O’Horten

O´HORTEN“ von Bent Hamer (B, Co-Prod.+R; Norw./D./Fr. 2007; ; Start D: 18.12.2008); das ist ein 52jähriger norwegischer Regisseur, Drehbuch-Autor und Produzent.

Der studierte einst Film- und Literaturwissenschaften an der Universität Stockholm und der „Stockholm Film School“.
Seit 1994 ist er Inhaber einer eigenen Produktionsfirma, mit der er alle seine bisherigen 5 Filme produzierte. „Eggs“ hieß 1995 sein Debütfilm, die skurril-lakonische Geschichte um zwei 70jährige Brüder, die seit Jahr und Tag in einem abgelegenen Haus zusammenwohnen und deren ritualisierter Alltag durch das Auftauchen eines vor über 50 Jahren von einem der Brüder gezeugten unehelichen Sohns gehörig aus dem Lot gerät. Ein aufsehenerregendes kinematographisches Ereignis, das nicht zufällig an die lakonischen wie absurden Späße eines Jacques Tati erinnerte. Mit seinem 3., auch hierzulande bekannt gewordenen Spielfilm „KITCHEN STORIES“ (s. Kino-KRITIK) erreichte Bent Hamer 2003 Kultgeschmack: Schwedische Forscher fallen in den 50er Jahren in ein norwegisches Dorf ein, um das „Küchen-Verhalten“ von alleinlebenden Männern „auszukundschaften“. Denn die schwedische Industrie will neuere, moderne Küchengeräte entwickeln und benötigt dazu „Vorgaben“. So sitzt also ein „Aufpasser“ im Hochsitz in der Küche und beobachtet fleißig seinen „Prüfling“. Ohne (zunächst) jede Ansprache und Kommunikation, von wegen der „Objektivität“. Eine wunderbare Hymne an die Freundschaft und vor allem auch an die wunderschöne Langsamkeit des Lebens! „Kitchen Stories“ wurde weltweit vielgerühmt und erhielt den norwegischen „Oscar“, den „Amanda Award“, als „Bester Film“ zugesprochen. „FACTOTUM“ war 2005 die erste Co-Produktion mit den USA und ein Drama, das nach dem gleichnamigen Charles-Bukowski-Roman – mit MATT DILLON in der Hauptrolle – entstand. „Überraschend zufriedenstellend“ notierte die „Los Angeles Times“.

Sein neuestes Werk hatte im Frühjahr Premiere bei den Filmfestspielen von Cannes, wo es in den Reihe „Un Certain Regard“ (= dem Berlinale-Forum vergleichbar) erstmals lief. Und es ist wieder eine jener kleinen, süffisanten Köstlichkeiten „zum (sehr liebenswert-anmachenden) Bauklötzer-Staunen“ geworden. Bei der einmal mehr der Bent-Hamer-Favorit JACQUES TATI Vorbild war und Pate stand. Mit seinem lakonischen Fast-Stummfilm-Humor und seinem eigenbrödlerischen „Monsieur Hulot“-Charme erreichte der große französische Filmkünstler (9.10.1907 – 4.11.1982) einst die weisen, gesellschaftskritischen Humor-Qualitäten von Charles Chaplin und Buster Keaton. Und Ben Hamer begibt sich nun gerne wieder auf die Spuren dieses absurden Slapstick-Spezis Hulot. Im Norwegen von heute. Dort erblicken wir einen netten älteren Herrn mit Namen ODD HORTEN. Odd (= das englische Wort für skurril) ist Lokomotivführer. Und Junggeselle. Sein Leben bestimmt der Fahrplan, und er ist damit durchaus zufrieden. Odd redet nicht viel. Zündet sich viel lieber seine Pfeife an und blickt in seiner Führerkabine auf die vorbeifliegende Welt. Seine Mimik ist stets „überschaubar“ unverbindlich, und in seiner immergleichen ruhig-lakonischen Körpersprache könnte er durchaus als ein älterer Bruder aus der finnischen Aki-Kaurismäki-Familie durchgehen. Odd ist 67, was soviel bedeutet wie: Ruhestand. Von den Kollegen gibt´s noch die „Silberne Lokomotive“, dann ist Schluß mit dem ewigen Nur-Kucken. Auf das vorbeifliegende Leben. Fortan ist „Bahnhof“ nicht mehr der sichere Platz, der er Jahrzehnte war.

Eine neue Reise beginnt für Odd Norten, diesmal aber ohne festen Fahrplan und vertraute Umgebung. Er irrt auf dem Flughafen umher, weil er einen Bekannten sucht (dem er eigentlich sein Boot verkaufen will), gerät dort unversehens in die Hände des Flughafenzolls (weil der Drogen-Hund angeschlagen hat, obwohl Odd natürlich keine Drogen besitzt); wird in einer fremden Wohnung von einem kleinen Jungen „festgehalten“, damit der besser einschlafen kann (und schläft dann selber ein); bei einem Saunabesuch verpaßt er die Schließung und flüchtet im Schwimmband vor zwei nackten Frauen; mit „ausgeliehenen“ roten Stöckelschuhen trifft er auf einen älteren Herrn, der auf dem Gehweg liegt, ihn zu sich nach Hause und zu einer Autofahrt mit geschlossenen Augen einlädt. Die Welt als spinnerter Spielplatz, mit vielen überkandidelten „Normalo“-Typen. Odd tapert da stoisch durch und erbt schließlich auch noch einen netten Hund. Und bewältigt schließlich sogar sein frühkindliches Angst-Trauma in Sachen Skispringen an der berühmten Holmenkollen-Schanze in Oslo.

Was soll man von einem 89minütigen Film halten, in dem Sätze wie „Frostschutzmittel haben mich eigentlich immer sehr betört“ oder „Das wusste ich: Eisenbahner trinken Kaffee immer schwarz“ vorkommen oder „Ich bin nur nüchtern, wenn ich trinke“? Und in der „Nähmaschinen für Menschen“ zitiert werden?: Man muß, man wird schnell ihn zu mögen lernen, schließlich völlig „vereinnahmen“, sprich lieben. Bent Hamer entläßt einen urigen Nobody- Kauz aus seinem vertrauten Biotop. Schickt ihn auf eine ebenso amüsante wie absonderliche und ziemlich wortkarge Tour, setzt ihn in überraschende wie lakonische Bewegung. Mit vielen herrlich- absurden, fein durchdachten/entwickelten Slapstick-Motiven. Äußerlich wie innerlich. Dabei entwickelt sich ein augenzwinkerndes Vergnügen der nett-irrsinnigen und wunderbar unter die Haut gehenden, ansprechenden Seelen-Art. Odd Horten, so die fröhliche Notiz, sind wir alle ein bisschen, mehr oder weniger. Er steckt in uns drin wie ein ewiger Lausbub-Schelm, der nur – endlich – darauf wartet, wenn auch etwas angstvoll, losgelassen/freigelassen zu werden. Oder: Was für „bekloppte“ Abenteuer warten nur auf uns, wenn wir mal die eingefahrenen Gleise endlich hinter uns lassen (können/dürfen)…..

Eine sensible Tragikomödie als eine Art Hymne auf die spannende Langsamkeit; mit einer Art hintergründiger Monty-Python-Stimmung ebenso lächelnd ausgestattet wie mit fein-ironischen (Stummfilm-)Pointen und einem phantastisch-stoischen No-Helden. Der wird vom 72jährigen norwegischen Schauspieler BÁRD OWE hinreißend-kühl dargeboten; in bester, cooler BUSTER-KEATON-Kauz-Manier, also ruhig, mimisch fast unbeweglich und dabei doch stets vielsagend. Bárd Owe, wir kennen ihn aus der Lars-von-Trier-TV-Reihe „Geister“, ist ein wunderbarer alter Schlaks, an den man sich gewöhnen, dem man durchaus öfters begegnen möchte. Ein neuer Publikumsliebling naht oder: „O´Horten“ ist ein Arthouse-Meisterstück!. Übrigens: „Horton“ vertritt demnächst Norwegen in Sachen Nominierungen für den Auslands-„Oscar“ 2009 !! (= 4 PÖNIs).

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