LUCKY

PÖNIs: (4,5/5)

„LUCKY“ von John Carroll Lynch (USA 2016; B: Logan Sparks, Drago Sumonja; K: Tim Suhrstedt; M: Elvis Kuehn; 88 Minuten; deutscher Kino-Start: 08.03.2018); ER ist längst besseres KINO. Deshalb ist es auch unmöglich, ihn nicht zu mögen. Hier nimmt er Abschied vom Kino. In einem offiziellen Archiv werden 202 Filme mit ihm genannt seit seinem Debüt von 1954 in der TV-Serie „Inner Sanctum“ und ab 1956 in Alfred Hitchcocks Kinofilm „Der falsche Mann“. Nun hat er seinen letzten Hauptrollen-Auftritt: HARRY DEAN STANTON (*14.07.1926 – †15.09.2017). Dieser lange dünne großartige Schlacks. Mit der Buster Keaton-Mine. Der über viele Kino-Jahre und -Jahrzehnte d e r amerikanische Nebendarsteller war. 1984 besetzte ihn Wim Wenders in „Paris, Texas“ für die Hauptrolle, seitdem kennt ihn auch „die Menge“. 89 war er, als er sich diesem für ihn so arbeits-intensiven Projekt widmete. Eine Woche vor seinem 90. Geburtstag war der Film fertiggestellt. Zwei Wochen vor der Uraufführung starb Harry Dean Stanton. Er hat den Film nicht mehr sehen können.

Alle Welt nennt ihn „Lucky“. Diesen alten, hageren Kerl mit dem faltigen Oberkörper. Aber was heißt: alle Welt. Wir befinden uns in irgendeinem trostlosen, vom übrigen „Amerika“ abgenabelten Western-Kaff, irgendwo in der weiten Einöde von Arizona. Alt ist er, dieser Lucky. Ur-Alt. Und ein typischer Solist. Solist = wie Eigenbrödler. Atheist. Freigeist. Er mag es so. Jeden Morgen dasselbe Ritual. Morgenwäsche. Turnübungen. Der am Abend zuvor vorbereitete Eiskaffee. Gemeinsam mit der Zigarette. Lucky raucht(e) immer schon. Der Gang in den Ort. Derselbe Platz im Coffee-Shop. Immer dasselbe Frühstück. Sowie Kaffee mit viel Milch und noch mehr Zucker. Man kennt sich, man bekabbelt sich verbal. Dabei werden Kreuzworträtsel gelöst. Seine Lieblingsbeschäftigung. Auf dem Weg nach Hause wird neue Milch eingekauft. Zuhause die Quiz-Shows im Fernsehen. Mit zurückgehaltenem TV-Ton. Abends geht es in die Pinte. Wo immer dieselben Haudegen, man kann auch sagen: große Kinder, sich treffen. Um sich lakonisch anzuraunzen. Anekdoten zum Besten zu geben. Unter Anderem-Beteiligte: der große David Lynch, der Harry Dean Stanton öfters in seinen Werken besetzte (zuletzt in der Serie: „Twin Peaks“) und dem es ein offensichtliches Vergnügen ist, hier – in „dessen Film“ – mit-aufzutreten: und der als Howard seiner abgehauenen Landschildkröte namens „Mr. Roosevelt“ nachtrauert: „Es gibt ein paar Dinge im Universum, die größer sind als wir alle! Und eine Landschildkröte ist eines davon!“. (Wir sehen diese Schildkröte übrigens eingangs wie auch am Schluss, wie sie abhaut und offensichtlich wieder zurückkehrt; eine symbolisch-schöne Lächel-Pointe.) Des Weiteren versammeln sich auch an der Bar: das 50er Jahre Teen-Idol James Darren; Veteran Tom Skerritt. Johnny Cash ist zu hören: „I See a Darkness“. Irgendwann kippt Lucky um. Dr. Kneedler (Ed Begley Jr.) kann körperlich nichts finden. Sie sind topfit. Aber eben alt. „Werden jeden Tag älter. Irgendwann geht die Maschine nun mal kaputt“. Zum ersten Mal entdeckt Lucky eine Schwere. Bei sich.

Und dann singt Harry-Lucky auch, eine der großen Leidenschaften von Harry Dean Stanton: „Volver, Volver“ tönt es melancholisch aus der Kehle dieses hageren, stoischen Buddhas. Und dann macht auch noch dieses merkwürdige Wort die Runde: Ungatz!

Selten ein so einzigartiges Zeit-Entschleuniger-Movie gesehen, erlebt, gefühlt. In dem vergleichsweise wenig geschieht und doch so viel passiert. In dem es ebenso um die Erhabenheit einer Landschildkröte geht, die ja bis zu 200 Jahre zu existieren versteht, wie um die Würde, Autorität und Persönlichkeit eines kauzigen alten Kerls, den man am Ende seines Lebens noch viel mehr mögen muss als überhaupt schon immer. „Lucky“ – ein gelassenes Porträt für die Erinnerung, als kinematographische Ewigkeit, ganz eigen, ganz schön, außerordentlich herzlich-salopp.

Der Debüt-Regie-Film des Schauspielers John Carroll Lynch, mit David Lynch nicht verwandt und bekannt geblieben durch die Rolle des Frances McDormand-Ehemannes Norm im Klassiker „Fargo“ von 1996, hat es vermocht, einem „Ungatz“ eine wunderschöne Widmung zu verpassen. Als feine wie köstliche Hommage auf das Leben und die Zeit, die dabei so komisch vergeht (= 4 1/2 PÖNIs).

 

 

 

Teilen mit: