STAND BY ME – DAS GEHEIMNIS EINES SOMMERS

PÖNIs: (5/5)

„STAND BY ME – DAS GEHEIMNIS EINES SOMMERS“ von Rob Reiner (USA 1986; B: Bruce A. Evans, Raynold Gideon; nach der Kurzgeschichte „Die Leiche“ von Stephen King/1980; K: Thomas Del Ruth; M: Jack Nitzsche; 89 Minuten; deutscher Kino-Start: 26.02.1987).

Castle Rock ist eine kleine Stadt in Oregon. 1.281 Einwohner, darunter beispielsweise ein tollwütiger Bernhardiner namens ‘Cujo‘ oder ein Hellseher namens Johnny Smith, der mit einem einzigen Händedruck in einem Senatskandidaten den künftigen Mörder der Menschheit erkennt. Es ist die Stadt von Stephen King, dem berühmten Autoren vieler aufregender, beunruhigender, alltäglicher Horrorgeschichten. Von hier aus gingen die geheimnisvollen Spannungsgeschichten um die ganze Welt und wurden durch die zahlreichen Verfilmungen (wie u.a. “Carrie – Des Satans jüngste Tochter“, “Cujo“, “Der Attentäter“) zu bildlichen Schrecken. Und hier nimmt auch diese Geschichte ihren Anfang und ihr Ende. Ein Mann (RICHARD DREYFUSS) sitzt in seinem Auto. Neben ihm liegt die Tageszeitung mit der Überschrift: „Rechtsanwalt Chris Chambers erstochen“. Der Mann denkt zurück. Zurück in jene Jahre, als er mit eben jenem Chris Chambers und zwei anderen Jungen das aufregendste Abenteuer seiner ganzen Jugendzeit erlebte. Und wo er zum ersten Mal einen Toten sah.

Es ist an einem Freitagmorgen im September des Jahres 1959. Aus dem Radio plärren Bobby Day (“Rockin‘ Robin“) und Buddy Holly (“Everyday“), während drumherum lähmende Hitze-Langeweile angesagt ist. Kein Tag für große Ereignisse, so scheint es. Aber für die vier Freunde Gordie (WIL WHEATON), Chris (RIVER PHOENIX), Teddy (COREY FELDMAN) und Vern (JERRY O’CONNELL) wird es kein Tag wie jeder andere. Zwar lümmeln sie sich wie immer zurückgezogen in ihrem Baumhaus herum und mimen auf Erwachsen, aber als ihnen Vern, der dickliche, kleine Vern, die Nachricht von einer Leiche bringt, die in der Nähe in einem Wald liegen soll, sind sie elektrisiert. Sehen sich schon als berühmte Helden und Leichenfinder in der Zeitung, sehen das große Abenteuer. Da sich ihre Eltern sowieso kaum um sie kümmern und eher zufrieden sind, wenn sie untergetaucht sind (jedenfalls sagen sie das), fällt es ihnen auch nicht schwer, Ausreden für den großen Trip in die nahegelegenen Wälder zu finden. Neugierig, aber leider auch ohne Proviant, machen sie sich auf den Weg.

Über Schienenstränge, wo noch echte Mutproben zu bestehen sind (mit dem Zugausweichen-Spiel), an einem Schrottplatz vorbei mit einem ekligen Betreiber und seinem keineswegs tollwütigen Hund, am Gemischtwarenladen vorbei, wo sie die letzten Pennies für Lebensmittel ausgeben, wie sie sie mögen (Coke ist dabei). Mit richtigen Gesprächen, wie sie Männer in ihrem Alter führen, wo es ebenso um die schulische Zukunft, die bevorstehende Trennung und die Aufgabe der Freundschaft und kommende Klassenunterschiede geht, wie um die lebens-interessanten Fragen, wann eine Comicfigur echt oder wirklich nur ein Hund ist – und immer auch mit der Zigarette für “danach“, wie sie es aus dem Werbefernsehen her kennen. Das Überqueren einer Schlucht wird zu einer gefährlichen Aufgabe, da nur die schmale Eisenbahnbrücke hinüber führt und natürlich prompt gerade ein Zug auftaucht, als sich Gordie und Vern noch mitten auf der Brücke befinden. Abends am Lagerfeuer erfindet dann Gordie eine seiner beliebten Geschichten. Am nächsten Tag gilt es noch, sich von riesigen Blutegeln zu befreien, die sich bei ihrem kurzen Trip durch den Sumpf an ihnen fest gesaugt haben, dann endlich sind sie am Ziel. Aber Helden haben und brauchen nun mal auch Gegenspieler, auch die Konkurrenz hat nicht geschlafen. Ace Merrill (KIEFER SUTHERLAND) und seine Gang von Kleinstadt-Ganoven, die sich darin befriedigen, Briefkästen umzuhauen und kleine Jungs zu verprügeln. Doch diesmal besitzen die eine Pistole, so dass Ace keine Chance hat. Und der Schluss? Ein Happy End? “Ich hatte niemals mehr so gute Freunde wie einst mit zwölf“, schreibt der erfolgreiche Schriftsteller Gordie Lachance am Ende in seinen Computer. „Du lieber Gott, geht es nicht allen so“, ist der letzte Satz seines Romans.

Stephen King einmal ganz anders. Eingetaucht in seine Jugenderinnerungen beweist der Meister des literarischen Er-Schreckens, dass er auch von einem anderen Genre sehr viel mitzuteilen hat, während daran natürlich sowohl die beiden Drehbuchautoren Raynold Gideon und Bruce A. Evans, sowie Regisseur Rob Reiner den meisten Anteil haben. Denn es ist ihr Film, der soviel so eindrucksvoll mitteilt: Freundschaft.

Es ist die Zeit der Besinnung des Nach-Fragens, des Bilanzierens. Ihr Film wendet sich an die (neue) Publikumsgeneration der 35 bis 40-jährigen ebenso wie an ganz junge Besucher. Die Gratwanderung, von gestern zu erzählen, ohne dabei “dumm zu kommen“, sich zu erinnern, dass es verschiedenen Generationen gemeinsam gefällt (wie der Erfolg in Amerika beweist), ist gelungen. Unterhaltungselemente werden mit ‚Wahrheiten‘ vermischt, die viele so oder ähnlich erlebt haben oder viele gerade erleben. Stationen eines momentanen ‘Aus der Welt-Tretens‘ sensibel und witzig beschrieben. Schon in der Typisierung der Vier.

Gordie, der so interessante Geschichten zu erzählen weiß und den sie zu Hause dafür nicht ernst nehmen; Chris, der aus einem schlimmen Elternhaus stammt und daraufhin schon von der Gemeinde als kommender Krimineller abgestempelt wird; Teddy, der sich am liebsten mit Kriegshelden identifiziert und gerne Draufgängertum beweist, weil sein Vater ihm übel mitgespielt hat; und Vern, der typische Dicke und etwas Behäbige, der immer etwas ängstlich und feige wirkt. Aber ihre Freundschaft kennt noch keine Vorurteile, kennt noch kein erwachsenes Niveau. Freundschaft bei ihnen folgt noch den Regungen des Gefühls, nicht des Gehirns. Egal was die Erwachsenen ihnen auch einzureden versuchen, sie hängen zusammen, verstehen sich trotz vieler Streitgespräche und Raufaktionen prima, mögen sich. Klassengegensätze haben sie zwar wahr-, aber noch nicht ernst genommen. Man mag sich und benimmt sich deshalb noch nicht so engstirnig wie die Älteren. Ihre Unschuld, das ist das Thema des Films, ist noch etwas Wunderbares vom Leben. Aber der Film signalisiert auch schon den Abschluss.

Bald werden sie auf verschiedene Schule gehen, unter “ihresgleichen“ sein, neue Freunde haben. Teddy rät Gordie dringend, trotz aller Anfechtungen bloß nicht mit seinem Schreiben aufzuhören. “Es ist, als ob Gott dir etwas gegeben hätte. All diese Geschichten, die du erfinden kannst. Als ob er gesagt hätte, das ist für dich, Junge. Versuch‘s nicht zu vergessen“. Und Gordie hält sich daran. Schreibt das Buch über seine Clique von einst. Schreibt von dem großen zweitägigen Abenteuer, das mehr war als nur die Suche nach einem toten Jungen. Schreibt über die Erwachsenen, das Unverständnis der Erwachsenen, die Kinder in diesem Alter meistens ungerecht und gemein behandeln. Und erinnert sich auch an die Werte seines jetzt toten Ex-Freundes: “Kinder verlieren alles, wenn nicht jemand da ist und auf sie aufpasst. Und wenn deine Eltern dazu zu bescheuert sind, muss ich es vielleicht tun“. Schreibt über “die Art von Gerede, die einem wichtig erscheint, bis man die Mädchen entdeckt“ und ‘Eis am Stiel‘-Zeiten anbrechen.

“Stand by me“, das ist ein Film des heute 41-jährigen Rob Reiner, Sohn des berühmten Regisseurs Carl Reiner („Tote tragen keine Karos“). Der schon 1985 mit einem bemerkenswerten Jugend-Film “The Sure Thing – Der Volltreffer“ auffiel, der aber bei uns im Kino und auf Video leider viel zu wenig Beachtung fand. Jetzt hat er sein ersten Meisterwerk abgeliefert und wird verdiente Anerkennung bekommen, denn “Stand by me“ werden wir noch in Erinnerung behalten, wenn die anderen 300 neuen Filme dieses Jahres gesehen sind; und darüber hinaus viel länger: der meisterliche Film hat das „Zeug“ zum Klassiker (= 5 PÖNIs).

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