DER STERN VON INDIEN

PÖNIs: (4/5)

„DER STERN VON INDIEN“ von Gurinder Chadha (Co-B; Co-Produktion + R; GB/Indien 2015; Co-B: Paul Mayeda Berges, Moira Buffini; K: Ben Smithard; M: A. R. Rahman; 106 Minuten; deutscher Kino-Start: 10.08.2017); der Zweite Weltkrieg ist längst vorbei, doch Großbritannien, einer der „Gewinner“, kommt nicht zur Ruhe. Der Anlass: In ihrem Kolonial-Land Indien „brennt“ es. Buchstäblich. Das Empire bröckelt, deshalb haben sich die Briten entschlossen, Indien – nach mehr als 300 Jahren Briten-Herrschaft – den Einheimischen endlich „zu übergeben“. Um dies angemessen und vor der Weltöffentlichkeit „fair“ vorzunehmen, wird 1947 Lord Mountbatten (HUGH BONNEVILLE) mit seiner Gattin Edwina (GILLIAN ANDERSON) dorthin beordert. Als Vizekönig soll er die britische Kronkolonie in die Unabhängigkeit entlassen. Doch im Land brodelt es. Während Mountbatten EIN Indien als „Gesamtland“ diplomatisch ansteuert, wozu auch Hindus und Sikhs, vertreten durch Jawaharlal Nehru und Mahatma Gandhi, bereit sind. Doch die moslemische Minderheit, unter ihrem Anführer Mohammad Ali Jinnah, besteht auf einem eigenen Staat. Die Verhandlungsfronten verhärten sich. Während die gewalttätigen Unruhen überall im Land zunehmen.

Parallel zu diesem historisch verbürgten Plot wird die Geschichte einer großen Liebe erzählt. Als der junge Hindu Jeet Kumar seinen Dienst am Hofe des Vizekönigs antritt, wo 500 Bedienstete aus unterschiedlichen Religionsschichten für den Glanz sorgen, begegnet er der moslemischen Übersetzerin Aalia, die er aus seinem Dorf kennt. Und liebt. Beider Schicksal, zweier verschiedener Religionsgemeinschaften anzugehören, wird zum privaten Symbol für ein Land, das sich mehr und mehr in der Spaltung befindet. Angesichts der eskalierenden Ereignisse – und auch unter dem politischen Druck aus England – bemühen sich der Vizekönig und seine engagierte Frau, das Land „diplomatisch“ so schnell wie möglich zu befrieden. Indem sie es brachial teilen. Lassen. Grenzen verlaufen nun mitten durch Dörfer und Familien. Binnen fünf Wochen ist die Trennung zwischen Indien und dem neuen Staat Pakistan hergestellt.

Dieser Konflikt zieht eine Flüchtlingskrise ungeahnten Ausmaßes nach sich: Vierzehn Millionen Menschen verlieren ihre Heimat, werden vertrieben. Furchtbares Leid bringt dieser Prozess für Hindus, Muslime und Sikhs gleichermaßen. Wobei der Lord schließlich erfahren muss, dass im Grunde schon längst diese Teilung „von offiziellen Stellen“ vor-verhandelt und beschlossen war. Wie immer geht es um die „Hohe Politik“ im Hinblick auf vorhersehbare kommende Kalte Kriegs-Zeiten und – natürlich – unter Vor-allem-Beachtung ums ganz große bevorstehende Geschäft; Stichwort: Öl. Er, der Lord, war und ist nur eine Marionette der wahren Entscheider.

„Viceroy’s House“ lautet der Originaltitel und beschreibt den feudalen „britischen“ Königspalast in Delhi. „Der Stern von Indien“ bezieht sich auf den Titel des Ritters des „Order of the Star of India“, der 1947 Lord Mountbatten als einem der letzten verliehen wurde. In Würdigung seiner „besonderen Leistungen“ in Sachen „Abnabelung“ Indiens von Großbritannien.

Ein hochinteressanter, prachtvoll ausgestatteter Historienfilm, der die komplexen Ereignisse von vor 70 Jahren exakt nachzeichnet und spannend wie emotional-packend wiedergibt. Und deutlich macht, wie sehr „Religion“ Menschen nicht verbrüdert, sondern auch zu Gegnern, zu Feinden, werden lässt. Und wie sehr politisches Macht-Interessen und politisches Gewinn-Streben das Schicksal von vielen Menschen erbarmungslos beeinflusst. Wo derart gehobelt wird, entstehen viele schlimme Leid-Späne. Zugleich, wir sind im Kino-Spielfilm, und dies alles wird „im Kleinen“, das bedeutet: am privaten Beziehungs-Beispiel zweier Liebender nachvollziehbar, die eben nichts anderes anstreben, als friedlich miteinander zu leben. Und diese Teilung unbarmherzig auch über sich ergehen lassen müssen.

Indes und scheinbar unaufgeregt, dabei aber unterschwellig merkbar-angespannt, laufen diese formellen wie absurden höfischen Rituale weiter. WIR Briten. Du bloß Inder. Während das Geschehen im Land und dann auch am Hofe eskaliert: 80% „kriegt“ Indien, 20% der neue Staat Pakistan. Was zum Beispiel für die Bibliothek bedeutet: Jane Austen bleibt für Indien, die Brontes ab ins nunmehr Nachbarland. Die britische Co-Drehbuch-Autorin und Regisseurin GURINDER CHADHA, hierzulande vor allem bekannt und geschätzt durch ihre wundervolle Multi-Kulti-Komödie „Kick It Like Beckham“ von 2002 (s. Kino-KRITIK), betrachtet ihren Film auch als eine ganz persönliche Angelegenheit, verarbeitet sie hierin doch düstere biographische Ereignisse aus ihrer eigenen Familie. Dies gelingt ihr am Nahegehendsten, wenn sie direkt in die Schaltzentralen von Macht, also von Handel und Diplomatie, blickt. Sich dorthin konzentriert. Wo es um geschicktes Schachern geht, von dem dann Millionen von Menschen betroffen sind = sein werden.

Faszinierend die akribische Ausstattung, in Farben, Bauten, prunkvollen Kostümen und vor allem – in Menschen. Die enorme Komparsen-Menge ist zugleich imponierend wie irritierend. Ungewohnt für heutige „westliche“ Augen. Erinnernd an frühere Historien-Spektakel aus Hollywood. Doch die Gedanken keineswegs verkleisternd, ganz im Gegenteil: Der Gedanken-Blick beginnt sich auch in Richtung Aktualität zu vermengen von wegen: die aktuelle Flüchtlingskrise. Eine neue Welt-Teilung ist längst in vollem Gange, und von den damit verbundenen schrecklichen Ereignissen vernehmen wir an jedem Tag. Insoweit ist „Der Stern von Indien“ auch ein beklemmender, beeindruckender, spannender Film über Gestern UND Heute (= 4 PÖNIs).

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