Peter Keglevic

Interview mit PETER KEGLEVIC im „TIP-Magazin“ März 1983

1950 in Salzburg geboren, dort aufgewachsen, Gymnasium vor dem Abitur abgebrochen, Buchhändlerlehre, während dieser Zeit entstehen viele Hörspiele, „vorwiegend absurde Geschichten“, und Erzählungen für Zeitungen; Aufnahme bei der Salzburger Schauspielschule, Fach: Regie, 1974, nach dreijährigem Studium, Abschlussdiplom. Mit 19 geheiratet, 1 Kind, „es war ein groteskes Dasein: für jemanden da zu sein, für sich selbst da zu sein“. 1974 Trennung von der Familie. Stipendium für eine dreijährige Regieassistenz im Ausland, „ich wollte unbedingt nach Bochum zum Zadek“, dort dann auch erste Schauspielversuche. 1975 Mitwirkung in einem Beatles-Stück als George Harrison, „…musste dann aber schnell erkennen, dass ich zum Schauspielern kein Talent habe“.

Es folgen zahlreiche Bühnenbearbeitungen von Literaturstücken, „wobei ich bemerkte, dass sich meine Bearbeitungen sehr viel mehr für die Leinwand als für die Bühne eigneten“. Drehbücher entstehen, 1976 erste Arbeit als Autor und Regisseur für das „kleine Fernsehspiel“ beim ZDF („Im Zossener Bad“). „Das schlug so gut ein, dass ich sogleich dort einen weiteren Film machen konnte: „Auf freiem Fuß“, nach einem Roman von Gernot Wolfgruber“, eine Co-Produktion zwischen ORF und ZDF, Kamera übrigens Xaver Schwarzenberger. Danach, „Ohne Komplikationen“, viele Fernsehspiele, sowohl für’s österreichische als auch für’s deutsche TV (u.a. „Der Zauberlehrling“, „Die Jahre vergehen“, „Taifun“). 1979 und 1981 Inszenierungen von zwei „Tatort“-Folgen, „dann entstand der immer größere Wunsch, auch mal was fürs Kino zu machen“, die ersten Vorbereitungen für das Projekt „Bella Donna“ entstehen: „Für mich ist das wie ein Kniefall. Kino, Leinwand, das ist wirklich die letzte Stufe, aber das darf man ja gar nicht verraten“.

TIP: Wie entstand die Idee zu „Bella Donna“ (s. auch Kinokritik)?

Keglevic: Die entstand eigentlich sehr unspektakulär. Ich habe mich eines Tages hingesetzt und wollte eine Liebesgeschichte schreiben und habe dann diese Geschichte in rund zwei Tagen geschrieben.

TIP: Warum ausgerechnet eine Liebesgeschichte?

Keglevic: Warum, weiß ich auch nicht. Mich interessieren einfach die Dinge, die zwischen Zwei Personen, zwischen Mann und Frau, ablaufen. Da passieren Sachen, die man gar nie richtig benennen kann. Dinge wie Eifersucht, Zärtlichkeit, Nähe, Liebhaben-Wollen, Besitzen-Wollen, Ablehnen-Wollen. Am intensivsten stellt sich das für mich eben in einer Mann-Frau-Beziehung dar.

TIP: Um uns herum geht die die Welt zugrunde und Du erzählst eine Geschichte von einem Mann und einer Frau!?

Keglevic: Tja, da muss ich sagen, ich fühlte mich nie berufen, die Welt zu behandeln.

TIP: Was ich sagen will: der neue Alexander-Kluge-Film heißt „Die Macht des Gefühls“, Vadim Glownas Film „Dies rigorose Leben“ handelt von großen Emotionen, ist das jetzt so eine Art Fluchtthema? Ein Weg von den realen Dingen um uns herum, hin zum Individuum?

Keglevic: Das weiß ich nicht. So wie Du’s auf zählst, scheint das in der Tat ein Trend zu sein. Ich selbst habe nie andere Geschichten gemacht.

TIP: Die großen Hollywood-Melodramen entstanden ja auch zu einer Zeit, wo das Elend und die Angst vor dem Kino besonders groß waren.

Keglevic: Ich kenne zwar eine ganze Menge Filme, aber ich kann nicht feststellen, dass mich die alten Hollywood-Melodramen besonders beeinflusst haben.

TIP: Ich beobachte seit geraumer Zeit eine Art Flucht ins Private bei den einheimischen Filmemachern. Woran mag das liegen? Warum beispielsweise fühlen sich bei uns nur wenige berufen, öfters mal auf tagespolitische Ereignisse zu reagieren wie das des Öfteren in Frankreich
oder Italien geschieht?

Keglevic: Ich weiß auch nicht, warum das nicht möglich ist. Ich selbst kann es nicht. Und weil ich es nicht kann, will ich es auch nicht. Ich interessiere und beteilige ich mich sehr wohl an Tagespolitik, an den Dingen auf der Straße. Aber ich kann diese Realität um mich nicht so in ein
Thema fassen, dass ich sagen würde, dies könnte dann auch noch auf einer Leinwand funktionieren. Ich könnte möglicherweise über so ein Thema einen Film machen, aber der würde wahrscheinlich jede Sinnlichkeit vermissen lassen. Ich will kein Thema vertreten, für das ich mich nicht begeistern kann, für das ich emotional nicht Feuer und Flamme bin. Ich kann solche Themen nur immer im kleinen Bereich ansprechen, und dann it das natürlich auch immer nur für ein paar wenige Menschen gültig.

TIP: An einem Projekt wie „Krieg und Frieden“ könntest Dich also unmöglich beteiligen?

Keglevic: Damit überforderst Du mich jetzt, weil ich den Film noch nicht gesehen habe. Aber in so einer Form, als Kollektiv, könnte mich das vielleicht schon mal reizen.

TIP: Vielleicht, weil Du auch zu der Generation gehörst, die ’68 noch sehr aktiv war?

Keglevic: Da muss ich leider passen, nein. Zu der Zeit war ich noch in Österreich, und da gab es kein 1968. Das existierte damals nur in sehr individuellem Rahmen und hatte nichts zu tun mit Vietnam und Studentenunruhen.

TIP: Vielleicht hat das aber auch etwas mit unseren Förderungsinstanzen zu tun, die möglicherweise viel lieber nur private und keine politischen Geschichten mit Geld unterstützen, fördern mögen?

Keglevic: In meinem Fall bestimmt nicht, weil ich für diesen Film keinerlei Förderung bekommen habe. Die Ablehnungen sagten da ungefähr, die Geschichte sei zu nihilistisch sei zu böse für unsere heutige Zeit, also ungefähr die gleichen Absagen, die Vadim Glowna für sein Debüt „Desperado City“ bekam. Aber das war mir dann einfach egal. Wir haben den Film dann mit Geldern vom Fernsehen, vom WDR und vom SFB gemacht, und den Rest haben dann Berlin-Förderung und eine Verleihgarantie ausgemacht.

TIP: Hat Dich das sehr deprimiert, dass die Filmförderungsstellen des Bundes nicht mitgespielt haben?

Keglevic: Nein, es hat mich dann irgendwann nicht mehr interessiert, ich wollte mich lieber um das Projekt kümmern.

TIP: Das man ja nun mit Melodram am besten umschreiben kann, nicht wahr?

Keglevic: Ja, obwohl ich sehr große Scheu davor habe, so etwas selbst auszusprechen. Weil das so Wörter, Begriffe sind, die sehr schnell von den Leuten in eine bestimmte Schublade weggesteckt werden und die auch manchmal zu sehr versimpeln, verknappen. Melodram im positiven Sinne heißt für mich, ein bisschen größer als das Leben. Die Darsteller, die Situation ein bisschen größer ist als die Realität, um einfach das Leben begreiflich zu machen. Aber das Wort Melodram hat hier in der Bundesrepublik einen zu negativen Beigeschmack, der Verleih sträubt sich auch, dieses Wort auf das Plakat zu schreiben.

TIP: Obwohl doch Fassbinder das deutsche Melodram wieder hoffähig gemacht hat?

Keglevic: Der konnte das. Aber ansonsten wird das Wort immer zu sehr mit Kitsch und Glamour assoziiert.

TIP: Gehört großer Mut dazu Gefühlskino zu machen?

Keglevic: Ich stehe vollkommen dazu. Von daher muss ich nicht besonders viel Mut aufbringen, denn in all diesen großen Filmen, die man nicht Melodram benennt, spielen trotzdem die Gefühle die wichtigste Rolle.

TIP: Gibt es Vorbilder für Dich dabei?

Keglevic: Für mich sind die wichtigsten Filme etwa von Bertolucci zum Beispiel „Die Strategie der Spinne“, „Der Konformist“ oder „Der letzte Tango von Paris“, die ersten Fellini-Filme, das sind für sich die wunderbarsten Geschichten. Wenn ich nur einmal solche Gefühle darstellen könnte wie Fellini es kann. Meine Vorbilder liegen alle mehr oder weniger in den romanischen Filmbereichen, also im französischen, italienischem Kino, auch im slawischen Bereich, polnische Filme. Wajda ist für mich ein ungeheuer wichtiger Filmemacher. In diese Richtung möchte ich gehen.

TIP: Bis vor kurzem war es in Deutschland eigentlich undenkbar, einen polnischen und einen schwedischen Schauspieler in einer einheimischen Produktion zu besetzen. Wie ging das bei Dir?

Keglevic: Für die Hauptdarstellerin ist trotz intensiven Nachdenkens meinem Produzenten und mir in Deutschland niemand eingefallen. Es ist traurig, weil ich einfach nicht glauben will, dass es in Deutschland diese Schauspielerin nicht gibt. Aber das, was wir von Schauspielern wussten, kam nicht in Frage, und neue zu entdecken, kam wegen der hohen Kosten für uns nicht in Betracht.

TIP: Die Krystyna Janda ist atemberaubend gut.

Keglevic: Ich empfinde sie genauso toll und unbeschreiblich, ich kann es selbst kaum erklären. Wie sie, die kein Wort deutsch spricht, die Lieder erarbeitet hat, ist eine emsige Ackerei und pure Begabung. Und es kommt trotz der deutschen Synchronisierung immer noch so viel Herz rüber, davon hätte ich nicht zu träumen gewagt.

TIP: Wie war die Zusammenarbeit bei den Dreharbeiten?

Keglevic: Anfänglich ein bisschen schwierig, denn Krystyna ist ein sehr eigenwilliger Mensch und sie hat einen großen Vater. Andrzej Wajda. Und jeder, der versucht, sie zu inszenieren, hat es da zunächst unglaublich schwer. Das Ideal Wajda ist immer in ihrem Kopf. Sie wollte beispielsweise ihre Haare anfangs nur so tragen wie es Wajda von ihr verlangt hatte. Wenn du sie anders trägst, sagte er ihr, dann bist du nur eine Blondine unter vielen. Meine Leistung bei diesem Film ist wahrscheinlich die, dass sie nicht das macht, was sie sonst immer machen durfte.

TIP: Friedrich-Karl Praetorius war mir bisher kaum ein Begriff?

Keglevic: Ich kenne ihn noch aus meiner Theaterzeit in Bochum. Er ist einfach ein Vieh, ein Tier. Er arbeitet so animalisch, dass ich ihn nicht erklären kann. Ich weiß nur, wie sehr er mich fasziniert. Als ich diese Geschichte schrieb, da war er für mich diese Mischung aus Animalischen und Sensibelchen, wehleidig, unfähig, mit seiner Realität fertig zu werden. Ich wende das nicht auf den Fritz privat tatsächlich an, sondern er hat diese Ausstrahlung. Privat kenne ich ihn so gut wie gar nicht, wir sind nicht in diesem Sinne befreundet.

TIP: Erland Josephson.

Keglevic: Er ist für mich immer die Legende bei den Bergman-Filmen gewesen. „Szenen einer Ehe“ und so. Für mich passt er in die Familie der Absoluten, so wie Charlie Chaplin oder Laurence Olivier. Ich habe ihm das Drehbuch geschickt, und nach einer Woche sagte er mir zu.

TIP: Brigitte Horney.

Keglevic: Wenn ich mir eine Dame im Alter zwischen 60 und 80 vorstelle, fällt mir zuallererst immer Brigitte Horney ein. Und bei der Besetzung dieser Rolle bestand für mich auch keine Sekunde Zweifel, wer das spielen müsste. Ich agiere wahrscheinlich auch sehr naiv. In meinem Kopf existieren so 50, 60 Schauspieler, mit denen ich gerne einmal arbeiten möchte. Brigitte ist eine von ihnen. Sie und ich, wir waren eigentlich das Liebespaar am Set. Zwischen uns bestand so eine tolle Vertrautheit, Verbundenheit, ja fast schon Zärtlichkeit füreinander. Unsere Stichwörter, unsere Geheimniskrämereien, unsere Tratschereien, es war ein einziges Vergnügen mit ihr.

TIP: Wer ist Astor Piazzolla, der die Musik gemacht hat?

Keglevic: Ein Argentinier, ein Tango-Gott, heute 62 Jahre alt, der seit seinem 15. Lebensjahr Tangomusik macht. Er hat den Tango für Argentinien revolutioniert, also den herkömmlichen abgewandelt und verändert. Er hat dem Tango eine Version gegeben, die die Argentinier selbst teilweise bis heute noch nicht akzeptieren. Da spalten sich immer noch die Lager. Ich kannte seine Musik seit vier, fünf Jahren, von den Platten her, und sie besaß für mich immer so eine faszinierende Melancholie. Wenn ich meinen Film beschreibe, dann sage ich, es ist ein melancholischer Film. Der so melancholisch ist, dass wenn ich aus diesem Kino rausgehe, ich ein ungeheures optimistisches, kraftvolles Gefühl danach habe. Das es mir Mut gemacht hat. Dass ich etwas gesehen habe, was mir vielleicht auch ununterbrochen in meinem Leben geht, und dass ich das Gefühl habe, ich schaffe es trotzdem. Ich kann es trotzdem anders machen. Und beinhaltet für mich diese Musik Piazzollas genauso. Ich habe immer auf die Möglichkeit gewartet, eines Tages seine Musik einsetzen zu können.

Ich habe ihn auf der letztjährigen Deutschland-Tournee in Essen auf gespürt, ihn von dem Projekt erzählt und ihn überredet. Er hat zugesagt, und, ich bin in Dezember nach Buenos Aires geflogen und habe ihm den fertigen Film auf Video mehrmals vorgeführt. Er hat ihm gefallen und er wusste sofort, was er zu tun hatte. Wir haben uns unglaublich gut ergänzt. Insgesamt: Dieser Film stand unter vielen Glückssternen. Das Erland Josephson gesagt hat, okay, ich lese das Drehbuch und eine Woche darauf ja sagt; dass Brigitte Horney zufällig aus Amerika zurück ist und ja; dass Krystyna Janda Zeit hat; dass letztlich Astor Piazolla gesagt hat, ja das interessiert mich. Ich bekam alles, was ich wollte.

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