Hans Peter Hallwachs

TIP-INTERVIEW von Hans-Ulrich Pönack mit HANS PETER HALLWACHS aus dem Jahr 1986

Zur Person:
10. Juli 1938 in Jüterbog (Mark Brandenburg) als Sohn eines Tierarztes geboren. Bis zum Abitur “war mir eigentlich klar, dass ich Schauspieler werden wollte“, aber zunächst mal – “weil ich meine Mutter nicht zutiefst verstören wollte“ – wurde Jura studiert. Doch schon bald Aufgabe des Studiums. Von 1959 bis 1962 Schauspielunterricht an der Fritz-Kirchoff-Schule in Berlin. Sein erstes Engagement bietet ihm 1962 das Stadttheater in Rheydt. Auf der Bühne und im Fernsehen arbeitet Hallwachs in den kommenden Jahren mit Regisseuren wie Peter Zadek, Wolfgang Staudte, Ula Stöckl, Peter F. Bringmann, Dieter Dorn, Niels-Peter Rudolph, Hans Lietzau, Hans Hollmann und Boy Gobert. 1977 inszeniert er am Berliner Schiller-Theater Harold Pinters “Der Hausmeister“. Später führt er auch am Thalia-Theater in Hamburg und am Theater der Hansestadt Bremen Regie, u.a. bei Stücken von Stoppard und Feydeau.

Sein Kino-Debüt gibt Hallwachs 1966 in Volker Schlöndorffs “Mord und Totschlag“ als lässig-cooler Freund Anita Pallenbergs. Weitere Filmrollen zum Beispiel in “Lohn und Liebe“ von Ingo Kratisch und Marianne Lüdcke (1973), “Halbe-Halbe“ von Uwe Brandner (1977), “Fabian“ von Wolf Gremm (1 980) und “Nach Mitternacht“ von Wolf
Gremm (1981). 1985 übernimmt er die Hauptrolle im zweiten Film des Ex-Filmkritikers Hans-Christoph Blumenberg “Der Sommer des Samurai“. Im
Sommer dieses Jahres wird er den Bösewicht im neuen Dieter-Hallervorden-Film mimen.

TIP: Waren und sind Sie von vornherein stets aufs Theater fixiert oder gab/gibt es im Hinterkopf auch den Wunsch auszuweichen?

Hallwachs: Ich kann die Unterscheidung Theater- oder Filmschauspieler einfach nicht machen. Es gibt nur gute und schlechte Schauspieler Natürlich mit Präferenzen. Es gibt wirklich Kollegen, offenbar ist das möglich, die auf der Bühne gute, gestandene und auch beeindruckende Leute sind, die aber merkwürdigerweise dann kein Verhältnis zur Kamera haben oder wo bei denen die Kamera nichts zur Geltung bringt.

TIP: Es gibt aber hierzulande auch zahlreiche Schauspieler, in deren Augen Theater Kunst und Film Jahrmarkt bedeutet, und was Fernsehen bei denen zählt, möchte ich erst gar nicht formulieren…?

Hallwachs: Das wird meistens aus einer Schutzhaltung heraus geboren. Wenn sie mir keinen Film anbieten, haben sie selber Schuld, das ist sowieso ein niederes Genre, da mache ich eben die hohe Kunst des Theaters.

TIP: Als ich Sie neulich nach der Pressevorführung von “Der Sommer des Samurai“ kennenlernte, waren Sie voller Wut, Empörung, Bitterkeit, ja Abscheu, über unsere Theaterlandschaft, der Sie ja ein halbes Leben angehören oder angehörten. Warum?

Hallwachs: Heute habe ich das Gefühl, das Theater wird missbraucht und kriegt nicht alle Beine an Deck.

TIP: Von wem missbraucht?

Hallwachs: Wenn ein gutes Stück, ein Stück, was Hand und Fuß hat ‚ gut inszeniert ist, klar und deutlich inszeniert ist und nicht der Selbstverwirklichung eines Regisseurs oder Bühnenbildners dient, dann ist das durchaus gutes, ansprechendes, ja politisches Theater. Wo auch dem Zuschauer etwas klar wird. Das kann ihm durch Lachen klar werden, das kann ihm durch gespanntes Verfolgen von irgendwelchen Geschichten klar werden. Konkret: Ein Hamlet. Wenn ich da nicht merke, dass der Mann, der ihn spielt, durchaus zu Wahlen geht und eine Ansicht hat, dann weiß ich gar nicht mehr, was mich da interessieren soll. Natürlich, ich möchte schon das Stück sehen, aber ich möchte auch den Mann oder seine Ophelia nicht nur in irgendwelchen anonymen, statischen Haltungen entschwinden sehen, die, je länger man die übt, keinen persönlichen Standpunkt mehr deutlich machen.

TIP: Das heißt, Theater heute ist eine graue Landschaft, die durch das politische Umfeld stark beeinflusst ist?

Hallwachs: Ganz sicher doch. Ich meine, dass das, was im Fernsehen langsam so weit gediehen ist, dass man vor Ausgewogenheit eigentlich nur noch kotzen kann, voll vom Theater übernommen wurde. Dabei gäbe es doch Möglichkeiten, einmal auch auf der Bühne sehr frei und eigen zu reagieren. Vielleicht nicht so krass wie bei Bierbichler und so, aber wo doch zumindest mal, wenn es angebracht ist, spontane Äußerungen rauskommen. Theater ist eben am Abend noch offen, also im Grunde ein gefährliches Terrain. Natürlich, wenn ich an die Sechziger in Bremen denke, wo wir die Abonnenten damit verjagt haben, dass wir unheimlich oft ‚Scheiße‘ gesagt haben, das ist überhaupt keine Provokation, das ist Schwachsinn, wie wir ja auch bald selber gemerkt haben.

Andererseits ist es mit genau derselben Vorsicht zu genießen, wenn, wie heute auch oft üblich, ein Regisseur daherkommt und sagt, das ist jetzt mein Hamlet und wir machen den jetzt so und so. So etwas habe ich während meiner letzten Zeit am hiesigen Staatstheater dauernd erlebt. Beim „Clavigo“ zum Beispiel, da kam irgendein Mensch, der das Stück, wie ich bei den Proben merkte, nicht einmal gelesen hatte. Wo da wörtlich drinsteht, dass da auch ein Arzt auftritt, das hatte er überlesen. Ich meine, das muss man sich mal vorstellen. Er hat dann dauernd irgendeinen Krampf gemacht und war wahnsinnig böse. Das eskalierte sogar darin, dass er sagte, wenn wir das so machten, wie ich es vorschlage, wo bliebe er dann. Dann würde man seine Regie gar nicht mehr erkennen.

Es kann doch eine Regie wirklich nur stattfinden, wenn die Sache geistig abgesichert ist und Hand und Fuß hat. Aber was diese Leute machen, kann eigentlich jeder. Wenn ich mir ein Stück oberflächlich durchlese, danach mich hinsetze, dann fallen mir so viele Assoziationen dazu ein, die zum Teil so persönlich wie blödsinnig sind. Das Theater kann nicht dazu da sein, dass so eine Hierarchie dauernd durchgezogen wird. Einer ist der Regisseur, der steht unter dem Intendanten, der deckt den, die anderen sind, die, die irgendetwas ausführen müssen. Wobei ich das anerkennen würde, wenn das eine Potenz ist. Aber heutzutage ist es für Regisseure eine große Gefahr, wenn Schauspieler zugeben, selber lesen zu kennen. Das muss man tunlichst verschweigen, denn die fühlen sich sofort angegriffen dadurch.

TIP: Also der Schauspieler nur noch als Vollzugsbeamter einer Autorität?

Hallwachs: Ja. Und dann kommen meistens diese miese Sachen raus, wo alle nur noch sagen, ist mir doch scheißegal, ich mache nur noch das, was angeordnet ist und schalte einfach alles in mir ab.

TIP: Damit wollen Sie nichts mehr zu tun haben.

Hallwachs: Nein, das macht einen ja zum Krüppel, das geht an die Substanz. Und – es ist keine Einzelerfahrung, müssen Sie wissen. Was ich beispielsweise anlässlich der „Wallenstein“-Inszenierung am Staatstheater erlebt habe, spottet jeder Beschreibung. Alle Kollegen waren gegen diese fürchterliche Arbeit, aber man hätte nicht drei zusammengekriegt, die aufgestanden wären. Ich übrigens auch nicht, und das werfe ich mir heute auch sehr vor. Ich hätte nicht auf drei warten müssen, ich hätte allein dagegen opponieren müssen. Wenn man aber Mist runterschluckt, muss das eine menschliche Qualität vermindern. Da kann man nicht auf die Bühne gehen, eine relativ menschliche Reinheit muss da unbedingt her.

TIP: Gibt es dein gar keine künstlerische Potenzen, die Sie zu akzeptieren bereit wären?

Hallwachs: Es gibt ein paar Leute in der Landschaft, die auch die Kraft haben, Leute um sich zu scharen und an sich zu binden. Das finde ich durchaus gut, wenn das nicht so in einer Ja-Sager-Truppe endet.

TIP: Wie offensichtlich beim hiesigen Staats-Theater?

Hallwachs: Ja. Das sagt keiner ja, keiner nein, da ist jeder indifferent. Vielleicht die paar, die den Regisseur kennen oder die Hauptrollen spielen. Ansonsten hat sich, solange ich das Haus kenne – und das fing unter Barlog, Lietzau an und ging bei Gobert weiter – tiefe Unzufriedenheit ausgebreitet, die bis zu seelischen Verkrüppelungen geht.

TIP: Wieso wehrt sich dagegen niemand?

Hallwachs: Das finde ich ist schwer zu verlangen. Wenn Herr Gobert oder jetzt Herr Sasse sagen, das ist mein Haus, okay, dann hat auch jeder engagierte Schauspieler das gleiche Recht. Nur, das wird meistens vergessen, das ist hier so ein Feudal-Fürstchen-System. Einer kriegt vom Oberboss, vom Kultursenator der auch nichts davon versteht, den Job verpasst, und dann ist es eben sein Haus. Und dann hat er einen unangreifbaren Posten. Mit Dienstwagen und so.

TIP: Theater als Dienstleistungs- beziehungsweise Bedienungsbetrieb wie jede öffentliche Behörde?

Hallwachs: Klar, und längst nicht mehr so kontrollierbar wie diese. Das heißt, wahrscheinlich sind Behörden auch überhaupt nicht mehr zu kontrollieren. Da gibt es eine tolle Geschichte, die ich bei den Gründgens-Briefen entdeckt habe. Der hat in Düsseldorf als Intendant in einem Stück mitgespielt und hat zusätzlich Spielhonorar zu seinem Gehalt bekommen. Wegen Gründgens gingen die Leute ins Theater, es war immer rammelvoll. Einmal aber nicht. Daraufhin schickte er eine Notiz an seinen Verwaltungsdirektor, “Habe gesehen, Einnahmesoll ist nicht erreicht worden, ich bitte davon Abstand zu nehmen, mir Spielhonorar zu überweisen“. Gobert hat hier, ich weiß nicht wie oft, diesen Wallenstein gespielt, und es wurden lausig wenig Karten verkauft. Die meisten Leute, die drin waren, hatten geschenkte Karten, und mehr als 200 waren es bei diesem großen “Schiller Theater“ sowieso nie. Es ist nicht bekannt, dass er nur eine Mark von seinem Abendhonorar nicht angenommen hätte.

TIP: Da wird sicherlich behauptet, der mündige Bürger versteht das nicht.

Hallwachs: Sicher, mit dem mündigen Bürger wird ja viel gearbeitet. Aber wehe, der mündige Bürger ist gegen Wackersdorf“, dann kriegt er eins übern Schädel. Nur in Wahlkampfzeiten, und denken Sie daran, bald geht’s wieder so los, da wird dem mündigen Bürger gleich in den Arsch gekrochen. Bis nach der Wahl, dann fängt alles wieder von vorne an.

TIP: Ich muss zugeben, dass mich Staatstheater heute herzlich wenig interessiert, weil es doch nur mit dem klassischen Staub hausieren geht. Wenn man allerdings mal versuchen würde, dort politische, reale Aktualität aufzuarbeiten, Sie nannten Wackersdorf, würde mich das vielleicht bewegen, wieder mal ins Theater zu gehen.

Hallwachs: Bloß dabei besteht natürlich auch eine Gefahr. Zum einen Hamlet auf modern, nur weil’s gefragt ist, geht auch an der Qualität vorbei. Andererseits bin ich davon überzeugt, dass ein Stück über Tschernobyl auch nicht des Theaters Sache ist. Das müsste im Fernsehen gezeigt werden, und zwar so, dass einen das Gezeigte unter die Haut geht. Es kann mir Tschernobyl nicht auf diese Weise auf der Bühne unter die Haut gehen, das muss ich geistig mitmachen, das muss ein geistiger Anschluss dort sein, wo man am Ende herauskommt und sagt, guck mal, das ist ja Tschernobyl gewesen. Da brauche ich nicht ein Stück, das Tschernobyl heißt, sondern eines, wo der Reaktor explodiert.

TIP: Kann es nicht sein, dass Ihre Wut, Ihre Enttäuschung, Ihr beruflicher Frust auch damit zusammenhängt, dass Sie sich auch als Regisseur begreifen, wo Sie doch meistens „nur“ als Schauspieler engagiert sind und waren?

Hallwachs: Kann sicher sein, aber nicht von meiner Seite, dass es unangenehm wird, sondern von der Regisseurseite aus. Denn ich bin wirklich unheimlich loyal und mache jede Sache mit.

TIP: Und Sie haben sich ja sogar zuletzt, 1983/84 und 1984/85, für zwei Jahre fest ans Staatstheater-Ensemble gebunden. Sicherheitsdenken?

Hallwachs: Nein, nicht so sehr. Ich dachte, ich mache dieses Fegefeuer mal mit, weil man mir eine eigene Inszenierung zugesagt hatte. Leider nicht schriftlich. So ziehen sich zwei Jahre hin, und mir ist es dann zu erniedrigend hinzugehen und um eine Inszenierung zu betteln. Besonders wenn man sieht, wer da alles inszenieren darf. Ein Mann wie Hollmann, der macht einen Flop nach dem anderen, und da ist es gar keine Frage, dass der seine zig-tausend Mark dafür bekommt. Wenn er hier fertig ist, reist er in der Nacht noch ab und macht am nächsten Theater weiter. Das ist wirklich erstaunlich, da taucht nie ein Zweifel auf. Jedem Arzt nach der 5. Leiche sagt man, ‚Junge, du hast vielleicht den Beruf nicht ganz genau gewählt‘ ‚ oder der wird dann überprüft. Ich finde das ungeheuerlich!

TIP: Dagegen können vielleicht Rollen beim/im Film helfen. Aber auch dort haben Sie ja in der Rolle, mit der Sie berühmt wurden, schlimme Erfahrungen gemacht. Ich meine als “Fabian “.

Hallwachs: Das war erschütternd. Und hatte was mit dem Dilettantismus des Regisseurs, Wolf Gremm, zu tun. Allerdings brauchte ich mal eine Hauptrolle, um auf mich aufmerksam zu machen.

TIP: Aber dann arbeiteten Sie ein Jahr darauf nochmal mit diesem Regisseur?

Hallwachs: Das war noch so eine Spekulation, weil mir zugesagt war, ich könne den Kommissar in der Krimi-Verfilmung von “Der 31. Stock“ spielen, der dann Fassbinders letzter Schauspieler- Auftritt wurde. Also habe ich mir gesagt, dann schlucke ich nochmal vier Wochen Kröten, aber ich habe mich ungeheuer elend dabei gefühlt.

TIP: Wie lange geht das überhaupt gut – ein Schauspieler, der sich ständig elendig fühlt?

Hallwachs: Es ist furchtbar. Man muss sich im Grunde jeden Morgen vornehmen, wenn es gegen deinen inneren, aufrechten Menschen geht, muss man aussteigen. Aber das ist auch so ein schleichendes Gift, weil man irgendwo auch immer im Hinterkopf hat, geh‘, es sind doch nur soundsoviel Wochen, das kriegen wir doch schon hin, da arbeiten wir halt dran, irgendwie muss das doch zu machen sein. Letzten Endes aber geht es dann doch wieder auf die Knochen und ins Gehirn. Es müsste halt jedes Mal über eine offene Revolte oder über den Ausstieg laufen. Und das ist eben so eine Sache. Jetzt haben wir Juni, und ich lebe noch von dem, was ich im vorigen Jahr verdient habe. So dass sich also die Frage gar nicht stellt, den Hallervorden-Film machen oder nicht. Schließlich ist Stempeln-gehen auch keine Lösung. Also machen und weiter hoffen.

TIP: Auf wen oder was?

Hallwachs: Kürzlich zum Beispiel habe ich innerhalb der ZDF-Reihe „Das kleine Fernsehspiel“ mit einem jungen Filmhochschulabsolventen namens Oliver Hirschbiegel einen Film gemacht, der eine reine Freude war. Die Leute waren motiviert, und der Typ hat das mit einer technischen Integrität und Leidenschaft gemacht, das war bemerkenswert. Der hat auf Schnitte gedreht, hattee Zeichnungen zu jeder Einstellung, da konnte man drüber reden, es war ein gutes Team beieinander. Auf so was – auch – hoffen.

TIP: War Blumenberg auch so eine Hoffnung? Ich habe gehört, Sie hätten dem seitenweise den Text zusammengestrichen?

Hallwachs: Das war der Erste, den ich kenne, der sagt, du ich weiß gar nicht wie das ist mit Schauspielern. Und der ins „Thalia“-Theater als Volontär oder Beobachter hingeht und zusieht, wie die Hamlet proben, also wie die Schauspieler auf der Bühne arbeiten, weil er das nicht weiß. Er sagt nicht, das interessiert ihn nicht. Denn die heutigen Filmregisseure brauchen wirklich nur einmal durch ein größeres Staatstheater fahren, da kann man einen ganzen Film besetzen. Dort sind keine schlechten Kräfte, die kennt man nur nicht. Die meisten sind unter Garantie besser als irgendein Futzi, der angeblich entdeckt wird, oder eine Pissnelke, die wegen Arsch und Titten plötzlich hochgejubelt wird. Blumenberg hat Talent, das Gefühl für Schauspielerqualitäten, und ihm fiel kein Stein aus der Krone, sich meine Vorschläge anzuhören. Ich habe nicht das Gefühl gehabt, jetzt selbst den Film etwa zu machen, sondern, wie es bei Brecht heißt, ich mache einen Vorschlag und dankenswerterweise wurde der angenommen.

TIP: Stichwort Schauspieler-Respekt. Ich finde, wir gehen bei uns mit denen, die diesen Titel wirklich verdient haben, höchst despektierlich um. Von Achtung ganz zu schweigen. Täusche ich mich oder übertreibe ich oder ist das wirklich so, dassß man bei uns größtenteils als Schauspieler verraten und verkauft ist?

Hallwachs: Es stimmt absolut. Aber ich glaube auch, dass das zum Teil eigene Schuld ist. Nicht so sehr aus Blödheit, sondern es hab sich so etabliert. Regietheater und diese ganze Hierarchie ist immer noch ungebrochen, und eitel dürfen nur Regisseure und Intendanten sein. Es ist unter den Schausielern kein Stolz mehr da, von Zivilcourage will ich jetzt gar nicht reden. Und das führt dann dazu, dass mal eine Kraft wie Lilli Palmer auf die Frage nach den Berufswünschen ihrer Kinder antwortete, sie würde denen den Po versohlen, wenn sie Schauspieler werden würden.

TIP: Worauf führen Sie das aber zurück?

Hallwachs: Da müssen sich offenbar zwei Seiten angenähert haben. Wenn man dauernd schlecht behandelt wird, nicht die Revolution macht, nicht den anderen umbringt und in den Arsch tritt und sagt, du kannst mich mal – so wie Kinski, der sagt, ich stehe heute Abend auf der Bühne, gehen sie raus, kümmern sie sich lieber um etwas, von dem sie was verstehen -‚ dann setzt sich das immer weiter fort, besonders an einem großen, hochdotierten Haus. Und es ist dann irgendwann einmal sehr schwierig, nur mit Magengeschwüren oder anderen Gebrechen durchzuhalten. Wenn man so lange dabei ist, immer wieder, jede Spielzeit, drei- oder viermal solche Dinger vor den Kopf kriegt, dass der zu platzen droht, aber dabei gut verdient, inzwischen sein Haus hat, die Kinder gehen hier zur Schule, ja, irgendwo ist man dann plötzlich drin und muss die Ausflüchte anderswo suchen.

TIP: Der bundesdeutsche Schauspieler ein gehobener Beamter?

Hallwachs: Mehr erwartet man ja offensichtlich auch von uns gar nicht mehr, oder?

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