In guten Händen Kritik

IN GUTEN HÄNDEN“ von Tanya Wexler (GB/Fr/D 2011; 100 Minuten; Start D: 29.12.2011); sie ist die jüngere Halbschwester von Daryl Hannah („Splash – Eine Jungfrau am Haken“, 1984), wurde am 5. August 1970 in Chicago geboren, machte ihren Bachelor in Psychologie an der „Yale-Universität“ und danach ihren Master in Film an der „Columbia Universität“. Drehte zwei Kurzfilme („The Dance“; „Cool Shoes“), die auf internationalen Festivals vorgeführt wurden. 1998 schuf Tanya Wexler mit „Finding North“ ihren ersten Langfilm. 2001 folgte „Ball in the House“ (mit Jennifer Tilly + David Straitham), bevor sie eine längere Auszeit „wg. Familyplanung“ nahm. Nun also ihr erst 3. Kinofilm. Der Originaltitel trifft den Ursprung: „Hysteria“. Aber auch der deutsche Verleihtitel vermag durchaus „den Ton“ anzustimmen. Und die Filmemacher – das Drehbuch stammt vom Ehepaar Stephen & Jonah Lisa Dyer – wissen zudem auch sogleich im Vorspann zu informieren: „Nach einer wahren Geschichte“. Plus Zusatz: „Doch, wirklich“.

Wir befinden uns anno 1880. Im „geteilten“ London. Hier die bürgerliche Fein-Fassade, dort die, die schuften. Und darben. Es ist eine elektrische, besser elektrisierte Zeit. Epoche. Neumodische Maschinen werden erfunden. Erprobt. Zum Beispiel vom reichen Adelspinkel Edmund St. John-Smythe (RUPERT EVERETT). Dessen Eltern seinen Waisen-Freund Mortimer Granville (HUGH DANCY) mit-aufgezogen und unterstützt haben. So dass DER Arzt werden konnte. Und die medizinischen Neu-Zeiten längst erkannt hat. Anhänger der Keimtheorie ist. Viel von Sauberkeit und Sterilität hält. Doch „damit“ bei den blasierten, traditionsbesessenen und profitorientierten Alt-Kollegen auf Widerstand stößt. Deshalb sich öfters auf Arbeitssuche befindet. Und schließlich in der feudalen Privatpraxis von Dr. John Dalrymple (JONATHAN PRYCE) landet. Der im wahrsten Sinne alle Hände voll zu tun hat. Und kompetente Unterstützung dringend benötigt. Für gute Bezahlung. Sowie komfortable Kost und Logis. „Hysterie“ ist als Frauenkrankheit der Zeit ausgemacht. Bei Schlafstörungen einer einsamen Witwe. Der Erschöpfung einer vierfachen Mutter. Oder bei der emotionalen Blockade einer renommierten Opernsängerin. Also greift der Doktor ein. Wahrhaftig wie buchstäblich. Mit Öl und „ständigem gleichmäßigen Massage-Druck“ im Unterleib der Frauen. „Das ist das Wichtigste“. Um diese „quälenden Gedanken“ seiner Patientinnen abzustellen. Die „begeistert“ von dieser Art Behandlung sind. Und immer zahlreicher erscheinen. Kommen. Auch dank nun auch Mortimers „Fähigkeiten“. Behandlungen.

„Das weibliche Organ ist nicht in der Lage, irgendein Lust-Gefühl zu empfinden“, weist Dr. Dalrymple die ansatzweise Kritik seiner älteren Tochter Charlotte (MAGGIE GYLLENHAAL) zurück. Es handele sich hier um „keine Lust“, weiß er über die „entzückten“ und sich vor „Empfindung“ wälzenden Patienten-Ladies zu berichten, „sondern ausschließlich um eine medizinisch indizierte Stimulation des Nervensystems“. Die zur teuren Heilung bzw.„Behebung“ „des Leidens“ führen. Der Praxiskalender füllt sich. Und Mortimer ist auf dem Weg zum „gemachten Mann“. Zumal sich zwischen der jüngeren Tochter des verwitweten Arztes, Emily (FELICITY JONES), und ihm eine „romantische Beziehung“ zu entwickeln scheint. Familienanschluss scheint möglich. Mit Praxis-Erbe. Doch dann vermasselt er „die Dinge“. Erst über eine Art „Tennisarm“, rechts, dann bekommt er es mit der engagierten Charlotte zu tun. Die ein Behandlungs- und Verpflegungshaus für Bedürftige leitet. Und praktische ärztliche Hilfe von ihm einfordert. Was ihrem sturen Papa aber ein Dorn im sozialen wie traditionellen Auge ist. Weil er dies gegen seine Prinzipien und seinen Ruf gerichtet sieht und weil dies auch „seinem Geldbeutel“ schaden könnte. Mortimer wird entlassen. Kann aber punkten. Mit dem neuartigen Gerät von Kumpel-Bruder Edmund. Eigentlich gedacht und erfunden als „elektrischer Staubwedel“ erweist dieses sich als „sehr hilfreich“ und dann auch lukrativ für die medizinische Behandlung der „Hysterie“. „Die Parteien“ kommen wieder zusammen. Aber nicht zur Ruhe. Nebenbei: Ausgerechnet im viktorianisch-prüden Britannien ist gerade der VIBRATOR erfunden. Worden.

Eine hübsche Geschichte. „Britannisch“ amüsant erzählt. Mit viel Wahrheitsgeschmack. Aus dem Presseheft, betitelt „Eine kurze Geschichte der Hysterie (und des Vibrators)“:
1859 = Eine Studie von britischen Ärzten kommt zu dem Ergebnis, dass bereits bis zu 40% der weiblichen Bevölkerung mit Hysterie diagnostiziert wurden.
1869 = Der Amerikaner George Taylor erfindet eine Dampf betriebene, als „Manipulator“ bekannte Maschine. Ärzte, die auf dem Gebiet der Hysterie tätig sind, wenden sie bald in ihren Behandlungen an. Doch Taylor rät zur Vorsicht beim Einsatz, um einer „Übersättigung“ der Patientinnen vorzubeugen.
1883 = Joseph MORTIMER GRANVILLE lässt den ersten elektrischen Vibrator patentieren. Obwohl er von seinem Erfinder eigentlich für die Behandlung von Muskelverspannungen vorgesehen war, wird er bald vor allem gegen Hysterie eingesetzt.
1952 = Das American Psychiatric Institute entscheidet endgültig, dass Hysterie keine Krankheit ist.
2007 = Der amerikanische Supreme Court verweigert eine Anhörung zur Verfassungsmäßigkeit des Verbotes der sexuellen Verwendung von Vibratoren in einigen Bundesstaaten. Bis heute sind sie deswegen in Alabama, Georgia, Indiana, Louisiana, Massachusetts, Mississippi, Texas und Virginia verboten.

Was für eine originelle Schelmerei. Ironisch doppelbödig funkelnd, dabei mit coolen Emanzipationsgedanken aufmüpfig pointiert prostend: Mit geschliffenen Dialogen hantierend, von einem erstklassigen Ensemble angenehm bemüht vorgetragen. Dabei die Erfolgsgeschichte eines „Utensils“ vortragend, das bald sämtliche gesellschaftliche Klassen im Drehen „eroberte“. Einschließlich „ganz oben“. Im Empire. „Selten hat es so viel Spaß gemacht, geheilt zu werden“, steht unter dem Filmtitel. „In guten Händen“ ist eine amüsante, befriedigende Kino-Lustreise (= 3 ½ PÖNIs).

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