John Boorman

RIAS 2 – Special „Film aktuell“ : Hans-Ulrich Pönack im Interview mit dem britischen Regisseur John Boorman im September 1987

Mr. Boorman, seit einiger Zeit machen sich Filmemacher in aller Welt daran, ihre Kindheitserinnerungen filmisch aufzuarbeiten. Woran liegt das Ihrer Meinung nach?

Nun, ich kann nicht für andere Regisseure sprechen. Derartige Entwicklungen stellt man von Zeit zu Zeit fest, und es scheint etwas Derartiges in der Luft zu liegen. Die Frage ist sehr schwer zu beantworten, aber vielleicht liegt es daran, dass wir alle zur selben Zeit älter werden.

Aber irgendetwas muss da doch vorgegangen sein, dass plötzlich solche Geschichten interessieren.

Dazu kann ich wirklich nichts Allgemeines sagen; ich kann nur für mich selbst sprechen, und in meinem Fall ist es ein Thema, an dem ich mich schon lange versucht habe, und über das ich mir schon lange, seit vielen Jahren Gedanken gemacht habe. Dafür, dass ich es jetzt getan habe, gibt es eine ganze Reihe von Gründen; ein Grund ist, dass der “Smaragdwald“ sehr viel mit Familienleben zu tun hat, sagen wir, mit der “Kernfamilie“ amerikanischer Eheleute und ihrer Kinder gegenüber dem größeren Stammesverband bei den Indianern. Als ich bei diesem Indianerstamm lebte und die Geschichte vorbereitete – und dies war für mich eine sehr tiefgreifender Erfahrung – musste ich sehr viel über Familienleben nachdenken, auch über meine eigene Familie. Ich hielt daher für mich den Zeitpunkt für gekommen, einen solchen Film zu drehen. Aber abgesehen davon gab es auch noch weitere Gründe; einer war in meinem Fall, dass ich wollte, dass meine Mutter, die jetzt 86 Jahre alt ist, den Film noch sehen sollte, weil ich auf eine gewisse Weise auch ihre Vergangenheit schildere. Andererseits wäre es mir unmöglich gewesen, diesen Film zu Lebzeiten meines Vaters zu drehen, weil ich glaube, er hätte ihn verletzt, und es wäre für ihn schwierig gewesen, weil die Beziehung zwischen meiner Mutter und ihrem Freund in diesem Film geschildert wird.

Es war von daher also für mich der richtige Augenblick, diesen Film zu drehen, und ich bin überzeugt, dass dieses Thema “Familienleben“ gerade im Augenblick sehr interessant und wichtig ist. Ich habe selbst vier Kinder, die jetzt gerade heranwachsen, und ich entstamme einer Familie, die diese Zeit, diese Kriegszeiten, überlebt hat. Ich würde sagen, der Film handelt von einer Familie, die in einer extremen Situation lebt und dennoch fähig ist, intakt zu überleben. Was wir demgegenüber heute feststellen, ist, dass das Leben in der Familie eher zusammenbricht, versagt – aber hierbei handelt es sich um eine andere Art von Stress. Ich hielt die Zeit daher für gekommen, diesen Film zu machen.

Warum nun andere dieses Thema behandeln: Natürlich stellen wir fest, dass sich Woody Allen damit befasst hat, Louis Malle und viele mehr. Es gab da noch einen weiteren Faktor, der mich veranlasste, mich dazu führte, dies zu tun, und dies kann auch bei anderen Filmemachern der Fall gewesen sein: Ich meine “Heimat“. Ich möchte sagen, dass dies nicht nur einer der besten Filme ist, der je gemacht wurde, sondern darüber hinaus auch eines der größten Kunstwerke des 20. Jahrhunderts. Es geht dabei – selbstverständlich – um eine Familie und in gewissen Maße auch um Kinderjahre, aber eher in der Weise, dass er auf die Geschichte einer Nation zurückblickt, und dies, indem er sich mit einem Mikrokosmos befasst. Und ich kann mir vorstellen, dass sich auch andere Regisseure von “Heimat“ beeinflussen ließen, als sich beschlossen, sich mit ihrer eigenen Vergangenheit zu befassen.

Sie sagten, dass Sie diesen Film noch machen wollten, damit Ihre Mutter…

Nun, sie sagte – nun, meine Mutter kannte ihn schon vorher, weil ich ihr natürlich das Drehbuch gezeigt und mit ihr darüber gesprochen hatte, bevor wir mit den Arbeiten anfingen, und wenn sie Einwände gehabt hätte, hätte ich den Film auch nicht gemacht, aber meine Mutter….Wir hatten letzte Woche die Premiere in London, und als wir nach dem Film herauskamen und dort die ganzen Fernsehkameras waren, fragte ich meine Mutter, was sie von dem Film halte, und sie antwortete: “Ich habe ihn schon genossen, aber eigentlich finde ich einen guten Krimi besser.“ Sie wurde natürlich reichlich interviewt, weil ja das eigentliche Kernstück des Films die Beziehung zwischen ihr und dem besten Freund meines Vaters ist, und es war faszinierend, weil…. Sehen Sie: Mein Vater ist fort im Krieg, und sein Freund und meine Mutter hatten einander schon immer sehr geschätzt und damals viel Zeit miteinander verbracht, und er war für mich wie ein zweiter Vater. Sie waren zu der Zeit wirklich sehr glücklich, und deshalb war auch ich als Kind sehr glücklich, denn ein Kind nimmt die Gefühle der Eltern nur zu gut wahr, ohne letztlich zu verstehen, was diesen Gefühlen zugrunde liegt. Das hat mit Moral überhaupt nichts zu tun.

Das ist genauso wie zu Beginn des Films, wenn man die Nachricht von Kriegsausbruch, von der Kriegserklärung, im Radio hört, und das bedeutete mir überhaupt nichts. Worüber ich als Kind bestürzt war, und das zeige ich auch im Film, waren die erschütterten Gesichter meiner Eltern. Was ich sagen will ist: Kinder sind erstaunlich empfänglich für Atmosphäre, für emotionale Unterströmungen. Ich wurde mir daher des Verhältnisses zwischen meiner Mutter und dem Freund also erst dann bewusst, als mein Vater zurückkam und ich diese Spannung wahrnahm, diese Spannung aus Schuldbewusstsein meiner Mutter und Verärgerung meines Vaters – dies waren Spannungen, die sich mir mitteilten, und die mich verwirrten. Und dies hat nichts mit irgendwelchen tiefergehenden Moralfragen zu tun, derer ich mir als Kind nie bewusst war.

Ihre Kindheitserinnerungen in „HOPE AND GLORY“ haben natürlich etwas zu tun mit dem Zweiten Weltkrieg. Sie sind Jahrgang 1933. Aber der wird hier “anders“ geschildert als in vergleichbaren Filmen. Krieg ist hier längst nicht so bedrohlich, ängstlich, so grausam und abschreckend. Haben Sie ihn tatsächlich als Kind so und manchmal sogar so “fröhlich“ erlebt?

Nun, in diesem Film versuche ich, den Krieg an diesem speziellen Ort zu zeigen, so, wie ich mich daran erinnere, und natürlich waren die Luftangriffe auf London verheerend, wenn wohl auch nicht so schlimm wie zum Beispiel die Zerstörung von Berlin, Hamburg oder Dresden. Ich glaube, dass sich ein Kind der Gefahr fast nicht bewusst ist und sie auch sehr schnell wieder vergisst. Im Film gibt es Augenblicke des Schreckens, aber in erster Linie erinnere ich mich an diese Zeiten als Zeiten großer Aufregung, denn das Leben war aus der Bahn – die Luftangriffe bedeuteten, dass wir nicht zur Schule gehen mussten, und ich hatte weit mehr Angst vor meinem Klassenlehrer als vor Hitler.

Der Krieg hatte bei weitem nicht das bedrohliche Element wie die Schule, wo wir bestraft wurden, wo die Disziplin extrem streng war, und der Krieg hatte von daher die Bedeutung, dass wir der Schule entfliehen konnten. Außerdem waren die zerbombten Häuser ideale Spielplätze für Kinder. Ich glaube, dass kleine Jungen von Natur aus zerstörerisch, anarchistisch und extrem wild veranlagt sind, und dass sich von daher während meiner Jugendzeit eine ideale Gelegenheit zum Austoben ergab, und die Luftangriffe, Granaten, Bomben, Suchscheinwerfer nachts waren enorm aufregend. Außerdem war – und ist – außerdem ein Land, das in Klassen getrennt ist, und vor jener Zeit waren die Menschen sehr gehemmt, bis es der Krieg ihnen ermöglichte, insbesondere den Frauen, sich von diesen Schranken freizumachen. Ganz besonders die Frauen übernahmen Verantwortung für alle möglichen Dinge, sie arbeiteten, und sie wurden durch die ganze Situation auf eine Weise befreit, und alle Menschen lebten so, als könne jeder Tag ihr letzter sein, was meint, dass jedermann aus dem Vollen lebte.

Das Leben zu jener Zeit war extrem spannungsgeladen und vital, und das ist es, was ich im Film zum Ausdruck bringen wollte. Und ich glaube, dass der Krieg – nicht nur für Kinder, sondern für alle Menschen – eine Zeit großer Aufregungen und enormer Spannungen bedeutete, und ich glaube, dass diese Haltung verbreiteter war, als die Menschen zuzugeben bereit sind. Für diese Behauptung bin ich auch schon angegriffen worden, wenn man mich gefragt hat, ob ich es nicht auch für moralisch unvertretbar hielte, Kriegszeiten als so “spaßig“ und unterhaltsam darzustellen. Ich muss an dieser Stelle jedoch betonen, dass es mir hierbei nicht um moralische oder politische Fragen geht – mir geht es vielmehr darum, meine Erinnerungen so genau, wie es mir möglich ist, darzustellen.

Wenn ich ihre Filme, ihre zahlreichen Meisterwerke, rückverfolge, so beispielsweise “Point Blank“, “Die Hölle sind wir“ (“Hell in the Pacific“) oder “Beim Sterben ist jeder der Erste“ (“Deliverance“), dann finde ich ständig zwei Themen heraus: das Dauerthema Gewalt unter Menschen u n d die zunehmende Zerstörung von Zivilisation durch den Menschen. Was reizt Sie so besonders an dieser Thematik?

Das ist eine gute Frage. Wissen Sie, als ich “Hope and Glory“ fertiggedreht hatte – während man einen Film dreht, versetzt man sich natürlich, und so auch in meinem Fall, in diesen kleinen Jungen, der mich darstellte. Als ich den Film dann zusammen mit Publikum sah, sah ich ihn mit etwas anderen Augen, objektiver, und ich kann sagen, dass die Themen, die Sie angesprochen haben…. Ich bin während jener Zeit aufgewachsen, umgeben von Gewalt und Zerstörung, und das musste einfach Auswirkungen haben, und ich meine, dass der Aufbau des Films beruht unter anderem darauf, dass die Straße, diese Straße in der Stadt, zerstört wird und die Menschen zum Fluss, zur Natur, fließen. Und das ist weitgehend auch das Thema, das in vielen meiner Filme auftaucht, zum Beispiel in “Deliverance“.

Die Menschen verlassen die Stadt und gehen aufs Land, sie suchen eine Art von Harmonie mit der Natur, mit dem Fluss. Flüsse sind für mich auch sehr wichtig, und das ist auch das Grundthema in “Excalibur“, der Arthus- Legende, bei der es in gewissen Sinne auch um die Zerstörung von Camelot in der Folge des moralischen Verfalls geht, und die Suche nach dem Gral ist von daher auch der Versuch, die verlorene Harmonie mit der Natur zurückzugewinnen. Es geht also sehr stark um die Frage des Einklangs zwischen dem Menschen und der Natur, was für mich ein zentrales Thema ist, und dies wiederum geht in meine eigene Kinderzeit zurück, als ich diese faszinierende Beziehung zu dem Fluss hatte, die ich auch in “Hope and Glory“ zum Ausdruck bringen wollte.

Wie war es überhaupt möglich, heute so ein authentisches Gestern entstehen zu lassen? Mit diesen Bauten, dieser Atmosphäre, dieser Lebendigkeit?

Dies mag daran liegen, dass ich als Kind die Gewalt, so auch die Gewalt im Krieg, als eine Art Spektakel erlebte, und es kann sein, dass die Gewalt, wie sie sich in meinen Filmen darstellt, ein mehr oder weniger ästhetisches Element aufweist. Gewalt wird als Spektakel präsentiert, als etwas, was eher mit Kino als mit Schmerz oder Leiden zu tun hat. Für mich ist es aber grundsätzlich diese Art von Spannung zwischen Gewalt und Zerstörung auf der einen Seite und der Versuch, Harmonie herzustellen, auf der anderen Seite. Und dies ist es, was ich für das eigentliche Grundelement in meinen Filmen halte.

Was überhaupt ist für Sie Reiz und Ausgangspunkt für ein Projekt? Was muss es überhaupt beinhalten, damit es für sie akzeptabel wird?

Meistens fange ich mit einer Art Bild an. Zum Beispiel bei Excalibur, der Arthus-Legende, die mich schon immer angezogen und fasziniert hatte: Ich wollte zwar schon immer einen Film darüber machen, aber ich konnte nie genau sagen, wie ich an die Sache herangehen sollte. Was mich immer gereizt hatte, war das Bild des Schwerts, das aus dem See aufstieg, und dies war ein sehr starkes Bild, das mich ständig beschäftigte. Ich wollte dieses Bild im Film umsetzen, und genau dies war auch der Ausgangspunkt für diesen Film. In der Regel ist es etwas Derartiges und zusätzlich noch wenige Szenen oder Ideen, die mir ins Bewusstsein kommen. Den Film später zu durchdenken und das Drehbuch zu schreiben ist dann nur noch das Problem, wie man die Lücken zwischen diesen kurzen Inspirationen füllt – dies ist etwa die Art, wie es bei mir funktioniert. Nehmen wir zum Beispiel “Hope and Glory“: Es gab da bei mir bestimmte kurze Erinnerungen, zum Beispiel die Szene, in der die Kinder angeln, als die Bombe in den Fluss fällt und die Fische an die Oberfläche treiben; dies ist etwas, was ich erfahren habe. Genau solche Szenen sind der Ausgangspunkt für ein Projekt. Ich gehe grundsätzlich nie von irgendwelchen moralischen oder politischen Ideen aus.

Sie sind ja kein Regisseur, der sich irgendetwas vorschreiben lässt.

Ich mache nur die Filme, die ich auch wirklich machen will, und von daher passiert es mir nicht, dass man mir irgendetwas vorschreibt. Es ergibt sich also nur die Frage der Auswahl und der Wahlmöglichkeiten. Und exakt die Tatsache der Entscheidungsfreiheit zwischen mehreren Möglichkeiten ist die Krise der Demokratie; ich meine, dass sich die meisten Menschen lähmen lassen, wenn sie sich entscheiden können. Die meisten Menschen wollen, dass man ihnen sagt, was sie tun sollen, und ich selbst auch schlage mich manchmal mit meinen Vorstellungen herum und weiß nicht, wie ich etwas tun soll oder was ich tun soll. Manchmal würde ich gerne wieder in der Zeit leben, als man mir sagte, was ich zu tun hatte, aber heute bin ich für mich selbst verantwortlich und mache mir meine eigenen Gedanken über die Dinge und entscheide, was und wie ich etwas tun will. Und heute denke ich, obwohl ich früher Filme gemacht habe, die – ich würde sagen, dass es bei mir zwei Arten von Filmen gibt, nämlich Träume und Alpträume, “Deliverance“ zum Beispiel ist ein Alptraum, ebenso wie “Point Blank“, während andererseits Filme wie “Hope and Glory“ und sogar “Excalibur“ eine Art Traum sind. Mir liegt mehr an den Träumen als an den Alpträumen; ich würde schon sagen, dass ich mich mit den unerfreulichen Themen ziemlich aufgerieben habe, so dass es nur zu erfreulich war “Hope and Glory“ zu machen, einen Film, der die Menschen zum Lachen bringt und ihnen Freude macht, was für mich wiederum sehr befriedigend war.

Zurück zu „HOPE AND GLORY“. Wie fanden Sie diese hervorragenden Kinderdarsteller und vor allem diesen Sebastian Rice-Edwards als Ihr zweites Kindheits-Ich?

Natürlich war es zunächst einmal sehr schwer, diesen Jungen zu finden, der mich spielen sollte, wie Sie sagen, denn ich war ein sehr schüchterner und introvertierter Junge, der sich ständig um alles Gedanken machte, und derartige Kinder sind in der Regel nicht die Kinder, die man als Schauspieler findet, sie haben vielmehr Angst davor. Ich habe deswegen lange suchen und mir Hunderte von Kindern ansehen müssen, bis ich sogar irgendwann fast soweit war, das Projekt ganz aufzugeben, weil ich kein geeignetes Kind finden konnte. Wir haben dann schließlich, nachdem wir eine Anzahl von Schulen besucht hatten, Sebastian und ein paar andere Kinder gefunden. Nach zahlreichen Proben waren wir dann soweit, dass wir meinten, es tun zu können.

Wenn man nun aber Rollen mit Kindern besetzt, geht es aber nicht nur darum, das richtige Kind zu finden; genauso wichtig ist es festzustellen, ob dieses Kind die nötige Energie und Konzentration aufbringen kann, um auch längere Zeit durchzuhalten. Außerdem darf man die Eltern nicht vergessen: Wenn ein Kind eine Rolle bekommt, ist man gut beraten, wenn man der Mutter auch eine Rolle gibt. Und in einigen Fällen stellt man fest, dass ein großartiges Kind eine grauenhafte Mutter hat, die einen schlicht zur Verzweiflung treiben kann. In diesem Fall waren seine Eltern jedoch großartig und sehr kooperativ; sie fanden es auch gut, dass er diese Rolle spielte, weil sie meinten, dass es seiner Entwicklung nützen könnte. Er bekam also die Rolle, und es wurde ein überragender Erfolg, nicht nur vom Schauspielerischen her, sondern auch im Sinne seiner Entwicklung als Kind. Er hat Herausragendes geleistet. Wenn man mit Kindern arbeitet, muss man jedoch auch immer sehr sorgfältig darauf achten, sie durch die Erfahrung nicht zu schädigen; Sebastian hat sich jedoch erstaunlich weiterentwickelt und ist jetzt einigermaßen überrascht durch die Resonanz, auf die er jetzt trifft, wo der Film gezeigt wird.

Wie haben die Kinder reagiert?

Nun, für sie war es genauso weit entfernt wie zum Beispiel der Film über König Arthus, und sie – nun ja, sehen sie, die ganze Geschichte wurde vor ihren Augen dargestellt. Während wir den Film drehten, kamen sie ständig mit Fragen und lernten hinzu, und ich habe so angefangen. Wissen Sie, ich habe auch meinen Kindern Geschichten erzählt, als sie klein waren, etwa in Sebastians Alter, Geschichten über den Krieg, über meine Abenteuer als Kind, und meine Kinder waren davon eigentlich immer ziemlich fasziniert, und genauso war es mit Sebastian. Diese Kinder waren nun, sagen wir einmal, erstaunt über das Leben, wie es ihre Eltern und Großeltern geführt hatten, und als sich die Kinder den Film am Ende ansahen, war es für sie kein Problem mehr, sich mit dem kleinen Jungen und dem kleinen Mädchen zu identifizieren. Das war bestimmt eine große Überraschung für viele Menschen und, wie ich glaube, insbesondere für junge Menschen.

War es schwer, diese Kinder mit etwas zu konfrontieren das sie nicht kennen?

Mit Kindern ist es eindeutig einfacher, weil Kinder sehr stark mit Illusionen leben, und es ist für ein Kind recht einfach, sich in die Welt der Phantasie zu versetzen. Kinder sind von Natur aus Künstler, und ich glaube, dass alle Kinder auch Künstler sind. Dies hört erst auf, wenn sie älter werden, meistens jedenfalls, und erwachsene Schauspieler brauchen Technik, um Illusion wecken zu können, während dies für ein Kind ganz selbstverständlich ist. Für Kinder gibt es keine Trennung zwischen Realität und Vorstellung, und das ist auch der Grund, warum es so viel Freude macht, mit Kindern zu arbeiten.

Ich will nicht bestreiten, dass es technische Probleme gibt, aber was mich so fasziniert hat, wenn ich mit Kindern gearbeitet habe, war, dass ich glaubte, meine Aufnahmen und Einstellungen einfacher gestalten zu müssen – weniger komplizierte Einstellungen – denn bei sehr komplizierten Einstellungen müssen sich die Darsteller äußerst genau bewegen, und es sind sehr gründliche Proben nötig. Jedoch erlernen Kinder diese Fähigkeit sehr schnell, und sie waren großartig, und ich konnte alle Einstellungen drehen, wie ich sie mir ursprünglich vorgestellt hatte. Das Problem bei Kindern ist, dass sie müde werden und die Lust verlieren; schon allein wegen der gesetzlichen Vorschriften kann man nur eine bestimmte Zeit, vier Stunden am Tag, arbeiten, was aber auch richtig ist, denn danach werden sie schlicht zu müde. Auf jeden Fall ist es aber eine reine Freude, mit Kindern zu arbeiten. Außerdem ist es auch deshalb einfacher, weil man bei ihnen, wenn sie etwas falsch machen, ausholen kann, um ihnen eine Ohrfeige zu geben, was bei Erwachsenen wohl kaum möglich ist.

Warum glauben Sie, Mr. Boorman, interessiert sich das Publikum heute wieder für Film-Erzählungen, für Geschichten, für Menschen im Kino und nicht mehr nur für diese bunten Bilder, Clips und Fantasy-Tricks?

Nun, ich denke, dass in Amerika als unbestritten führendem Filmland und Trendsetter seit einigen Jahren Filme gezielt für Teenager und junge Menschen produziert wurden, weil man diese Menschen für das wichtigste Publikum hielt. Hierzu gibt es aber von David Putnam, dem Chef von Columbia, eine recht interessante Bemerkung, dass nämlich Erwachsene auch Menschen sind, und wenn Filme ausschließlich für sehr junge Menschen mache, kämen natürlich auch nur diese jungen Leute ins Kino. Man vertreibt als das erwachsene Publikum, und was mich an der Entwicklung der letzten paar Jahre besonders freut, ist, dass immer mehr Filme für Erwachsene, Filme, die sich mit dem Menschen befassen, gemacht werden, so dass ein reiferes und intelligenteres Publikum in die Kinos zurückkommt. Ich hoffe jedenfalls, dass das der Fall ist, und ich glaube zu spüren, dass die Menschen – auch das junge Publikum – allmählich genug davon hat, nur noch Action und Tricks präsentiert zu bekommen, wenn sie allein mechanisch ablaufen und keinen Bezug zum Menschen haben.

Es ist ungewöhnlich, dass parallel zum Kinostart eines Films eine Ausstellung zu dem Film eröffnet wird. So geschehen aber am 6. September im Deutschen Filmmuseum Frankfurt/Main mit Modellen, Dokumenten und Entwürfen zu „HOPE AND GLORY“. Wie finden Sie das?

Ich war auf der Eröffnung dieser Ausstellung, die man nur als brillant bezeichnen kann. Diese Ausstellung zeigt die ganze Entstehung des Films, die Planung, die Modelle, alle Entwürfe und den Hintergrund des Film, das heißt, London während des 2. Weltkriegs. Es ist eine hervorragend gemachte Ausstellung, zu der es letztlich deshalb kam, weil Rolf Gießen bei den Dreharbeiten auftauchte und von dieser gewaltigen Straße, die wir für den Film aufgebaut hatten, enorm beeindruckt war. Der ganze Film besteht ja ausschließlich aus Aufbauten, die wir selbst angefertigt hatten, da es keine natürlichen Plätze gab und alles nachgebaut werden musste, so dass der gesamte Aufbau künstlich ist. Und er hielt es für eine gute Idee, gerade wegen der Art und Weise, wie wir den Film produziert hatten, eine Ausstellung zusammenzustellen. Er sprach dann das Frankfurter Filmmuseum an, ließ sich von uns das Material geben und stellte es mit anderen Kollegen zusammen. Sie haben jetzt vor, derartige Ausstellungen regelmäßig zu veranstalten, das heißt, Ausstellungen über aktuelle Filme vorzubereiten. In der Regel ist es ja doch so, dass alle Aufbauten, alle Modelle, Pläne, Kostüme, Requisiten abgerissen und weggeworfen werden, und der beste Zeitpunkt, diese Artikel zu bewahren, ist während der Dreharbeiten. In Frankfurt plant man daher jetzt eine ganze Reihe solcher Ausstellungen, und die Besucher, die die Ausstellung bisher gesehen haben, waren absolut begeistert, dass man ihnen zeigte, wie es zu einem Film kommt. Und auch ich war sehr beeindruckt über die Art, wie man die Ausstellung realisiert hat.

Aber es ist ja seltsam, dass die Ausstellung nicht bei Ihnen zu Hause, in Großbritannien zu sehen ist.

Nun, wissen Sie, das British Film Institute, dessen Präsidium ich angehöre, ist gerade jetzt dabei, ein Museum auf- bzw. zusammenzubauen, das dem Frankfurter Filmmuseum weitgehend entspricht, und man bereitet ebenfalls eine derartige Ausstellung vor, jedoch waren die Arbeiten dort nicht rechtzeitig abgeschlossen, um meinen Film berücksichtigen zu können, aber im Prinzip plant man genau dasselbe. Ich habe in Frankfurt auch mit den Mitarbeitern des Filmmuseums gesprochen und vorgeschlagen, dass man sich einmal überlegen sollte, ob diese Ausstellung auch in Paris, im Centre Pompidou, gezeigt werden könnte, sobald der Film nach Paris kommt. Während unserer Gespräche darüber kamen wir immer mehr zu dem Schluss, dass derartige Ausstellungen zukünftig in einer ganzen Reihe von Ländern gezeigt werden sollten, damit sich mehrere Museen die Kosten für die Vorbereitung einer solchen Ausstellung teilen können, die dann als Wanderausstellung nach England, Frankreich, Deutschland, Amerika und so weiter kommen könnte. Ich halte dies für einen sehr reizvollen Gedanken.

Bedeutet das aber nicht auch, dass Ihre Filme KINO immer wieder „verändert“?

Nun, ich glaube, Kino wurde immer als eine Art Aschenputtel der Künste gesehen, und ich begrüße dies eigentlich. Mich macht es immer etwas unsicher, wenn ich feststelle, dass Kino zu ernst genommen wird, denn das Wichtige am Film ist doch letztlich, dass sich das Publikum auf der ganzen Welt nicht so sehr der Tatsache bewusst ist, das Film Kunst ist, so dass sich der Kinobesucher auch nicht einschüchtern lässt. Sehen Sie, das Großartige beim Film ist ja gerade, dass er alle Grenzen von Klassen und Nationen überschreitet; ins Kino gehen einfache Menschen ebenso wie anspruchsvolle Zuschauer, und darin liegt die Stärke des Films. Die Gefahr liegt andererseits darin, dass Kino elitär wird, wie dies bei anderen Kunstformen bereits geschehen ist, so dass einfache Menschen keinen Zugang mehr haben und man sich selbst in eine Art künstlerisches Ghetto begibt.

Sie sind ein außergewöhnlicher Regisseur. Was wird Ihr nächstes Projekt?

Ich habe immer eine ganze Anzahl von Vorstellungen im Kopf, und eine Idee ist, eine Art Spiegelbild von “Hope and Glory“ zu drehen. Wenn ich mir meine eigene Familie vorstelle, so möchte ich einen Film machen, der auf meinen Erfahrungen, meinen Beobachtungen mit meinen eigenen Kindern basiert, wie sie jetzt als junge Menschen in London leben und ihre eigenen Erfahrungen machen. Eine andere Idee dreht sich um das englische Landhaus als stattliches Heim, das seine Blüte im 18. Jahrhundert erlebte, etwa zur Zeit der französischen Revolution.

Sie müssen sich diese Art Landhaus als Zentrum künstlerischer Tätigkeit vorstellen, das bei aller städtischen Orientierung und Perfektion mitten auf dem Land liegt und von daher auch in enger Beziehung zur Natur steht, und über jene Zeit wollte ich schon immer einen Film machen, einen Film über das Landhaus zu jener Zeit, im 18. Jahrhundert. Außerdem sondiere ich gerade die Möglichkeit, einen Film in der Sowjetunion zu drehen, weil mich die jüngsten Ereignisse in Russland, in Georgien und Armenien, interessieren und ich gerne sehen möchte, was dort eigentlich geschieht. Ich möchte also gerne einen Film über die Ereignisse dort, den Wandel, der sich in der Sowjetunion vollzieht, drehen und interessiere mich von daher für diese Möglichkeit.

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