EIN SACK VOLL MURMELN

PÖNIs: (4/5)

„EIN SACK VOLL MURMELN“ von Christian Duguay (Co-B + R; Fr/Kanada/Tschechien 2015; Co-B: Jonathan Allouche, Benoît Guichard; nach dem gleichn. Roman von Joseph Joffo/1973/deutsche Taschenbuchausgabe: 2017; K: Christophe Graillot; M: Armand Amar; 113 Minuten; deutscher Kino-Start: 17.08.2017); der Vater „trainiert“ seinen kleinen zehnjährigen Sohn Joseph (DORIAN LE CLECH) und haut ihm eine Ohrfeige. „Bist du Jude?“ „Nein“. Wieder bekommt der Kleine eine Ohrfeige. „Bist du Jude“?“ „Nein“. Paris 1941. Weil es in dem von den Nazis besetzten Paris zu gefährlich geworden ist zu bleiben, beschließt die jüdische Familie Joffo die Flucht nach Südfrankreich. Weil aber eine gemeinsame Flucht zu auffällig wäre, schicken die Eltern Joseph und seinen fünf Jahre älteren Bruder Maurice (BATYSTE FLEURIAL PALMIERI) allein auf den gefährlichen Weg. Diese Odyssee beschreibt der kleine Joseph, der seinen Schatz – einen kleinen Sack voller Murmeln – nicht mitnehmen durfte und bald gelernt und begriffen hat, schneller „älter“ werden zu müssen als eigentlich vorgesehen, mit kurzen, knappen Worten aus dem Off. Unterwegs haben die Kinder große Strapazen auszuhalten, zu überstehen, doch sie haben auch viel Glück und werden von hilfsbereiten Menschen unterstützt. In Nizza angekommen, treffen sie wieder auf die Eltern. Und auf dort ansässige weitere Familienmitglieder. Ein beschaulicheres Leben beginnt, da es sich bei den italienischen Besatzern um zumeist „gemütliche“ Okkupanten handelt. Doch als in Italien Mussolini gestürzt wird, werden diese abgezogen und die Nazis „rücken“ nach. Beziehungsweise: ein. Die Tortur der Verfolgung beginnt aufs neue. Die Familie muss sich erneut trennen. Der Film folgt den Spuren von Joseph und Maurice, die ab sofort noch näher und direkter spüren und ertragen müssen, was es bedeutet, von einheimischen Kollaborateuren und Milizionären misstrauisch „beäugt“ und gedrillt zu werden. Eine einzige „kindliche“ Schwäche oder eine unbedachte „Unvernunft“ kann sie das Leben kosten.

Die Empfindungen sind wieder enorm. Was Menschen „veranlasst“, andere wegen ihrer Religionszugehörigkeit vernichten zu wollen, besitzt eine zeitlose Widerlichkeit und ist weiterhin unfassbar. Und wenn man sieht, wie hier Kinder „erwachsen“ aufpassen müssen, um nicht unterzugehen, wie sie drangsaliert und widerlich verhört werden, wie sie vorsichtig sein und ständig aufpassen müssen, um „nichts Falsches“ zu sagen, trommelt die innere Wut riesig. Der adaptierte Roman „Un sac de billes“ von Joseph Joffo aus dem Jahr 1973 zählt in Frankreich zu den bekanntesten Büchern über den Zweiten Weltkrieg. Die erste filmische Adaption des Bestsellers, der in 18 Sprachen übersetzt wurde, stammt von Jacques Doillon aus dem Jahr 1975, der den Roman-Titel auch als seinen Film-Titel übernahm: „Un sac de billes“ lief allerdings nie bei uns. Die jetzt zweite Verfilmung dieses ungeheuren Buches, das soeben als Taschenbuchausgabe hierzulande (bei „Ullstein“) erschienen ist, erreicht uns und wühlt das wichtige Erinnerungskino mächtig auf. Dank zweier Kinder-Hauptakteure, die so unfassbar überzeugend-nahegehend „spielen“: sowohl der kleine DORIAN LE CLECH wie auch der „mittlere“ BATYSTE FLEURIAL PALMIERI erweisen sich als sagenhaft-präsent-glaubhaft und absolut natürlich und vermögen mit älteren Profis wie Patrick Bruel (Vater), Elsa Zylberstein (Mutter) oder Christian Clavier (Arzt) gleichrangig mitzuhalten. Co-Drehbuch-Autor und Regisseur CHRISTIAN DUGUAY, Jahrgang 1957, weiß eine ebenso bedeutsame wie „spannende“ Geschichte zu erzählen, die es verdient, immer und immer wieder neu und weiter-erzählt zu werden. Deshalb gehört „Ein Sack voll Murmeln“ unbedingt nach seiner Kino-Auswertung auch in das hiesige ständige Schulfilm-Angebot (= 4 PÖNIs).

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