SWEET VIRGINIA

PÖNIs: (4,5/5)

„SWEET VIRGINIA“ von Jamie M. Dagg (Kanada/USA 2016; B: The China Brothers (= Paul und Ben China); K: Jessica Lee Gagné; M: Will Blair, Brooke Blair; 89 Minuten; deutsche Heimkino-VÖ: 25.01.2018); und wieder einmal stellt sich die Frage, warum sich das hiesige Kino „einen der besten Thriller des Jahres“ („Variety“) hat entgehen lassen. Er bietet ein sehr atmosphärisches, knackiges Brother-Coen-Menü mit originellen Tarantino-Zutaten als cleveres, exzellentes Independent-B-Meisterwerk.

Das in der amerikanischen Provinz in Alaska angesiedelt ist. Wo sich noch spannende Geschichten erzählen lassen. Die hier lässt sich „ruhig“ an, obwohl von Anfang an dieses beklemmende Gefühl von „Kribbeln“ im Raum aufkommt. Mitschwingt. Nach dem Motto „Irgendetwas stimmt hier nicht“. „Passiert gleich“. Eine latente bedrohliche Stimmung ist aufzunehmen, ohne dass sie zunächst identifizierbar ist. Der Einstiegs-Ort: Eine schöne geräumige Diner-Pinte. Nach Betriebsschluss. Drei Männer, offensichtlich befreundet, sitzen an einem hinteren Tisch, spielen Karten und quatschen. Ein Fremder (CHRISTOPHER ABBOTT), offenkundig nervös, stakst herein, wir blicken auf und in „gestörte Augen“, und tatsächlich: Er erschießt die friedlichen Männer am Tisch wie selbstverständlich. Schnitt. Lila (IMOGEN POOTS), eine örtliche Kind-Frau, war die Auftraggeberin. Sie wollte aber nicht, dass Killer Elwood alle niedermäht, sondern nur ihren Ehemann. Lila ist scharf auf „die Erbschaft“. Glaubt, dass ihr – nunmehr „abhanden“ gekommener – Gatte reich war. Was sich als Irrtum erweist. Deshalb vermag sie Elwood nicht zu bezahlen. Was diesen so langsam in Rage bringt. Vorläufig jedenfalls mietet er sich im Motel von Sam (JON BERNTHAL) ein. Einem ehemaligen und müde gewordenen Rodeo-Champion. Sam, der Softie, will keinen Stunk und hat sich für eine friedliche Existenz und Kooperation  entschieden. Auch bei lärmenden aggressiven Mietern. Motto: Lieber ‘raushalten als auf Krawall setzen. Er und Elwood werden so etwas wie Kumpel. Zufällig. Männergespräche und so etwas. Ohne dass Sam ahnt, mit wem er es hier zu tun hat. Währenddessen läuft im Radio gerade die große Moral-Diskussion: Ist/Befindet sich Amerika außer Kontrolle? „Man erntet, was man sät“, äußert sich Elwood dazu.

Alles könnte so ruhig-normal sein, lauten die unterschwelligen Signale. Gäbe es nicht diese ewige verdammte Gier, diese provokante Unmoral, diese immer wieder auftauchenden Störenfriede, die eine Gemeinschaft kaputtzumachen versuchen. Für eine handvoll Dollar mehr.

„Sweet Virginia“ ist ein furioses Kammerspiel des Bösen. Konsequent durchdacht, bravourös erzählt, mit einer physischen wie psychologischen Dauer-An-Spannung durchsetzt. Von einem Klasse-Ensemble schmutzig klimatisiert und mit zynischer Ironie begleitet. Man würde zu gerne „unschuldig“ bleiben, doch die Umstände bewegen sich anders. Selbst hier, in der amerikanischen Abgeschiedenheit. „Sweet Virginia“, ein vorzüglicher Neo-Noir-Thriller, in dem die „amerikanische Lösung“ aller Probleme, die Gewalt, ad absurdum pointiert wird. Jon Bernthal, 41, bekannt als aufbrausender Ex-Cop Shane Walsh aus „The Walking Dead“ und als „Punisher“ Frank Castle in Staffel 2 von „Daredevil“, darf hier – auch äußerlich – „ruhiger“ schalten und walten und hat sich dafür einen „gemütlichen Bart“ wachsen lassen. Doch als er im Übermaß gereizt wird, benötigt er doch diese legendäre Flinte, die im Motel im Empfangsraum an der Wand hängt, und die einst sein Großvater als Soldat aus Nazi-Deutschland mit nach Hause brachte. Neben den beiden männlichen Leitwölfen Christopher Abbott als Muttersöhnchen-Killer („Ich arbeite“; „Ich hab‘ dich lieb“) und eben „Unschuldslamm“ Jon Bernthal sorgen mit Imogen Poots als hinterlistiger weiblicher Deibel und die einmal mehr famose ROSEMARIE DeWITT als Sam-Freundin Bernadette auch zwei starke und völlig gegensätzliche Frauen für das empfindliche emotionale Gleichgewicht.

Ganz klare Sicht: „SWEET VIRGINIA“ ist ein Muss-Film im hiesigen aktuellen Heimkino-Angebot (= 4 1/2 PÖNIs).

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