Polemik

POLEMIK (Artikel im TIP-Magazin 80er Jahre)

„Schließt endlich die Kinos!“

In der Kino-Branche brodelt es. Aufgeschreckt durch die Vielzahl der täglichen Meldungen über die neuen Medien, über Video, Satellit, Privat und. Kabel, fangen nun die Bürokraten der Institution “Kino“ lauthals an zu jammern. Verlangen gesetzlichen Schutz vor der immer bedrohlicher näher rückenden Konkurrenz, verlangen vermehrt auch wieder mal öffentliche Unterstützung, sprich Subventionen. Verlangen also Entwicklungsstillstand. Und wie das immer so ist, wenn eine Karre in den Dreck gefahren wurde, wird natürlich nur den anderen die Schuld an der Misere gegeben: dem Fernsehen, weil es immer mehr Filme ausstrahlt, den Video-Unternehmen, weil sie das Bedürfnis nach “Heimkino“ ausnutzen, den kommenden neuen Anbietern, weil die natürlich auf die (im Kino so arg vernachlässigt-verkaufte) Attraktion FILM setzen. Dabei wird schnell übersehen und gerne vergessen, dass es gerade doch das lange Zeit konkurrenzlose KINO war, das durch jahrelange Schluderei erst den sicherlich beklagenswerten Zustand herbeigeführt hat.

Das Kino bei uns sei kein Ort mehr, wo er sich wohlfühlen könne, äußerte sich neulich „Neue Constantin“-Chef und Produzent Bernd Eichinger auf einem Seminar der AG Filmjournalisten in Hamburg, da dieser sowohl in Ausstattung als auch in technischer Ausrüstung auf einem schwachen Niveau stehe, vergleiche man diesbezüglich etwa die Gegebenheiten in Frankreich oder den USA. Natürlich erhoben die Altfunktionäre und Totengräber prompt Einspruch gegen diese Pauschalisierung, die dennoch ihre volle Berechtigung besitzt. Denn was ist denn wirklich aus dem einst so glanzvollen Freizeitangebot “Kino“ geworden? Doch eine Art “Attraktion“ wie etwa Autoscooter fahren auf einem lauten Rummelplatz oder auch wie einmal falsch parken in einer Busspur…

Das fängt schon mit der Annoncierung in den Tageszeitungen an, wo der Interessent, beispielsweise von den Center-Kinos des Heinz Riech, nichts darüber erfährt, in welchem der zahlreichen Vorführstätten der Film eigentlich läuft, auf den man Appetit hat. Und es ist doch wohl ein Unterschied, “Indiana Jones“ im großen Haus oder in einem dieser kleinen, engen und zumeist auch ungemütlichen Anlagen zu sehen. Dann die Vorführungen selbst, deren Beginn niemals “richtig“ (wie im Ausland) angekündigt wird, so dass erst eine ellenlange, strapazierende Werbung überstanden werden muss, bevor endlich das beginnt, weswegen der Besucher überhaupt erschienen ist. Aber wie? Die Klagen über mangelnde Ton- und Bildqualität sind hinlänglich bekannt, aber wurde die Branche dadurch hellhörig? Nahm sie Verbesserungen oder gar Bequemlichkeiten im Serviceangebot Kino vor? Hat sie gar was gegen die Häufung dieser äußerst ungastlichen Schachtelkinos mit und Klapperton unternommen? Ein einmaliger Kudammkino-Wochenendbesuch hätte ausgereicht, um die dunklen Tatsachen. ans Licht zu bringen. Aber nichts geschah, im Gegenteil, die Mängel sind eher schlimmer denn weniger geworden.

“Es scheint, dass Kinobetriebe und. Filmverleiher auf der einen, durch die Arbeit in seelenlosen Massenbetrieben abgestumpfte Filmvorführer und andere Bedienstete auf der anderen Seite Hand in Hand arbeiten, um mit geringster Sorgfalt den größtmöglichen Profit zu erwirtschaften, zumeist auf Kosten der Filmpräsentation“, schrieb gerade Horst Peter Koll im katholischen ‘Film-Dienst‘ in einer Polemik über den momentanen Stand zur Kinosituation. Die keineswegs übertrieben ist.

Beispiel: Neulich bei der Presse-Präsentation im Kudamm-Haus „Astor“ von Sergio Leones Mammut-Meisterwerk „Es war einmal in Amerika“. Die ganze eine “schiefe“ Leinwand, sprich Leinwandabgrenzung, auch Kasch genannt, so wie zu Hause vor der Glotze, wenn sie die Cinemascope-Filme „kürzen“, und auch der Ton schepperte erbärmlich langen und so zur Qual werdenden Kinominuten. Grund: Das Kino ist technisch für derartige Großproduktionen nicht geeignet, mehr als „Normalbild“ mit Routineton ist hier nicht möglich. Aber sie verkaufen uns so einen Schuppen als teures Kino! Oder neulich mal wieder im Royal-Palast-Center, Kino 3. Mitten bei Belmondos „glorreichem“ Auftritt hängt das Bild schief, der Vorführer muss erst irgendwo im Haus aufgespürt werden, es vergehen viele Minuten, die jeglichen Unterhaltungsspaß versauen.

Keine Einzelfälle, wie wir (auch durch viele TIP-Artikel) wissen. Darum hat sich die Branche in den letzten 10 Jahren kein Deut gekümmert. Hat ihre Kinos zu Bruchbuden und Schachtelniveau verkommen lassen, hat sich in keinster Weise um ständige Modernisierung und hochkarätige Technik gekümmert. Das sieht man auch daran, wie wenige der Kudamm-Häuser mit Großbildleinwand und perfektem Dolby-Stereo-Sound bestückt sind. Abgesehen von der Bequemlichkeit in Sachen angenehmer Ausstattung und Sessel-Komfort. Nein, nein, am Kudamm heute ins Kino zu gehen, ist kein Vergnügen mehr, vom Erlebnis einmal ganz zu schweigen. Natürlich existieren Ausnahmen, in den Programmkinos wie auch in den Häusern von Max Knapp mit seinem vorzüglichen „Zoo-Palast“- Center oder auch dem „Gloria-Palast“ und seiner „Gloriette“. Aber dorthin gelangen ja kaum noch die besseren neuen Filme.

Deshalb: Macht doch endlich eure Bruchbuden und vergrößerten Wohnzimmer zu und belästigt uns doch nicht mehr mit diesem ewigen Gejammer! Ihr habt es doch zugelassen, dass Kino soweit ge(ver)kommen ist. Schließt endlich die Kinos und macht Schluss. Ihr ändert doch sowieso nichts. Schließlich hat schon Helmut Färber 1970 über die Filmbranche geschrieben: „Die meisten Kinogeschäftsführer und –Besitzer hierzulande haben nie gedacht, warum sie sich für Filme, die sie laufen ließen, und für ein Publikum irgendwie interessieren sollten. Nun, da nichts mehr von selbst geht und weil es immer so gegangen ist, werden die Ahnungslosen immer verzweifelter, wursteln weiter mit einem Durcheinander von aufgeschwätzten Filmen, bis es aus ist“.

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