (zur Drehzeit) 31jährigen neuseeländischen Autoren-Regisseurs JAMES NAPIER ROBERTSON folgt seinen fiebrigen Ghetto- und Underdog-Spuren und erreicht eine enorme Spannungsdichte dank CLIFF CURTIS. Der 45jährige neuseeländische Schauspieler, bekannt aus einheimischen Produktionen wie „Jubilee“ und vor allem „Whale Rider“ (2002), der in Hollywood des Öfteren für lateinamerikanische- oder arabischstämmige Neben-Filmfiguren verpflichtet wird („Training Day“; „Stirb langsam 4.0“; „Colombiana“), besitzt als Genesis Potini eine ungeheure Ausstrahlung und „verrückte“ Energie. Kriecht tief hinein in die polarisierenden Poren dieses bemerkenswerten „defekten“ Menschen. Verleiht ihm unkontrollierte Adrenalin-Power wie unaufgeregte Würde-Züge. Ist einfach überzeugend in diesem authentischen Zwiespalt aus Kaputt und Norm. Was für eine ungeheure Performance von CLIFF CURTIS!

Sollten Sie den Wunsch verspüren, wieder einmal einem überragenden „anderen“ Film begegnen zu wollen, sind Sie bei „DAS TALENT DES GENESIS POTINI“ aber so etwas von Herz- & Spannungs-Richtig… (= 4 ½ PÖNIs).


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