I, TONYA

PÖNIs: (4,5/5)

„I, TONYA“ von Craig Gillespie (USA 2017; B: Steven Rogers; K: Nicolas Karakatsanis; M: Peter Nashel; 119 Minuten; deutscher Kino-Start: 22.03.2018); wie wird man berühmt? Und zwar so berühmt, dass dich die Menschen nie mehr vergessen? So dass sie bei Nennung deines Namens unverzüglich sagen können: Ach ja, das ist, das war ja DIE…! Solch eine Berühmtheit ist TONYA HARDING. Geboren am 12. November 1970 in Portland/Oregon. 1991 gewann Tonya Harding die US-amerikanische Meisterschaft im Eiskunstlauf, nachdem ihr ein dreifacher Axel gelang, der erste Sprung bei US-Meisterschaften überhaupt in der Damenkonkurrenz. Am 6. Januar 1994 empörte ein Eisenstangen-Attentat auf ihre Konkurrentin Nancy Kerrigan während des Trainings die Öffentlichkeit. Es stellte sich heraus, dass der Ehemann von Tonya Harding, Jeff Gillooly, den Attentäter beauftragte und bezahlte. Tonya Harding gewann die Meisterschaft in diesem Jahr, dieser Titel wurde ihr jedoch aberkannt, nachdem ihre – „familiären“ – Verbindungen zum Anschlag auf Nancy Kerrigan bekannt wurden. Seitdem wurde Tonya Harding in der Öffentlichkeit als „Eishexe“ bezeichnet.

Es ist etwas dran: Die aufregendsten Geschichten schreibt oftmals das Leben selbst. Dieser Spielfilm ist erneut ein Beleg dafür. Der Anfang. Die Kindheit. Mit dem Regiment der ehrgeizig-krankhaften Tonya-Mutter LaVona (ALLISON JANNEY/bekam dafür neulich den Nebendarstellerinnen-„Oscar“). Die schon ihr süßes, knapp vierjähriges Mädel aufs Eis lässt. Tonya wächst in armen Verhältnissen auf. Ihre Mutter ist eine dominierende, aggressive und alkoholkranke Besessene, die ihre Tochter permanent antreibt. Beschimpft. Rüde angeht. Schon mal prügelt. Mutter-Liebe sieht völlig anders aus. So entwickelt sich die junge Frau mehr zu einer stämmigen Athletin mit selbstgenähten eigenwilligen Glitzerkostümen und „harten“ Laufbewegungen als zu einer – auch von den Preisrichtern gewünschten – leichtfüßigen Eisprinzessin. Wie ihre Konkurrentin Nancy Kerrigan zum Beispiel. Die immer bessere Noten bekommt, obwohl Tonya (MARGOT ROBBIE) mit ihrem Eislauf sehr viel mehr erfolgreich riskiert. Aber da Tonya sehr viel lieber zu Hardrock à la „ZZ Top“ anstatt zur üblichen Klassik-Klangfarbe läuft, provoziert sie die feine wie exklusive Eislauf-Gemeinde. Doch ihr Kampfgeist erlahmt nur vorübergehend. Allerdings: In der „freien Zeit“ wählt die junge Frau für sich, typisch = ausgerechnet, einen verklemmten, einfältigen Boyfriend = dann Ehegatten, der sie prügelt und um Verzeihung bittet. Von wegen Pack schlägt sich, Pack verträgt sich. Ehemann Jeff Gillooly (SEBASTIAN STAN) ist ein Arschloch vom platten und matten Gefühls- und Geistes-Dienst.

Der Film kommt im Mockumentary-Stil daher. Besitzt dadurch äußerst unterhaltsamen, zynisch-ironischen Martin Scorsese-Charme („GoodFellas“). Mit dieser spitzzüngigen, fantasiereichen subjektiven Häppchen-Sicht-Kommentierung. Das heißt: Die Handlung wird durch (vermeintliche, also in die Spielhandlung mit-eingebundene) „Interviews“ mit den Beteiligten vorangetrieben, was natürlich zu ebenso köstlichen wie absurden wie informellen Situationsbeschreibungen, Selbstlügen und drastischen Schimpfkanonaden führt. Selten habe ich die „White Trash“, die weiße Unterschicht Amerikas, so ekelhaft-munter-drauf in einem US-Movie beschrieben erlebt. Diese Zick-Zack-Atmosphäre führt zu grandioser Exzentrik und pompösen komödiantischen Exzessen einschließlich eindrucksvoller individueller Exzentrik. „I, Tonya“, der Film, lebt, rastet aus, ist ein prächtiger Unterhaltungs-Bastard.

Weil vor allem natürlich SIE auf dem doppelbödigen Eis elektrisierend-gut funktioniert: Die Mit-Produzentin und Hauptakteurin MARGOT ROBBIE, erst neben Leonardo DiCaprio in „The Wolf of Wall Street“ (2013) aufgefallen, dann als Jane Porter in „Legend of Tarzan“ (2016) kraftvoll, gibt hier ihrer Gift-Königin bestes Affen-Futter. Präsentiert sich aufsehenerregend als mitleiderregende sympathische Fluch- und Foul-Furie mit furiosem, kokettem Gossen-Charme. Die „Oscar“-Nominierung in diesem Jahr war vollauf verdient.

Die Show-Beteiligten im Kurz-Status: Die immer = auch so bleibende widerwärtige, entsetzlich böse fluchende, abscheuliche Psycho-Mutter-Hexe-Diktatorin; eine schon früh vor allem auf Drill und Härte getrimmte Tonya-Kind-Jugendliche-Ehefrau-Läuferin. Ein, harmlos gesprochen, dümmlicher Gatte. Mit seinen brutalen Ausrastern. Dessen wahnhaft-bekloppter fettleibiger Kumpel Shawn Eckhardt (grandios-widerlich: PAUL WALTER HAUSER), der im Hintergrund dann die Anschlagsfäden zieht. Währenddessen sich quotengeile TV- und Radio-Stationen aus aller Welt auf dieses „Futter für die Masse“ stürzen und damit den „Qualitätsweg“ für das Subgenre des fiebrigen Nonstop-Live-TV bereiteten, das ein halbes Jahr später in und mit O. J. Simpsons Auto-Flucht einen ersten frühen Tiefpunkt erleben wird. Schließlich die juristische Aufarbeitung.

Der australische Regisseur CRAIG GILLESPIE, hierzulande bekannt geworden durch sein empathisches Wohlfühl-Movie „Lars und die Frauen“ (s. Kino-KRITIK), mischt dies glänzend auf zwischen heißem Drama mit kriminalistischem Touch und wunderbar-abscheulich-exzentrischer Figuren-Komödie. Zwischen kaputter Menschenwürde und scharfzüngigem gemeinem Humor. Das Kino hat einen Hit (= 4 1/2 PÖNIs).

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