DIE KATZE

DIE KATZE“ von Dominik Graf (D 1987; B: Uwe Erichsen + Christoph Fromm; nach dem Roman „Das Leben einer Katze“ von Uwe Erichsen; K: Martin Schäfer; M: Andreas Köbner; 118 Minuten; Start D: 21.01.1988 )

START UND SEX

Probek und Jutta im Clinch. Wo andere Filme aufhören, fängt’s hier an.
Beide können sich gar nicht einkriegen vor lauter Gier und Geilheit, während der Vorspann mit seiner dunkelroten Signalfarbe sie immer wieder unterbricht. Einen solchen Auftakt, einen solch intensiven erotischen Nahkampf gab es im deutschen Kino, jedenfalls zu Filmbeginn, noch nie. Eric Burdon begleitet die aufreizenden Bilder stimmungsvoll und atmosphärisch mit seinem neu aufgelegten Oldie “Good Times“.

VORBEREITUNGEN

Probek hat genug. Beginnt sich auf den Ernstfall vorzubereiten. “In zwei Stunden ist da unten Krieg“, murmelt er vor sich hin und blickt von seinem Hotelzimmerfenster aus auf das Geschehen auf der Straße gegenüber. Wo sich eine Bank befindet und noch alles ruhig ist. “Heute ist unser Tag“, macht er sich und der Frau Mut. Dann geht der Blick wieder nach draußen. Hochhäuser, gigantische Türme, ausgehende Lichter, die ersten Sonnenstrahlen. Während die Kamera die Szenerie von Düsseldorf einsaugt, bekommt das Ganze eine bedrohliche Atmosphäre. Generalstabsmäßig macht sich Probek ans Handwerk. Baut seine technischen Apparate im Zimmer auf: Fernrohr, Multifrequenzempfänger, Präzisionsgewehr. Kalt und ruhig beherrscht er die Handgriffe. Setzt eine Anlage zusammen, die gewaltige Ausmaße besitzt und Spitzentechnik ausweist. Dann ist Jutta dran. Sie hat ihre Anweisungen und soll sich gefälligst daran halten. Widerspruch duldet Probek jetzt nicht mehr. Er ist der Chef, der das Sagen hat. Ganz klar. Sie soll sich an die Abmachungen halten und verschwinden. Was jetzt folgt, ist reine Sache der Kerle. Ihr Auftritt ist von Probek erst für den Nachmittag geplant. Bis dahin ist sie erst einmal weiterhin die Ehefrau des Bankfilialleiters Ehser.

Dieser, eine eher schlaffe Figur fürs Eigenheim, weiß um die erotischen Eskapaden seiner Frau, mag aber nicht einschreiten. Lieber sie “so“ um sich haben als gar nicht mehr, gibt er seiner entsetzten Schwester am Telefon zu verstehen. Und macht sich endlich auf den Weg zu seinem Arbeitsplatz. Wo zwischenzeitlich Junghein und Britz aufgetaucht sind, Probeks Komplizen. Sie wollen Ehser abpassen, den Tresor ausräumen und in spätestens zehn Minuten wieder verschwunden sein. Beobachtet, dirigiert und abgesichert von Probek, der mit ihnen ständig über Sprechfunk verbunden ist. Kaum aber sind die Beiden in der Bank, informiert Probek anonym die Polizei, Er hat sich ein ganz anderes Spiel ausgedacht, von dem Junghein und Britz nichts ahnen. Die sind erst einmal perplex und mit ihren Geiseln beschäftigt. Der Tanz kann beginnen.

DER TANZ

Voss und sein Team tauchen auf. Erfahrene Polizeispezialisten, die selbst in solch angespannten Momenten wissen, was zu tun ist. Jedenfalls glaubten sie das bisher. Routine sprüht aus ihren Aktionen und. Bewegungen. Die Gegend absperren, Schaulustige fernhalten, Schlüsselpositionen besetzen lassen, Sonderkommandos bilden, Experten anheuern, die beiden Gangster in der Bank erst einmal beruhigen, währenddessen Sensoren an der Decke der Schalterhalle die Situation drinnen wiedergeben sollen. Aber da ist Probek vor, und Voss ist das erste Mal verblüfft, Die da drinnen veranstalten solch ein Geschrei, setzen sämtliche Elektrogeräte in der Bank in volle Bewegung, dass von Abhören nicht die Rede sein kann. Der erste Punkt für den unbekannten Probek. Der Junghein Mut macht. “Du bist jetzt am Drücker, du hast die Geiseln. Dreh‘ den Spieß um“, fordert er ihn listig auf. Und Junghein stellt klar: 3 Millionen in bar und das Fluchtauto. Sämtliche psychologische Kniffe und Regeln von der Schulung funktionieren hier offensichtlich nicht, muss Voss nach und nach resignierend feststellen. Um dann zu erfahren, es mit einem alten Bekannten zu tun zu haben. Junghein. Den hat er selbst einmal eingebuchtet und “bearbeitet“. Wenigstens kennen sich jetzt die Kontrahenten, glaubt der Bulle. “Wir sind jetzt Partner. Lass‘ uns das Ganze anfangen“, lautet die Aufforderung an Junghein, “Wir zwei sind einfach zwei verschiedene Pole auf zwei verschiedenen Seiten. Zwischen uns besteht eine Spannung, die wir versuchen müssen auf ein erträgliches Maß zu reduzieren“, wird Voss ganz Aufpasser und väterlicher Kontrahent.

WESTERN IN DER GROSSSTADT…

Das Raffinierte und Tückische hier ist die aufkommende und dann einfach nicht mehr wegzudenkende Sympathie mit “den Falschen“ den Gangstern. Wie zur guten alten :Pionierzeit im wilden amerikanischen Westen, als Bandeleros ihre Fähigkeiten bis zum Exzess ausreizten. “Die Katze“ ist so eine Art Western. Western in der Großstadt. Ausgangspunkt: Das Duell zwischen Outlaws und dem Sheriff und seinen Assistenten. Früher waren das manchmal Gleichungen, die aufgingen. Auge um Auge. Zahn um Zahn. Heute setzt die eine Seite auf ihre hochgezüchteten, hochtechnisierten und mit allen nur erdenklichen Hilfsmitteln ausgestatteten Apparate. Computer, Überwachungs- und Abhörgeräte, Schnellfeuerwaffen, Giftgase. Und die andere, die herausfordernde, auf die Gewalt. Und den eigenen Druck, die Cleverness, doch genügend Nerven und Können zu besitzen, um einmal an das große Geld heranzukommen. Mit dem alles bekanntlich veränderbar ist, sogar die Identität. Dadurch, dass der Boss der kleinen Bande hier überhaupt nicht in Erscheinung tritt:, sondern aus dem Hintergrund die Fäden spinnt, die Spielregeln bestimmt, sind die Chancen bei diesem Duell lange Zeit zumindest 50-50. Beide Seiten bedienen sich hier derselben Mittel, so dass der Marshall von Düsseldorf andauernd ins Schwitzen und in Grübeln gerät. Die Frage ist nur, welche Seite sie am besten und zweckmäßigsten für sich auszunutzen weiß.

Die Dauerfrage ist aber natürlich auch, warum sich hier das Gefühl einfach nicht auf die Seite der Polizei schlagen will. Warum man bei diesem, riesigen Aufwand und bei dieser ungeheuren Konfrontation der Kräfte auch der kriminellen Seite durchaus eine Chance zubilligen möchte. Eine teuflische Angelegenheit, die selbst beim Anblick der gepeinigten Geiseln emotional nicht umschlägt.

…ALS DEUTSCHER “film noir“

Die Außenseiter, die Gangster. Die Polizei. Die Moral. Ein Film, ein deutscher “film noir“ wird plötzlich siedend heiß spürbar. Etwas worüber Wim Wenders einmal gesagt hat: “Der Film noir ist für das Kino das, was der Blues in der Musik ist das einzige, was zählt“. Und man spürt “den Blues“, die virtuosen Töne, wie sie langsam und immer sinnlicher von der Leinwand herüberklingen und dieses wonnige Gefühl verbreiten. Dabei herrscht unterbewusst ständig Misstrauen. Misstrauen, das bei einem amerikanischen oder französischen Movie der Vierziger oder Sechziger längst abgebaut und der faszinierenden Sehnsucht nach solchen Bildern erlegen wäre. Aber sie stammen eben nicht aus L.A. oder Paris, sondern aus dem so nüchtern klingenden ‘Düsseldorf‘. Mit den Einwänden, dass es “so etwas“ dort doch gar nicht geben kann. Weder im Kino noch sonst wo. Aber diese Bilder lassen nicht locker. Und erzählen wirklich von einem Tollhausstück aus der bundesdeutschen Millionenmetropole Düsseldorf. Es gehört einiges dazu, sie dort aufgenommen zu haben. Aber es gehört auch einiges dazu, sie zu akzeptieren, sich an sie überhaupt zu gewöhnen. Wir haben (zu) lange im deutschen Kino gebraucht, um einmal einen schwarzen Thriller bei uns so professionell auf die Beine zu stellen. Die Überraschung und das Vergnügen ist groß.

IDENTIFIKATION UND KINO

Und die Identifikation erklärbar. “Die Straßen waren schwarz nicht vom Dunkel der Nacht allein“, drückte es einmal Raymond Chandler aus, dessen
Eskapaden auf der Leinwand immerhin Asse wie James Cagney oder Humphrey Bogart fortsetzten. Und später in der Art Lino Ventura oder Gian Maria Volonte, ihre europäischen Nachkommen. Die Figur Probek reiht sich bei ihnen jetzt ein. Dank der Technik und Wissenschaft, mit der heute jeder jeden jederzeit beobachten, abhören, überprüfen kann, sieht sich der Bürger zunehmend seinem “Versorger“ Staat hilflos ausgeliefert. Einer von ihnen, Probek, probiert es jetzt umgekehrt. Setzt das staatliche System gehörig unter Druck. Macht “denen“ zu schaffen. Die “Waffen“ sind gleichverteilt, und dies erzeugt eine ungeheure Sympathie für Probek und Anhang, die (stellvertretend für viele) d i e Mutprobe durchführen, für die sonst im zermürbenden Alltag Phantasie und Energie nicht ausreichen. Dafür auch ist Kino erfunden worden, dafür besitzt Kino seine feine Existenzberechtigung. Ersatzhandlungen spannend vorführen. Und darum gerät auch Probek in Nöte. Zuvor jedoch kommt Jutta zurück, um etwas Wichtiges mitzuteilen.

Er sieht nur das Fleisch und stürzt sich wie ein zum Tode Verurteilter, dem man das letzte feudale Essen spendiert, auf sie. Aber die Anspannung ist längst schon auf einem ganz anderen Tummelplatz angesagt. Wo sie jetzt mit C-Gas vorzugehen beabsichtigen. Probek muss sein sicheres Versteck aufgeben und kann die Chose in einer waghalsigen Aktion noch einmal zu seinem Gunsten retten. Aber Polizist Voss ist misstrauisch geworden. Zählt eins und eins zusammen, und ist außer sich vor so viel unglaublicher Intelligenz und Pfiffigkeit auf der Gegenseite. Während Probek endlich die Karten auf den Tisch ausbreitet. Er hat Junghein nicht aus reiner Freundschaft aus dem Knast geholt und zu diesem Coup überredet. Da ist noch eine alte, blutige Rechnung offen. Junghein hat vor längerer Zeit die Freundin Probeks erstochen Und der hat wie ein Puppenspieler die Marionetten bewegt, alle in Positionen gebracht und doch nur eine Show zur privaten Befriedigung abgezogen.
Ein Gangster-Virtuose, der für sich die Risiken von vorn herein kalkulierbarer setzte. Doch er hat nicht mit einem Voss gerechnet, der jetzt kein Pardon mehr gibt.

SHOWDOWN

“Ein ganz normales Geschäft: Mensch gegen Geld“, läutet Voss die Schlussrunde ein. „Leben ist ‘ne Sau. Aber manchmal kann man sie schlachten“, argumentiert Probek. Und hat seine Jutta völlig unterschätzt. Sie trumpft plötzlich auf. Hat ihren Einsatz gewissenhaft vorbereitet und stellt mittenmal Bedingungen. Sie, und nur sie, entscheidet über das Spiel der Kerle, über Sieg und Niederlage.

PROLOG

Er ist 35, Absolvent der Hochschule -für Film und Fernsehen in München und hat sich erst “so ab zwanzig“ für Filme überhaupt interessiert. Meistens Genrefilme, Spannungsfilme, “die amerikanischen und französischen“. Im Kino erregte DOMINIK GRAF 1984 mit seinem Fernsehfilm “Treffer“ Aufsehen, einer sympathischen Geschichte um Halbwüchsige, die nicht erwachsen werden wollen. Viel Krimi-Arbeit verrichtete er seither beim Fernsehen (für “Tatort“ und vor allem den “Fahnder“ Faber): “Beim Fernsehen, bei diesen Serien, da hast du noch so eine Freiheit, dass du sehr viel mit dir selbst ausprobieren kannst. Da kannst du so ein bisschen Anarcho-Arbeit machen, das ist so ‘ne Art Underground-Tätigkeit“. Dominik Graf und sein Lieblingsautor Christoph Fromm haben nach dem Roman “Das Leben einer Katze“ von Uwe Erichsen (der auch am Drehbuch mitarbeitete) einen hervorragenden Ensemblefilm geschaffen. GÖTZ GEORGE, Deutschlands Superstar Nr. 1; GUDRUN LANDGREBE als ausgefuchste Lady mit reizvollem Körper und noch mehr Verstand; JOACHIM KEMMER, seit Jahrzehnten die deutsche Stimme von Humphrey Bogart als dauernd ins Grübeln geratener Polizist; HEINZ HOENIG als fiebriger, brutaler Probek-Kumpan, und die anderen ordnen sich dem Konzept der Story diszipliniert unter und rasten nicht aus.

George selbst, als Probek, bekommt dafür einen ganz starken Abgang. Wie er zum Schluss von Voss und Kollegen niedergemacht, niedergeschossen wird, ist einsame Klasse, will sagen: dermaßen spektakulär und besser kann auch in einem amerikanischen Film keiner sterben sehen. Peckinpah hätte seine helle Freude an diesen letzten fünf Minuten, die eine große Verbeugung vor einem unser größten und populärsten Schauspieler sind, der im Übrigen in keinem Moment auch nur annähernd an Schimanski erinnert.

In Anlehnung an die besten französischen Gangsterfilme der Sechziger, von zum Beispiel Jean-Pierre Melville, hat Dominik Graf einen wunderbaren deutschen Thriller geschaffen. Spannend, faszinierend, virtuos. Ein Ausnahmefilm. Die Überraschung und das Vergnügen ist groß (= 5 Pönis)!

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