LEBEN – BRD

LEBEN – BRD“ von Harun Farocki (B+R; D 1989; 83 Minuten; Start D: 10.02.1990)

Der neue Film von Harun Farocki ist ein Dokumentarfilm, aber auf gewisse Weise auch ein Spielfilm. Denn in „Leben – BRD“ wird LEBEN gespielt. Übungen und Vorbereitungen für das Leben in extremen Situationen, das Gespräch mit dem Kunden oder einfach Verhaltensspiele. Beispiel: Sechs Frauen setzen sich an einen Tisch. Vor jeder Frau steht ein leerer Teller, rechts die Gabel, links das Messer. Mit gefalteten Händen beten sie, danach macht sich eine jede über ihren leeren Teller her, ohne Schmatzen, natürlich.
Klar, das solche Bilder ziemlich komisch wirken. Regisseur Harun Farocki greift an keiner Stelle in das Geschehen ein. Er gibt keine Anweisungen und kommentiert die Vorgänge auch nicht. Die Bilder sprechen für sich. Die Schnitte und Gegeneinanderstellungen sind witzig und ironisch Und das Spiel im Film überträgt sich auch bald auf den Zuschauer. So etwa: Was ist das?

Ein Herr-mit Schlips, Kragen und Aktentasche kommt in Ihre Wohnung; beklagt sich über das Wetter, nimmt Platz und sagt: Aber kommen wir gleich zur Sache, Herr Müller. Was wäre, wenn Sie gestern Abend nicht nach Hause gekommen wären? Na, was ist das? Ja, richtig; ein Versicherungsvertreter, Spezialgebiet Lebensversicherung. UND: es ist ja einfach unglaublich, was sich da so alles erlernen lässt: Polizeiauszubildende versuchen einen Ehekrach zu schlichten; die Sozialarbeiterin versucht mit Pennern das gemeinsame Mittagessen zu besprechen; das Kind beim Schulpsychologen macht einen Intelligenztest, die Psychologin ist dabei mit Stoppuhr und Stift bewaffnet.

„Leben – BRD“ veranschaulicht auf komische Weise eine traurige Tatsache. Nämlich die, dass in der Bundesrepublik versucht wird, alles in Ordnung, alles unter Kontrolle zu haben, auch die letzte Gemütsregung. Harun Farocki verschont uns vor moralischem und philosophischem Tiefgang, so dass der Zuschauer Lust hat, sich über das Thema des Film Gedanken zu machen. Sehenswert (= 4 PÖNIs).

 

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