Filmriß

Porträt ENNIO MORRICONE (Deutschlandradio Berlin „Filmriß“/16.4.1994)

Die Film-Musik besitzt heutzutage einen hohen Stellenwert. Vor allem:
populäre Film-Musik. Das liegt zuallererst an dem Italiener ENNIO MORRICONE, der für sämtliche Sergio-Leone-Filme die Musik komponierte und von vielen inzwischen als „Beethoven“ der Filmmusik verehrt wird.

Ein Grund: Kein anderer Filmkomponist versteht es so überzeugend Emotionen in Klänge umzumünzen. Es kann schon mal passieren, dass man bei einem Film, zu dem Morricone die Musik beigesteuert hat, nicht so sehr an den Bildern interessiert ist, sondern mehr von der Musikeingefangen wird. Dass man die Augen zumacht, nur um dieser Musik „komplett“ lauschen zu können, zu der dann ganz eigene Bilder weiterlaufen. Kino, das ist Gefühl total, sagte einst der amerikanische Regisseur Sam Fuller. Dass das so ist, verdanken wir auch dem Italiener Ennio Morricone.

Eine Mundharmonika wummert durch den Saal, während Charles Bronson den Kopf gen Westen reckt. Eine Bassgitarre hämmert drohend wie lästige Fliegen, die den Tod unter den Flügeln tragen. Violinen toben sich klirrend aus. In die flimmernde Wüsten-Spannung peitscht der Schuss einer vollen Orgel. Chöre, Bläser, Harmonika schnauben eine düstere Fanfare in den Sonnenuntergang. Wie kaum ein anderer hat der italienische Komponist ENNIO MORRICONE die Entwicklung der Filmmusik von den begleitenden Melodien hin zu einer eigenen Kunstform geprägt.

Geboren 1928 in Rom, der Vater Trompeter im Tanzorchester, bei welchem der Sohn noch als 15jähriger aushalf, genoss Morricone eine fundierte Ausbildung in klassischer und experimenteller Musik an dem renommierten Konservatorium in Santa Cecilia. Tagsüber studierte er, abends komponierte er Arrangements für die aufblühende Phono-Industrie und hatte Jobs in diversen Unterhaltungsorchestern. Aber: Davon konnte er nicht leben. Also zog es ihn „heimlich“ in die schillernde Welt des Films. 1961 beginnt seine Karriere mit dem italienischen Lustspiel „2 in einem Stiefel“ von Luciano Salcei. Mit Sergio Leone ging er schon gemeinsam zur Schule. 1964 trafen sie wieder aufeinander. Sergio Leone, der unbekannte Regisseur; Ennio Morricone, der unbekannte Komponist. Gemeinsam schufen sie den ersten sogenannten „Italo-“ bzw. „Spaghetti-Western „Für eine Handvoll Dollar“.

Man hatte Erfolg und blieb zusammen. Ein Jahr darauf folgte der zweite Western-Streich: „Für ein paar Dollar mehr“. Dieser Film schlug damals alle Western-Kassenrekorde. 1966 entstand der dritte Film dieser ironischen „Dollar“-Triologie und besaß schon den Charakter einer wunderschön-staubigen Oper. Originaltitel: „The Good, The Bad, The Ugly“. Deutscher Kinotitel: „Zwei glorreiche Halunken“. Musik, natürlich: Ennio Morricone. Morricone galt nun als d e r Westernmusik – Spezialist.

Ihre „Meisterschaft vollbrachten sie 1968. Mit der überdimensionalen Western-Oper „Spiel mir das Lied vom Tod“. Der Soundtrack wurde zum Hit.
Verkaufte sich Millionen mal, kam in die Hitparaden, fand viele Nachahmer und gilt heute als d e r Klassiker überhaupt für populäre Filmmusik. Mittlerweile hat Ennio Morricone für viele renommierte Regisseure des internationalen Kinos seine Musik komponiert und arrangiert. Weit über 300 Filme hat er inzwischen vertont. Er, der abgeschieden und zurückgezogen in Rom lebt, hat längst bewiesen, dass er weit mehr kann als „nur“ Musik für Western herzustellen. Trotzdem gilt er in der breiten Öffentlichkeit immer noch als d e r Western-Komponist.

Und die „beste“, die „schönste“, die stimmungsvollste“ Morricone ­ Musik? Da wird jeder Liebhaber seine eigene Version und Vorstellung haben. Unbestritten aber zählt jener Titel zu den wirkungsvollsten, den er 1970 für Joan Baez zum Polit-Film „Sacco und Vanzetti von
Giuliano Montaldo geschrieben und arrangiert hat. „Here’s to you“ ging
als Ballade um die Welt und ist unvergessen.

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