HAJO GIES

Interview mit dem Regisseur HAJO GIES im Oktober 1985 anlässlich des Kinostarts seines Films:

„ZAHN UM ZAHN“ von Hajo Gies (BRD 1985; B: Horst Vocks, Thomas Wittenburg; K: Jürgen Jürges; M: Klaus Lage; 95 Minuten; deutscher Kino-Start: 10.10.1985; s. Kino-KRITIK).

Es ist Mittag, als wir uns in der Pinte treffen. Er ist aus Hamburg eingeflogen und wirkt abgespannt. Vielleicht aber ist es auch noch zu früh für Regisseure, von denen man sagt, dass sie erst ab spätem Nachmittag so richtig aufleben. Und sehr gesprächig ist er zunächst auch nicht. Man muss jedes Wort einzeln aus ihm ‘rausholen, so als sei er überrascht, dass sich überhaupt jemand für ihn interessiert. Dieses ‘Was-gibt-es-überhaupt-groß-zu-sagen?‘ steht im Raum. Also wird erst einmal “Statistik“ abgeklopft. Wann und wo geboren, aufgewachsen, was gemacht und, natürlich, wann hat es denn überhaupt mit den laufenden Bildern angefangen?

“Schon während meiner Schulzeit, als ich einen Jugendfilmclub geleitet habe“. Na und bitte schön, wie kommt so etwas zustande, was war der Auslöser dafür, war er etwa, wie so viele seiner Kollegen, viel im Kino und ist dann ‘hängengeblieben‘? Nein, nein, der Vater war maßgeblich daran beteiligt, kommt rüber. Der hatte Publizistik studiert und “etwas mit Film zu tun“. Und der hatte eine überregionale Filmzeitschrift abonniert, “da wurde die Neugier geweckt“. “Das war so mit 13, 14“. Und Filme, Bilder, Erinnerungen, überhaupt nichts? Doch, doch. Als er ganz jung war, habe er den “Dr. Jekyll and Mr. Hyde“- Film von Viktor Fleming mit Spencer Tracy gesehen (deutscher Kinotitel damals: “Arzt und Dämon“), und “von dem habe ich wochenlang geträumt, von dieser Traumsequenz, wo diese Seerosen über das Gesicht der Ingrid Bergman kommen“. Keine Ahnung, was er meint, aber Hajo Gies wird gesprächiger und erzählt davon, dass er damals, als er so 16, 17 war, ziemlich oft nach Paris oder Brüssel getrampt ist. Die ersten ‘Nouvelle Vague‘-Arbeiten von Truffaut, Chabrol oder Godard hatten es ihm angetan. Oder Murnaus “Sunrise“. “Ich wusste noch nicht genau wie, aber ich wollte künftig jedenfalls etwas mit Film zu tun haben“.

In der Penne ist er, nicht zuletzt wegen der Arbeit mit dem Filmclub, zweimal hängengeblieben, und nach dem Abi hat er deshalb auch das Soziologie-Studium gar nicht so richtig ernst genommen. Hat als Praktikant beim ZDF in der Filmredaktion, bei der Martin-Büttner-Sendung “Neues im Kino“, mitgearbeitet und ist dann schließlich, 1968, an die Filmhochschule nach München gegangen. Wim Wenders, King Ampaw (“Kukurantumi – Road to Accra“) und Hans W. Geißendörfer gehörten damals zur Klasse. “Das Schöne war, dass wir unheimlich viele Filme sehen konnten. Wir haben damals den amerikanischen Film entdeckt, als der im Feuilleton noch nicht so anerkannt war“, schwärmt er plötzlich. War ihm während der Ausbildung schon klar, in welche Richtung es einmal gehen werde? „Regie“, kommt spontan, “ausschließlich Regie“. Er sei eigentlich mehr ein theoretischer als ein praktischer Mensch. “Und der Regisseur ist einer, der sich in der Theorie alles ausdenkt, was andere Leute in die Praxis umsetzen sollen!“. Gab es nie das Interesse daran, selber ein Drehbuch zu schreiben oder gar vor der Kamera aufzutreten? Na ja, Drehbuch habe er schon mal gemacht, aber ohne großen Erfolg, und die Kameraarbeit erfordere zu viel an praktischen Handfertigkeiten, und die habe er nun mal nicht drauf, “ich bin dafür zu ungeschickt“.

Wie hat man denn eigentlich an der Filmhochschule gelernt, Regisseur zu werden, will ich wissen? Die Antwort ist ulkig: “Man hat damals sehr viele Filme angeguckt, und man hat sich abends oder schon nachmittags in der Kneipe getroffen, man hat geflippert und über die Filme geredet. Das war im Grunde das wirklich Produktive daran gewesen“. Ein bisschen merkwürdig, nicht wahr? “Ja, es kam halt, dass wir die Regisseure, die bei uns auftraten und Schauspielführung machen sollten, abgelehnt haben. Wir sind da eigentlich auch kaum hingegangen. Wir fanden die nicht gut, deshalb waren wir auch als tierisch arrogant verschrien bei den Rundfunkanstalten, Fernsehanstalten…, aber, ich sage immer wir, wir waren damals ‘wir‘, wir sind ja nicht mehr ‘wir‘“, klingt leise nach. Na gut.

1972 der Abschluss mit ‘Nocturno‘, den ich nicht kenne, der aber immerhin in Buchers Filmenzyklopädie vorhanden ist. Der sei aus Opposition zu den damaligen Filmen entstanden, “in denen immer nur die Aussage im Vordergrund stand. Ich habe damals immer gesagt, ich habe nichts zu sagen, ich habe nur etwas zu zeigen und solche Sprüche mehr“. Gies lacht: “Das ist ein Film gewesen, der quasi Gefühle nach außen transportiert, mehr experimentell“. Eine ZDF-Produktion, die total durchfiel, aber in Filmclubs und in Locarno lief und bei Insidern offensichtlich Anklang fand. “Es gab unheimlich viele Fans von dem Film“. Weil aber danach nichts mehr passierte, jobbte er als Assistent bei der Filmhochschule und versuchte “nebenbei“ in Kontakt mit dem Fernsehen zu kommen. Nie mit dem Kino? Das Förderungssystem, das auch mit Klinkenputzen zu tun hat, liegt ihm gar nicht. “Ich hatte schon Herzklopfen, wenn ich zu einem TV-Redakteur musste, um ein Projekt zu verkloppen. Was mir übrigens immer schwer gelungen ist“. Also blieb er beim Fernsehen hängen und bekam dort die erste Chance. Aber halt nicht mit ‘Kunst‘, wie es damals in den Siebzigern noch angesagt war, sondern mit Genre-‘Kram‘, mit der verpönten Unterhaltung. “Das sogenannte ‚Junge Deutsche Kino‘ hat mich nie interessiert, da bin ich kaum hingegangen. Filme, die nur gemacht werden, um eine bestimmte Aussage zu machen, haben mich nie berührt. Das waren auch keine Cineastenfilme. Cineastenfilme, finde ich, waren und sind Filme von Truffaut oder Chabrol“. Aber damals ‘organisierte‘ man sich institutionell, in Zirkeln, Arbeitsgemeinschaften, Spielecken… “Ich würde mich da eher als Lonesome Cowboy bezeichnen“. Also driftete das Ganze für ihn in Richtung, “Tatort“ ab, “da habe ich mich ja geradezu hingedrängt“. Denn “’Tatorte‘ sind eine Art B-Filme, jedenfalls, was man in Amerika unter B-Filmen versteht“. Alle? “Wenn ich vom ‘Tatort‘ rede, spreche ich nur von den WDR-Produktionen, mit den anderen habe ich nichts am Hut“, kommt knallhart raus. “Ich möchte eigentlich auch, dass es nicht ‘Tatort‘, sondern ‘Schimanski‘ heißt in dem Fall“.

Aber der Reihe nach, erst war‘s der Kommissar Haferkamp alias Hansjörg Felmy, mit dem er‘s zu tun bekam, und da gab es ja Schwierigkeiten zuhauf. “Es dauert bei mir alles sehr lange, ehe ich eine Szene habe. Ich habe dem Felmy gesagt, probier‘ das mal aus und jenes, aber er wollte es machen wie er es immer gemacht hat, fünf Jahre lang“. Gab es während dieser beiden “Tatort“-Filme mit Felmy irgendwann Gedanken an Resignation, Aufgabe, Was-anderes-Machen? “Nein!“, lautet sofort die Antwort, “denn um Kino machen zu können, braucht man eine hohe handwerkliche Qualität, und das Fernsehen ist dabei die beste Handwerksübung“. Also war das Ziel das Kino. Welches Kino? “Mein Ziel, das kann ich wieder nur an anderen Namen und Filmen messen“, druckst er herum und nennt schließlich Regisseure wie Yves Boisset (“Der Richter, den sie Sheriff nannten!“) oder Damiano Damiani (“Der Clan, der seine Feinde lebendig einmauert“) oder Alain Corneau (“Wahl der Waffen“). Also Unterhaltungsfilme mit politischem Spannungsbackround.

Ich will nun endlich auf Schimanski und auf Götz George zu sprechen kommen, er aber will unbedingt erst noch eine wichtige Erinnerung loswerden, die an zwei Hochschulsemester unter der Leitung von Douglas Sirk, der als Detlef Sierck in Deutschland gearbeitet und gefilmt hatte und 1937 in die USA emigrierte. Und den Fassbinder quasi als d e n Melodram-Inszenator entdeckte, verehrte und vorbildhaft kopierte. Es sei ein Glücksfall gewesen, mit ihm zusammenzuarbeiten. “Der hat bei einem kleinen Film, den wir an der Schule erarbeiteten, alles umgeschmissen, als er bemerkte, dass der Schauspieler das nicht so bringen konnte, wie er es sich vorgestellt hatte. Man muss sich das einmal vorstellen, er hat die ganze Szene umgeschmissen oder hat einfach die Kameraeinstellung verändert. Mich das zu trauen, das habe ich eigentlich erst, nachdem ich diese Erfahrung gemacht habe“, sagt Hajo Gies voller Stolz. Und dieses Selbstbewusstsein wirke heute noch.

Die Geburt des Horst Schimanski war gar nicht so spektakulär, wie man allgemein vermutet. Sie entstand mit einem Kollegen namens Bernd Schwamm durch viele Kneipengespräche und über Krimi-Literatur wie die des Schweden Per Wahlöö (“Mord im 31. Stock“). “Den Namen Schimanski entnahmen wir dem Duisburger Telefonbuch, und Thanner wohnte unter dem Bernd Schwamm im Haus, wir haben nur ein ‘h‘ dazugetan“. Wie war die erste Begegnung mit Götz George? “Das war hier in Berlin. Ich habe gedacht, mit dem Typen wird es schwer, aber man kann mit ihm besser reden als mit Felmy. Er ist wesentlich umkomplizierter, er ist nicht so fest. Das lief besser als ich dachte“. Hat der George-Schimanski nicht Vorbilder aus dem amerikanischen Kino? Gies bestätigt dies, nennt Namen, Figuren wie Clint Eastwood (“Dirty Harry“) oder Richard Widmark als Detective Madigan aus “Nur noch 72 Stunden“, “ohne dass wir aber sagen wollten, wir machen es jetzt wie Clint Eastwood oder wie Widmark. Wir wollten da immer weg, wir wollten etwas Spezifisches. Aber es fließt eben auch immer automatisch etwas ein, wir haben ja auch immer auf Humphrey Bogart gestanden…“. Wie weit ist denn dabei Hollywood überhaupt weg oder wie nah? “Wir haben weder das Know-How noch das Geld, um Filme wie dort zu machen. Wir können von amerikanischen Filmen nur versuchen abzugucken, wie man die Dramaturgie entwickelt, die Geschichte aufbaut. Ich mag keine Typen, die hier herumlaufen und sich wie Amerikaner verhalten. Ich mag keine deutschen Hollywood-Filme sehen, nur ein bisschen schlechter. Überraschend, wenngleich nicht immer qualitätsmäßig gleichbleibend gut, finde ich die Drehbücher zu den verschiedenen Schimanski-Filmen. Das sind immer auch politische Statements gewesen, wenn über Frauen, Sekten, Ausländer, Wohnungsschachereien oder Kinderhandel gesprochen wird“. Wieso wird das vom Fernsehen auf einmal akzeptiert? “Vielleicht unterschätzt man das Fernsehen. Man kann eigentlich aber auch nicht ‘Das Fernsehen‘ sagen, sondern es kommt immer auf den einzelnen Redakteur an, ob der sich traut oder nicht“. Und im Übrigen hätte sich dies über Schimanski auch beim Publikum durchgesetzt, fügt Gies hinzu.

Man hat sich an seine Sprüche wie an bestimmte politische Inhalte gewöhnt; würde man die ihm wegnehmen, würde man auch ein Teil seiner Popularität zerstören. Gab es nie Einsprüche, den berühmten ‘Druck von oben‘? “Meines Wissens nicht, ich habe das nie gespürt“. Und wie sieht er das nun, dass gerade im Zusammenhang mit dem Schimanski-Film im Kino alle Welt nur von und über Götz George redet und kaum ein Wort, ein Hinweis mal über den Regisseur fällt? Ist er da nicht sauer? Nö, meint er, und findet das „absolut normal“. Und auf meinen erstaunten wie zweifelnden Blick fügt er an, dass er es nicht nötig habe, sich selbst zu verwirklichen. “Also in dem Sinne, dass ich sagen würde, ich sehe die Welt so und so. Ich verwirkliche mich, indem ich bestimmte Szenen optimal aufzulösen versuche, gute Bilder zu produzieren verstehe, schauspielerisch und kameramäßig“. So ganz mag ich ihm das nicht abnehmen, aber er beharrt drauf und merkt an, “diesen ganzen Publicity-Rummel sowieso“ nicht sehr zu schätzen. Aber er ist sich natürlich durchaus bewusst, dadurch weiterzukommen. Denn er will im Krimi-Genre unbedingt weitermachen, und, “wenn es geht“, natürlich vor allem im Kino. Filme wie neulich „Die Bestechlichen“ von Claude Zidi mag er besonders, aber dafür habe man ja in Frankreich auch Stars wie Noiret/Montand oder Depardieu, während es “hier nur den George“ gibt.

Wir haben uns so langsam müde geredet, stoßen natürlich noch auf die desolate Situation des gegenwärtigen deutschen Films und Kinos, und da fallen dann noch Sätze von ihm wie: “Ich finde es schwieriger eine Schlägerei in Marseille zu inszenieren als einen Monolog in der Peep-Show“ oder “Ich mag Kluge, aber nur einmal im Jahr“. Nein, nein für diese Autorenfilme(r) gibt‘s keine Sympathiepunkte, aber auch nicht für Unterhaltungsversuche à la Roland Emerich (“Das Arche Noah Prinzip“; jetzt “Joey“): “Ich finde das deshalb nicht so interessant, weil ich Special Effects besser bei Spielberg sehe. Warum soll ich das nachmachen? Es sei denn, du hast so ein unheimlich gedankliches oder satirisches Niveau wie Carpenter bei ‚Dark Star’“.

Dann geht es nochmal zurück zum Schimanski, ein letztes Ausrufungszeichen. “Selbst in den billigsten amerikanischen Serien machen die sogenannten Kommissare weitaus schlimmere Sachen als unser kleiner Duisburger Polizist. Aber darüber regt sich kein Mensch auf. Dadurch, dass es hier spielt und dass man Straßen von hier sieht, sagen wir, das geht doch nicht, das kann man doch nicht machen. Dabei hat diese Schimanski-Figur hier ihre Wurzeln, du erkennst sie hier wieder. Es gibt diesen bedeutsamen Erkennungswert, der sich halt bei jedem einstellt, ob er jetzt 68er Erfahrung hat oder nicht. Und das ist doch eigentlich toll für uns, denn wie kann das Kino sonst ohne das überhaupt existieren…?!“

Mit dem Schimanski ist Hajo Gies also noch längst nicht fertig, und das lässt hoffen.

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