Captain Phillips

CAPTAIN PHILLIPS“ von Paul Greengrass (USA 2012; B: Billy Ray; nach dem Buch „A Captain’s Duty: Somali Pirates, Navy SEALS, and Dangerous Days at Sea“ von Captain Richard Phillips; K: Barry Ackroyd; SCHNITT: Christopher Rouse; M: Henry Jackman; 134 Minuten; Start D: 14.11.2013); durften wir eben noch Cate Blanchett in dem neuen Woddy Allen-Film „Blue Jasmine“ als die weibliche Hauptdarsteller-Kandidatin für die 2014er „Oscar“-Verleihung entdecken, so befindet sich im kommen Jahr mit großer Wahrscheinlichkeit auch TOM HANKS als Hauptdarsteller wieder mal im auserwählten Kandidatenkreis. Mit diesem anfangs nüchternen, dann immer herzschlag- pulsierenden und in der Endphase schier unglaublich eindringlichen Part als Titelfigur: US-Captain zur See Richard Phillips.

Zunächst aber zum auch nächsten „Oscar“-Regie-Kandidaten: PAUL GREENGRASS. Der 58jährige britische Regisseur (sowie Drehbuch-Autor und Schriftsteller) begann seine Karriere als Journalist und Leiter der BBC-Reihe „World in Action“. Dokumentationen über die irische Band U 2 und über IRA-Gefangene, die er während eines Hungerstreiks in britischen Gefängnissen interviewte, folgten. Sein Spielfilm-Debüt „Resurrected“ erhielt 1989 auf der Berlinale zwei Neben-Preise. Drei Jahre später gewann er mit seinem dritten Spielfilm „BLOODY SUNDAY“ (nach „Vom Fliegen und anderen Träumen“/1998/mit Helena Bonham Carter + Kenneth Branagh) den „Goldenen Bären“ bei den Internationalen Filmfestspielen von Berlin. Mit den beiden Action-Hits „Die Bourne Verschwörung“ und „Das Bourne Ultimatum“ (2004 / 2007) gelang Paul Greengrass der breite internationale Durchbruch. Für sein Doku-Spieldrama „Flug 93“ erhielt der Regisseur 2007 eine „Oscar“-Nominierung: Der Spielfilm war die erste Hollywood-Produktion, die sich mit Teil-Ereignissen um die Terror-Anschläge vom 11. September 2001 befasste. Mit „Green Zone“ setzte der Brite schließlich 2010 sein politisches Unterhaltungsweltkino fort (mit Matt Damon, Brendan Gleeson, Greg Kinnear).

„CAPTAIN PHILLIPS“ ist das vorläufige Meisterstück von Paul Greengrass. Und seinem vorzüglichen Team. Mit der Maßgabe, KEINE Heldenarie in Sachen „Gut / Böse“ geschaffen zu haben. Ganz und völlig im Gegenteil. Entstanden nach vielen Motiven wahrer Ereignisse. April 2009. In der globalen Welt „rumort“ es. Stichwort: Reiche werden immer reicher, Arme befinden sich an der Existenz- und Überlebensgrenze. Müssen sich immer mehr „einfallen“ lassen, um nicht total unterzugehen. Noch herrscht Ruhe, als sich in Oman Kapitän Richard Phillips daranmacht, das 150 Meter lange, voll beladene, unter US-Flagge gesetzte Containerschiff „Maersk Alabama“ mit seiner unbewaffneten 20 Mann-Crew zu übernehmen. Zielort: Kenia. Wir vernehmen nebenbei den kurzen Hinweis, dass es zwar inzwischen „lose Piratenwarnungen“ gibt, aber mit dem beruhigenden Hinweis, dass es rund 200 Jahre her ist, dass „so etwas“ hier passiert ist. Zur selben Zeit in einem bettelarmen, chaotischen anmutenden somalischen Fischerdorf. In „wohnlichen“ Limousinen tauchen die „Bulldoggen“ von Warlords auf. Klare Ansage an die hungrigen Einheimischen: Einen Piratenüberfall zu verüben. Auf die „Maersk Alabama“. Mit hohem Entlohnungsanspruch. Eigentlich ein Unding, denn sowohl die Technik wie auch ihre dürftig geflickten Schnellboote haben doch eigentlich keine Chance gegen diesen überdimensionalen Frachter. Eigentlich. Doch ihr ausgemergelter, energischer Anführer Muse (ebenfalls „Oscar“-„fällig: BARKHAD ABDI) kann und will nicht aufgeben. Überwindet mit seiner kleinen vierköpfigen Gruppe sämtliche Hindernisse und vermag tatsächlich das gigantische Ami-Schiff zu kapern. Am Horn von Afrika entlädt sich eine „Schurkerei“, die bald schon zum internationalen „Ereignis“ werden soll. Motto: Vier zu allem entschlossene Täter gegen die ganze Übermacht des professionell geschulten us-militärischen Personals. Mit ihrer hochgefahrenen Technik und dem überlegenen Waffenarsenal. Immer mittendrin: „Captain Phillips“. Erst auf seinem Schiff, dann in einem kleinen Rettungsboot, als Geisel der Entführer. Das Fieber steigt. Auf beiden Seiten. Auf hoher See wie hinter den – diplomatischen – „Obama“-Kulissen in Washington.

„So etwas“ hätte leicht – zu John Wayne-Zeiten – als „vorbildliche amerikanische Heldentat“ verramscht werden können. Diese Zeiten sind Gott sei Dank ziemlich vorbei. Autor Billy Ray, Regisseur Paul Greengrass sowie sein formidabler Schnitt-Experte CHRISTOPHER ROUSE, mit dem er schon seit Jahren zusammenarbeitet, geben beide Seiten „fairen Raum“. Denunzieren Niemanden und begleiten auch die Daneben-Begleiter, vor allem auf Seiten des US-Militärs, mit gebührendem Abstand und sachlichem Respekt. Während in der „Inszenierung“ der vier Piraten genau die notwendige Würde-Balance zwischen „Terroristen“ und „menschentiefem Existenzkampf“ eindrucksvoll und absolut überzeugend gelingt. Natürlich ist es hier kein Duell auf Augenhöhe, aber in der dramatischen, klaustrophobischen Intensität und mit der im Grunde ausweglosen, aber explodierenden, willensstarken Überlebensverzweiflung der Somalier sind sie doch so etwas wie „hochrangige Gegner“. In einem Fight, bei dem es letztlich nur „nüchterne Sieger“ ohne Heldenstatus geben kann.

DIESE SPANNUNG. Sie erdrückt dich. Tief in den Kinosessel hinein. Einerseits dieser sich immer mehr zuspitzende Kampf auf dem Wasser, dann in der Konfrontation der verschiedenen Personen. Als Menschen und nicht Marionetten. Was hier in der Steigerung von Immer-Aufregender abläuft, ist ein total fesselnder Thriller-pur. Mit allem feuchten Händeprogramm und tiefster Dauer- (An-)Spannung. Obwohl doch die Details bekannt sind. Weitgehend. Mit diesen packenden Montagen hüben wie drüben. Angst, Verzweiflung, die hitzige Ausweg-Suche, die routinierte kalte amerikanische Vorbereitung des Militärs, mit ihrem bestens ausgestatteten Apparat, das nicht aufhörende Aufbäumen und hektische Dagegenhalten der Terroristen. Die um ihre „Beute“ verbittert kämpfen. Kämpfen müssen. Regisseur Paul Greengrass erklärt im Interview die heutige politische, sprich weltliche gesellschaftliche Mengenlage: „Die Enge und die Weite der Räume ist eine Metapher. Für eine Welt, die aufgeteilt ist in Habenichtse und Wohlhabende. Die Schifffahrtsrouten der Reichen passieren die Strände der Armen. Das war im 18. Jahrhundert der Fall und das ist es noch bis heute. Man muss sich nicht wundern, dass dies zu Raubzügen führt. Seien es die Piraten von einst, Butch Cassidy und Sundance Kid, die Eisenbahnen überfielen, oder die Mafia, die LKWs plünderten. Wo es Armut und Verzweiflung gibt, blüht das Verbrechen. Und schnell entsteht daraus die organisierte Kriminalität“ (in „Filmecho/filmwoche“ 43/2013).

Natürlich TOM HANKS. Der (bislang) zweifache „Oscar“-Star („Philadelphia“; „Forrest Gump“). Nun wieder körper- voll „inmitten einer Strapaze“, die darstellerisch überragend ist. In Charakterstärke und Seelentiefe. Der Emotionen in jedweder Mini- wie Orkan-Phase überzeugend- porentief und dabei völlig unheldisch- „heldisch“ brillant auszudrücken versteht. Einzigartig. Vor allem dann in und mit dieser riesigen Enge. Im abgeschotteten Schlauch von Rettungsboot. Mit seiner kontrollierten Cleverness wie bei seinen logischen fürchterlichen Angstschüben. Die – unbekannte – Gegenseite wird von in den USA aufgewachsenen Somaliern gleichrangig ausgedrückt, die zum ersten Mal in einem Film mitspielen. Dabei herausragend: BARKHAD ABDI als Anführer Muse, ein afrikanischer Tom Hanks, kraftvoll, furchteinflößend in seiner Nervosität, hart, brutal in seinen Überlebensmaximen. Tom Hanks und Barkhad Abdi treten hier als unbändig Entschlossene zweier Welten grandios auf. Ihre Positionen von Handeln, Gegenhandeln, Hektik, Furcht sowie Überforderung und Todesangst sind vollkommen echt. Was für ein wunderbares Kraftfeld der Schauspielerei!

„Captain Phillips“, der Film, kostet prächtige Nerven und ist ein zeit- vollkommenes Spannungs-Meisterwerk.
Premium-Prädikat: Wenn Haut und Gedanken das Lichtspiel-Universum prächtig real zu füllen verstehen, sich mitreißend verbrüdern (5 PÖNIs).

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