DIE UNSICHTBAREN – WIR WOLLEN LEBEN

PÖNIs: (5/5)

„DIE UNSICHTBAREN – WIR WOLLEN LEBEN“ von Claus Räfle (Co-B; Co-Produzent + R; D 2016; Co-B: Alejandra López; K: Jörg Widmer; M: Matthias Klein; 110 Minuten; deutscher Kino-Start: 26.10.2017); dieser Film tut gut; dieser Film erschüttert; dieser Film unterhält wichtig. Grundsätzlich: Obwohl wir es schon so lange wissen; obwohl man „davon“ schon so oft gehört und vernommen hat; obwohl und obwohl und obwohl – man = ich vermag, ich will diese widerwärtige, entsetzliche, grauenhafte, menschenunwürdige, menschenfeindliche, Menschen-verkommende Ideologie nicht für „möglich“ halten. Dass es diese Nazi-Ideologie mit allen millionenfachen mörderischen Konsequenzen gegeben hat, ist und bleibt für mich ebenso schmerz-intensive wie unfassbare, unvorstellbare Tatsache. Dass Menschen sich über andere Menschen erheben, diese als „nicht lebenswert“ titulieren, um sie dann – „im Namen des Volkes“ – abzuschlachten, im Namen einer Ideologie, eines Landes, einer „besseren“ Menschheit, wird sich mir nie „erschließen“. Allerdings: Ich will es auch gar nicht verstehen, denn ich kann und will mich nie „darüber beruhigen“.

Zu vernehmen, dass es auch verzweifelten, humanen, konkreten Widerstand gab gegen diese – auch im Innern – uniformierten Verbrecher, beruhigt keineswegs, ist aber außerordentlich nahe-gehend. Auch: Weil es dieses Spielfilm-hafte Doku-Drama versteht, mit den heutigen schnellen, spannenden, reizvollen, intensiven Mechanismen eines Spannungsfilms großartig-bestürzend – „davon“ – zu erzählen.

Im Mai 1943 wurde Berlin von der Nazi-Herrschaft offiziell als „judenfrei“ bezeichnet. Die Propaganda jubelt. Über eine Lüge. Denn in Berlin sind etwa 7.000 jüdische Mitbürger den sie verfolgenden, sie rund um die Uhr jagenden Nazi-Schergen entkommen. Bislang jedenfalls. 1.700 von ihnen gelang es, bis Kriegsende nicht entdeckt zu werden. Ihr Überleben war möglich, weil es Menschen gab, die ihnen Hilfe gaben. Unterschlupf gewährleisten, sie unter Gefährdung des eigenen Lebens unterstützten. Netzwerke von Helfern entstehen. Für jeden „Untergetauchten“ sind bis zu zehn, bisweilen aber auch viel mehr jüdische wie nichtjüdische Unterstützer aktiv.

Über einige dieser „Unsichtbaren“, an die die Behörden nicht „‘ran-kamen“, erzählt dieser bewegende Film. CIOMA SCHÖNHAUS fälscht heimlich und perfekt Pässe und vermag dadurch vielen Menschen das Leben zu retten. HANNI LÉVY färbt sich die Haare blond, nimmt die Identität einer „Arierin“ an, flüchtet sich nachmittags in beheizte Kinosäle, übernachtet in wechselnden Quartieren. EUGEN FRIEDE versteckt sich in der Uniform der Hitler-Jugend und im Schoße einer deutschen Familie. RUTH ARNDT tarnt sich als Krieger-Witwe und serviert NS-Offizieren Schwarzmarkt-Delikatessen. Sie alle kämpfen für ein (Über-)Leben in Freiheit, ohne wirklich frei zu sein. Die Gefahr, jederzeit „entdeckt“ zu werden, ist groß.

Im Film berichten „die Originale“ von den Ereignissen, während junge Schauspieler – MAX MAUFF; ALICE DWYER; AARON ALTARAS und RUBY O. FEE – deren Schicksale nachspielen. Dabei imponiert und fasziniert, mit welcher Lebhaftigkeit die vier Überlebenden von ihrem damaligen Untergrund-Dasein zu informieren verstehen. Sie machen plausibel: Wir waren damals jung, voller Energien, mit viel Wagemut wie Erfindungsreichtum und Phantasie ausgestattet, wodurch „Angst“ teilweise unterdrückt werden konnte. Ihr Motto einst: WIR WOLLEN LEBEN, unter allen Umständen. Dafür benutzen wir Verstand und Doch-Zuversicht.

Neben den imponierenden Nachwuchsdarstellern spielen namhafte Akteure wie FLORIAN LUKAS, STEFFI KÜHNERT und – in einer seiner letzten Rollen – der im September 2017 verstorbene ANDREAS SCHMIDT mit. Entstanden ist ein kleines großes Juwel, das dem Glauben zuwider spricht, dass der Einzelne gegenüber der Masse und diktatorischen Oberen nichts ausrichten kann und gefälligst opportunistisch still halten soll. Ganz im Gegenteil: Diese beeindruckend-wirkungsvolle Hymne an Zivilcourage, Mut und menschliches Mitgefühl beweist das genaue und zuversichtliche Gegenteil. Für die Schule bedeutet dieser Film anschließend, also nach der Kino-Auswertung: ganz starker, spannender Geschichtsunterricht (= 5 PÖNIs).

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