ES WAR EINMAL IN DEUTSCHLAND…

PÖNIs: (4,5/5)

„ES WAR EINMAL IN DEUTSCHLAND…“ von Sam Garbarski (Co-B + R; D/Luxemburg/Belgien 2016; Co-B: Michel Bergmann; basierend auf seinen beiden Romanen „Die Teilacher“/2010 & „Machloikes“/2011; K: Virginie Saint-Martin; M: Renaud Garcia-Fons; 102 Minuten; deutscher Kino-Start: 06.04.2017); auffallend und auch in Erinnerung bleibend: diese ätherisch anmutenden Fein-Klänge. „Das Theremin ist ein faszinierendes elektronisches Musikinstrument. Erfunden im Jahr 1920, wird es berührungslos, allein von menschlichen Bewegungen im ‚leeren‘ Raum eines elektromagnetischen Felds gesteuert, wobei Töne und Melodien entstehen“ (aus der Kritik im aktuellen „Film-Dienst“; Ausgabe 07/2017).

Denkt immer dran, „Hitler ist tot, aber wir leben noch“: David Bermann (MORITZ BLEIBTREU) und seine Freunde sind als Holocaust-Überlebende im Deutschland von 1946, in Frankfurt am Main, angekommen und stehen vor der Existenz-Frage, wie jetzt weiter? Wie und auch wo: weiterleben? Für viele der in einem „Auffanglager“ untergebrachten Juden ist Amerika der neue, allerdings auch teure Lebenstraum. Bevor es dazu kommen kann, muss also „Money“, „Überlebensgeld“, angeschafft werden. David hat eine, wie er meint, brillante Idee: Was wird in diesen „sauberen“ Deutschland-Tagen am meisten begehrt? Natürlich, feinste Wäsche aller Art. Hübsch verpackt und mit unglaublichen Beigabe-Geschichten garniert. Und so ziehen sieben begnadete jüdische „Entertainer“ los, um ihre „kostbare Wäsche“ profitabel an die Frau(en) zu bringen. Mit vielen Bonmots und großem Erfolg.

Währenddessen wird David immer wieder vorgeladen. Zu den Amerikanern. Zum Verhör. Wieso ging es ihm im Dritten Reich (sehr) viel besser als Gleichgesinnten? Wieso besaß er einen doppelten Pass? Und was hat es damit auf sich, dass er, als Jude, Hitler höchstpersönlich einen „amtlichen“ Besuch auf dem Obersalzberg abstatten durfte, um – angeblich – dem Witze-schussligen Führer das Witze-Erzählen beizubringen? Hat er oder hat er nicht: mit den Nazis kollaboriert? Sara Simon (ANTJE TRAUE), seine ihn verhörende US-Offizierin, lässt nicht locker.

„Das ist eine wahre Geschichte. Und was nicht ganz wahr ist, stimmt trotzdem“, heißt es eingangs. Basierend auf den beiden autobiografischen Romanen „Die Teilacher“ (2010) und „Machloikes“ (2011) des 1945 in Basel geborenen schweizerisch-deutschen Schriftstellers Michel Bergmann schuf der in Bayern geborene belgische Regisseur SAM GARBARSKI eine exzellente tragikomische Schelmerei. Mit sehr viel atmosphärischer Detail-Treue, angelegt als Kaleidoskop deutscher Nachkriegsstimmungen, wo Opfer des gerade „abgedankten“ Nazi-Regimes frei durch das „neue Land“ taumeln. Ausgestattet mit vielen traumatischen Wunden. Um mit jüdischem, also viel selbstironisch-verzweifeltem Humor und mit tüchtiger Chuzpe erst einmal das tägliche Weiterleben zu arrangieren versuchen. In einem Land, das sich offiziell von „Nazis“ verabschiedet hat, wo aber eklige braune Gedanken weiterhin an der allgemeinen Tagesordnung sind.

Regisseur Sam Garbarski, Jahrgang 1948, beschreibt – berührend melodiös, also unterhaltsam und fernab jedweder filmischen Klage-Schrift – mit leisem Schwung und feinen Gedanken-Händchen Zeitkolorit und Seelen-Optionen aus den Anfängen dieser Republik. Dabei beweist der Filmemacher, der 2007 mit seinem Film „Irina Palm“ (s. Kino-KRITIK) am Berlinale-Wettbewerb teilnahm und viel Lob („Publikumspreis“) einheimste, ein spannendes emotionales Gespür für den gesellschaftlichen Schwebezustand damals, wo Überlebende zaghaft und versuchs-selbstbewusst ihre Zukunft angingen. Augenzwinkernd schelmisch, mitunter tolldreist und porentief traurig.

MORITZ BLEIBTREU, gerade Kino-parallel darstellerisch völlig absaufend in dem primitiven Ulk „Lommbock“, ist hier als verführerischer, lebens-gieriger David sowohl ein arroganter Macher wie auch ein „erheiternder“ listiger Erzähler wie auch ein pointierter Berichterstatter von unglaublich Erlebtem. Als David Bermann mit viel düsterem Clown-Charme ausgestattet. Moritz Bleibtreu, 45, spielt überragend, war lange schon nicht mehr so Charakter-stark, charismatisch und präsent an der Rampe und schultert diese feine Tragikomödie mit beeindruckender Bravour.

Ernst Lubitsch hätte an „Es war einmal in Deutschland…“ seine helle Freude gehabt (= 4 1/2 PÖNIs).

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