DIE LEBENDEN REPARIEREN

PÖNIs: (4,5/5)

„DIE LEBENDEN REPARIEREN“ von Katell Quillévéré (Co-B + R; Fr/Belgien 2016; Co-B: Gilles Taurand; nach dem gleichn. Roman von Maylis de Kerangal/2014; K: Tom Harari; M: Alexandre Desplat; 103 Minuten; deutscher Kino-Start: 07.12.2017); mit diesem Film wird sie „bedeutend“: KATELL QUILLÉVÉRÉ wird am 30. Januar 1980 in Abidjan im westafrikanischen Staat Elfenbeinküste als Tochter einer Physiklehrerin und eines Informatikers geboren. Sie wächst zunächst in Afrika auf und zieht, als sie fünf Jahre alt ist, mit ihrer Familie in die Nähe von Paris. Nach dem Abitur schreibt sich Katell (Catherine auf Bretonisch) an der Universität ein und vollendet ein Studium in den Fächern Film und Philosophie. Ihr erster Kurzfilm – „À bras le corps“ – wird 2005 in Cannes gezeigt und für einen César nominiert. 2010 kommt ihr erster Kino-Spielfilm heraus, „Ein starkes Gift“, der ebenso wie dann ihr zweiter Langfilm, „Die unerschütterliche Liebe der Suzanne“, 2013, beim Cannes-Festival in einer Nebensektion präsentiert wird. Für ihre dritte Regie-Arbeit adaptierte die Filmemacherin den Roman „Réparer les vivants“ von Maylis de Kerangal; ihr Film wurde im Vorjahr bei den 73. Filmfestspielen von Venedig erstmals vorgestellt. Das Thema passt in diese Jubiläums-Erinnerungszeit: Vor 50 Jahren, am 3. Dezember 1967, transplantierte der Chirurg Christiaan Barnard in Südafrika erstmals und erfolgreich ein Herz.

Simon, ein junger dynamischer 17-jähriger Surf-Boy. Gemeinsam mit zwei Kumpels bricht er frühmorgens in der Hafenstadt Le Havre zum Meer auf. Auf der Rückfahrt verändert ein Unfall mit dem Auto das Leben vieler. Während die Freunde angeschnallt waren und mit Knochenbrüchen „davonkommen“, wird Simon (GABIN VERDET) klinisch tot ins Krankenhaus gebracht. Maschinen halten ihn künstlich am Leben. Und die Ärzte müssen den aufgewühlten, fassungslosen, unter Schock stehenden Eltern (EMMANUELLE SEIGNER/TAHAR RAHIM) nicht nur die Todesnachricht vermitteln., sondern auch die Zeit-wichtige Frage stellen: Sind sie einverstanden, wenn wir Simons Organe zur Transplantations-Spende freigeben?

Zeitgleich in Paris. Die zweifache Mutter Claire (ANNE DORVAL) hat ein nur noch „schwach“ funktionierendes Herz. Wenn nicht umgehend etwas unternommen wird, droht ihr Herz zu versagen. Der Besuch bei ihren Söhnen und die Begegnung mit ihrer ehemaligen Partnerin bedeuten möglicherweise Abschiednehmen. Währenddessen läuft den Ärzten und dem medizinischen Fachpersonal in beiden Städten die Zeit davon. Ab sofort sind Menschen unversehens zu „Untrennbaren“ verbunden, die nun zufällig – bildlich – aneinandergekettet sind, sich nie in ihrem Leben begegneten und auch nie begegnen werden.

Der Titel ist Diktat: Ein – junges – Leben ist abgelaufen; woanders (er-)wartet man auf dessen weiter-lebensfähige Organe. Was sich profan und abgeklärt anhört, ist die Außenhülle dieses, wahrlich, unter die Haut gehenden Menschen-Dramas, dessen spannende Intimität ebenso seriös wie über alle Maßen gefühlvoll ausgebreitet wird. Innen bedeutet es: Immens besonnen und denkbar reichhaltig wird ein Kosmos vorgestellt, der sich angesichts furchtbarer Ereignisse zwangsläufig in Bewegung setzt. Sich in Lebens- und Arbeitswelten einteilt und zusammenfügt. Mit unangestrengter Empathie, der man sich nicht entziehen kann und will. Weil man den drängenden Fragen nicht auszuweichen vermag; willens ist, sich ihnen zu stellen.

Das Darsteller-Ensemble, zu dem auch der gewichtige belgische Star BOULI LANNERS („Das Ende ist erst der Anfang“) als Arzt zählt, spielt Anteil-nehmend überragend und ist bis in den kleinsten Nebenpart vorzüglich und stimmig besetzt. Sagen wir so: all die täglichen kraftmeierischen Töne und Anstrengungen des Lebens bekommen eine mindere Wertigkeit angesichts der Erlebnisse und (Denk-)Erfahrungen hier. Was nicht überkleistert-wehmütig geschildert wird, sondern in einem überaus nahegehenden, berührenden Erzählfluß daherkommend; als trauriger, entsetzlicher, aber realer und reichlich spannender Zustand. Tonlagen und Stimmungen wechseln einander ab, die Ungeheuerlichkeit vom Sein und Abhanden-Sein bekommt einen ergreifenden, verständlichen, emotional-rationalen Sinn. Mit behutsamen Ausrufungszeichen.

„DIE LEBENDEN REPARIEREN“ wuchtet sich tief ins Gemüt des Betrachters, besitzt sehr viel menschliche Wärme und mehr als nur einen Funken Optimismus: Es ist eine Hymne auf die endliche Bedeutung von Leben … mit Sterben und Leben… (= 4 1/2 PÖNIs).

Teilen mit: