Felix

„RIAS-Rundschau am Mittag“ vom 09.12.1993

1988 wurde ein Kultur-Kind geboren. Sein Name: FELIX. Seine Väter: Der damalige Berliner Kultur-Senator Volker Hassemer und einige europäische Filmemacher. Die ehrenwerte Absicht der Erzeuger: KINO sollte fortan nicht immer nur mit den Namen “Hollywood“ und “Oscar“ identifiziert werden. Europa, das europäische Kino, wollte sich einmischen, wollte teilhaben am Erfolg, wollte endlich mehr registriert werden. Denn das Publikum ließ europäische Filme in der Mehrzahl links liegen: Amerika beherrschte und beherrscht auch heute noch zu 90% den Filmmarkt. Doch aus dem Kind “Felix“ wurde schnell ein Bastard. Ein Grund: Weil solch eine jährliche Veranstaltung viel Geld kostet, wurde sogleich ein finanzkräftiger Co-Partner neben der öffentlichen Hand gesucht und gefunden: Das Fernsehen. Präziser: Das ZDF.

Dort aber schielte man schon immer neidisch in Richtung Los Angeles, wo jedes Jahr Ende März die “Oscars“ üppig und glamourös vergeben werden. Also wurde “Felix“ beim ZDF prompt der Unterhaltungsabteilung zugeschanzt. Die Folgen sind bekannt: “Felix“ mutierte zu einer lächerlichen Kopie, die weder intelligent noch unterhaltend, sondern bloß peinlich war. Und: Außer ein paar Kritikern und Eingeweihten interessierte dieser Preis niemanden. Dabei sollte er eigentlich alljährlich von Kulturhauptstadt zu Kulturhauptstadt wandern. Doch nach den lieblosen Veranstaltungen in Paris und Glasgow 1989 und 1990 ist “Felix“ nun auf Dauer und somit auf Gedeih und Verderb wieder in unserer Region gelandet. Prompt schränkte jetzt das ZDF seine Geld- und Show-Bereitschaft ein: Dort wanderte die Zuständigkeit von der Unterhaltungsabteilung zur Film-Redaktion. Tenor: Vom Entertainment zum Thesenabend.

Dafür wurden die Mittel erheblich gekürzt. 1 Million Mark steuern ZDF und der deutsch-französische Kulturkabelkanal “ARTE“ zum “Felix ‘93“ bei. 800.000 Mark gibt das arme Land Brandenburg dazu, das seinen vielgepriesenen “Medienstandort Babelsberg“ nun wenigstens einmal jährlich “kulturell“ in den Schlagzeilen sieht. Und 200.000 Mark kommen, man höre und staune, aus Nordrhein-Westfalen. Sozusagen als patriotischer Kulturstoß. Und Berlin? Hier finanziert man übers Jahr die “Europäische Filmakademie“ und sonst nichts mehr. Vom ungeliebten Adoptivkind “Felix“ hat man sich verabschiedet. Das bringt die Brandenburger auf die Palme, denn darüber hinaus gibt es einen weiteren, viel größeren regionalen Streitfall: Das gemeinsame Filmförderungsmodell, auch Filmboard, also Filmgesellschaft genannt, ist gescheitert. Gemeinsam wollten Brandenburg und Berlin die regionale Film-Zukunft planen und finanzieren. Doch daraus wird nun aller Voraussicht nach nichts. Zwar hat das Brandenburger Parlament einem nach langen, zähen Verhandlungen gefundenen Kompromiss zugestimmt, doch nun schießen plötzlich die Preußen quer. Im Abgeordnetenhaus sagte man mehrheitlich: Nein. Und alles darf von vorn beginnen.

Vor diesem trüben Hintergrund und fortwährenden West-Ost-Kulturkampf und -krampf muss man auch die diesjährige “Felix“-Veranstaltung sehen. Der Geschäftsführer der Babelsberger Studios, der Regisseur Volker Schlöndorff, sagte kürzlich sarkastisch in Anspielung auf den teuren Berliner Ankauf des Nachlasses von Marlene Dietrich: “Das Lebendigste an unserer Filmhauptstadt ist momentan eine Leiche“. “Felix“ könnte bald dazu zählen. Denn die Zukunft dessen, was man so vollmundig als “Europäisches Kino“ hofiert, war noch nie so unsicher und unklar wie heute. Viele Reden werden gehalten, aber immer weniger ansprechende Filme gemacht. Schwäche anstatt Kreativität beherrscht die Szene. Und das Publikum? Es ist nicht nur nicht mehr da, wo sich das europäische Kino versammelt, es interessiert sich auch kaum noch für das Thema.

“Unsere Öffentlichkeit ist das Fernsehen“, sagte am letzten Donnerstag der Vorsitzende der Europäischen Filmakademie, Wim Wenders, auf der Pressekonferenz ganz ernst. Und niemand widersprach mehr.

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