MASKEN

PÖNIs: (4,5/5)

„MASKEN“ von Claude Chabrol (Co-B + R; Fr 1987; Co-B: Odile Barski; K: Jean Rabier; M: Matthieu Chabrol; 100 Minuten; deutscher Kino-Start: 23.07.1987).

Wenn er Kinder und Erwachsene quälen kann, filmisch natürlich, rein filmisch, dann freut ihn das. Claude Chabrol, das ist bekannt, ist ein Genießer. Kinder, so grinste er amüsiert im Frühjahr in die journalistische Berlinale-Runde, habe er nun lange genug angegiftet, jetzt seien mal wieder die Älteren dran. Aber auch sie benehmen sich ja oft genug wie Kinder, und so ist ein Chabrol-Film gleichwohl stets ein Genuss – zumindest für ihn. Der sich hier aufmacht, einen jener ständig lächelnden, süß herumwinselnden TV-Showmaster vorzustellen, die wohl in jedem Land der Welt vorhanden sind, weil sie für jedes noch so andersartige System gebraucht werden.

Monsieur Christian Legagneur (PHILIPPE NOIRET) ist für die lieben Alten zuständig. Die er in rosa Studio-Watte verpackt und denen er vorgaukelt, dass jetzt ihre Zeit des Glücks gekommen sei. Der Druck des Alltags, der Schmerz der Jahre ist gerade vorüber, jetzt kommen nur noch angenehme und gemütliche Stunden. Und sie tun ihm den Gefallen und singen, tanzen oder rezitieren ihm, dem Studiopublikum, das natürlich auf Signal zu klatschen weiß, und den vielen Millionen zu Hause etwas vor, für das es dann ein farbiges Fernsehgerät oder gar eine weite Reise zu gewinnen gibt. Aber auch privat ist Legagneur ein wahrer Wohltäter. Wie der junge Journalist Roland Wolf (ROBIN RENUCCI) feststellen soll, denn er ist ausersehen, die Biographie jenes menschenfreundlichen Onkels zu schreiben. Dafür begibt man sich auf den exklusiven Landsitz von Monsieur, in dem dieser wie ein Pascha mit festem Personal, das sich in verschiedenen Rollen ohne Mühen und Murren präsentiert, residiert und ein von Warmherzigkeit und Menschlichkeit begleitetes Tages- und Nachtprogramm abzieht. Alle sind stets in guter Laune, jeder scheint nur glücklich zu sein. Bis auf Catherine (ANNE BROCHET), die blasse, kränkelnde Patin von Legagneur, dem einzigen Schwachpunkt in dieser sonst wie eine laufende TV-Fortsetzungsserie auftretenden heilen Welt.

Roland kommt schnell dahinter, dass hier etwas nicht stimmt. Catherine selbst gibt ihm dafür ausreichend Zeichen, dass mit ihr gespielt wird, dass sie manipuliert wird, dass sie gar nicht so bedürftig ist wie Monsieur gerne kundtut. Aber auch Roland erweist sich als ein Täuscher. Geschickt hat er sich unter falschem Vorwand und Namen in diese Gemeinschaft eingeschlichen, um einem dunklen Geheimnis auf die Spur zu kommen, das seine verschwundene Schwester betrifft. Die Dinge nehmen einen ungewissen, aber schließlich auch gerechten Gang, aber der Höhepunkt ist dann noch einmal der letzte, grandiose Auftritt von Christian Legagneur, jenem Showexperten, der wohl zum ersten Mal in seinem Leben ehrlich ist und den Leuten verklickert, was er wirklich von ihnen hält.

„Ich liebe Metaphern. Mit ihnen lässt sich subtil und nachdrücklich Schwieriges sagen“, äußert sich einmal der hervorragende Philippe Noiret in seiner Rolle des scheinbar Allmächtigen. Natürlich bräuchte es gar nicht dieser lakonischen Kommentierung der Bilder, denn in einem Chabrol-Film ist nie etwas so gemeint, wie der Betrachter es hört und sieht. Dabei führt der große französische Regisseur nicht einmal „groß“ in die Irre, benutzt keine spekulativen Handlungszüge, benötigt keinen besonderen Aufwand, keine bedeutungsschwangere Heimlichtuerei: Im Grunde ist seine feine, hinterhältige, spitzzüngige Spannungskomödie wieder einmal „ein ganz normaler Film“, in dem sich die Geschehnisse „ganz normal“ entwickeln. Keine Mätzchen, keine Tricks, wenig laute Töne. Nur das, was man sieht und hört. Das Geheimnis der Filme von Claude Chabrol ist die Normalität, die Boshaftigkeit des Alltäglichen, das eigene Wiedererkennen in den Normen, im Verhalten. Nichts wirkt übertrieben (obwohl es das auch ist, schließlich befinden wir uns im Kino), alles läuft so gradlinig ab wie … vielleicht ein schöner, unterhaltsamer Tag im Urlaub. Wo sich schließlich auch die Wahrheit Zeit lassen kann.

Denn darum geht es dem feinsinnigen Cineasten Chabrol, der die offiziellen Moralisten mit all ihrem Anspruch und Getue gar nicht mag: „Ich will im Grunde nur eines – die Wahrheit zeigen und die Menschen, so wie sie wirklich sind; denn ich glaube, dass darin die Aufgabe des Kinos liegt, selbst bei noch so misslungenen Filmen“.

Das vorzügliche Ensemble um Philippe Noiret unterstützt ihn dabei ganz prächtig (= 4 ½ PÖNIs).

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