Klein, aber oho

Zwei schrullige Kritiker veredeln regelmäßig das Sat.1-Frühstücksfernsehen mit Expertisen. (aus der Rubrik „Willander sieht fern“ im Magazin „Rolling Stone“, Februar 2012)

Das „Frühstücksfernsehen“ (heißt wirklich so) bei Sat.1 hat viele Fehler. Es hat den nissigen Jan Hahn, den Typ Schwätzer, dem zu allem ein dummer Spruch einfällt. Es hat enervierende Fragespiele, bei denen nie jemand 500 Euro gewinnt. Es macht immerzu Werbung für irgendwelche Sendungen, die am Abend bei Sat.1 oder Pro7 gezeigt werden, und berichtet am nächsten Tag über dieselben Sendungen. Es beschäftigt einen bräsigen Literatur-Vorsteller, der ausschließlich Krimis, Thriller und Schund empfiehlt. Alle Moderatoren blödeln so enthemmt, als hätte man ihnen Ecstasy in den abgestandenen Kaffee geworfen. Doch die Klamaukbude beschäftigt auch einen Weisen. Wer in Hamburg in der Nähe der Max-Brauer-Allee zu Hause ist, der lebt in einer kulinarischen Traumzone: Hier führt Harry Müller seine blitzblanke Imbissstube, die er „lütt’n grill“ genannt hat – „lütt“ steht im Hamburgischen für „klein“.

Harry legt Wert auf Korrektheit – seine Würstchen und Buletten werden nicht in ranzigem Fett gebrutzelt, die Pommes macht er immer frisch in der Fritteuse, mit der Mikrowelle arbeitet er gar nicht. Seit sechs Jahren steht dieser kleine Hamburger vor der Kamera des „Frühstücksfernsehens“: Zunächst überprüfte er nur Imbissbuden, Dönerstände und andere Fast-Food Einrichtungen, schaute renitenten Gaunern auf den Spieß und auf den Grill, entlarvte Pizza-Mafiosi und Schnellgericht- Schurken. Für vorbildliche Ladenführungsvergabe er einen Stern, den die Wirte oft ratlos an die Kacheln klebten – meistens wurde aber eine Verwarnung fällig, denn Sauberkeit, Service, Zubereitung und Zutaten waren dergestalt, dass es eine Sau grauste. Harry kaufte, Harry kaute – oft genug gleich um die Ecke – und kehrte dann zurück, um sein Urteil vor offener Kamera mitzuteilen. Weil Harry wahrheitssüchtig ist, drohten ihm Schmuddelköche mit der Bratpfanne und der Polizei, kaum jemand wollte die Ratschläge hören. Harry Müller bestätigte, was jedermann ahnt: Das Gesundheitsamt, das viel zu selten seine Pedanten in die Geschäfte schickt, kann nichts ausrichten, der Pfusch am Essen ist überall. Weil Harry witzig und wahrhaftig ist, wurde sein Geschäftsbereich auf Kantinen, Jahrmärkte und Spaßrestaurationen ausgedehnt; von Sylt bis nach Oberammergau reichte sein Erhebungsgebiet. Auch hier deckte der Gastro-Detektiv perfide Machenschaften auf, die Günther Wallraffs „Ganz unten“ als Feinschmeckerfibel erscheinen lassen: Nepp, Schludrigkeit und Schmutz fast überall. Über die ordentlichen Betriebe freute sich Harry so, dass er den Köchen um den Hals fiel. Nach Einsätzen auf bayerischen Märkten und in Konditoreien schickte Sat.1 seinen besten Mann mit out of area: In diversen Dokumentationen war auf allen Kanälen über Extrem-Esser berichtet worden, die in Asien auf der Suche nach möglichst ekelhafter Nahrung sind und demonstrativ Frösche verspeisen und Schweinsfüße, wie es der amerikanische Angeber-Koch Anthony Bourdain vorgemacht hatte. Harry machte sich also auf nach Thailand und probierte die Leckereien, die an Straßenständen verkauft werden: Skorpione, Heuschrecken und Würmer am Spieß, Hühnerfüße in Brühe, marinierte Maden und Käfer und Hoden in Soße – Harry drückte sich nicht, auch wenn er anschließend einen Würgereiz hatte oder von der Cinéma-vérité-Kamera kotzend am Straßenrand beobachtet wurde.

Ein weiterer Mann ragt aus dem kopflosen Gewäsch des Morgenprogramms heraus: Der Filmkritiker Hans-Ulrich Pönack schreibt und spricht seit 1969 über Filme, sein Temperament ähnelt dem von Louis de Funès. Kürzlich wurde vor der Kamera sein 65. Geburtstag gefeiert, doch das Kino hat ihn jung gehalten: Er sieht keinen Tag älter aus als 60 und regt sich auf wie ein Fünfjähriger. Beim „Großen Preis“ mit Wim Thoelke trat immer ein Berliner Taxifahrer auf, gespielt von dem Kabarettisten Wolfgang Gruner, der in fünf Minuten die Wahrheit übers Zeitgeschehen erzählte. Auch Pönack ist Berliner und spricht schneller und schärfer als Karl Lagerfeld, er fuchtelt mit den kurzen Armen und hüpft im Sitzen vom Sofa, weil er sich so ereifert. Hans-Ulrich Pönack sieht die Filme wie ein normaler Zuschauer, was natürlich unmöglich ist – sagen wir also: Er möchte gern so unterhalten werden, dass seine Intelligenz nicht beleidigt wird, ist aber nicht blasiert oder elitär. Er mag Komödien, er mag Thriller, er mag Melodramen, in Maßen mag er auch Action, wenn sie etwas zu erzählen hat.

Pönack vermittelt in einfacher Sprache und knappen Zusammenfassungen, was von den Filmen der nächsten Woche zu halten ist. Den am häufigsten gegen Kritiker eingewandten Vorwurf, den der Subjektivität, hebelt er aus, indem er genauso subjektiv, unsachlich, launisch, wankelmütig, unlogisch und apodiktisch ist wie der gemeine Kinozuschauer: Niemand käme auf die Idee, dass hier jemand „akademisch“ über Filme spreche; Pönack führt keine Debatten, er fördert nicht das iranische Kino, er bevorzugt keine sogenannten Arthouse-Filme, er lässt sich furchtlos über „Mission: Impossible“ wie über „Melancholia“ und „Kokowääh“ aus und freut sich über das gute alte „Schauspielerkino“.

Im Radio ist Pönack genauso gut: Ich bin einmal im Taxi vom Potsdamer Platz zum Kurfürstendamm weitergefahren, weil er im Autoradio gerade zu einem Sermon angesetzt hatte. Und das Schönste: Sein Lieblingsfilm des Jahres 2011 ist „Planet der Affen: Prevolution“.

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