BLADE RUNNER 2049

„BLADE RUNNER 2049“ von Denis Villeneuve (USA/GB/Kanada 2016; B: Hampton Fancher, Michael Green; Co-Produzent: Ridley Scott; K: Roger Deakins; M: Hans Zimmer, Benjamin Wallfisch; 163 Minuten; deutscher Kino-Start: 05.10.2017); alles ist anders. Als bei jeder bisherigen Kritik. Gestern den Film gesehen, heute bereits die fertige Kritik gestemmt: normalerweiser kein professionelles Problem. Hier funktioniert es „so“ aber nicht. Deshalb entsteht gerade auch nur das Fragment einer Kritik. Will sagen: Die Besprechung, die Beurteilung über diesen Film, wird im Verlaufe der Zeit(en) immer wieder überprüft werden müssen, gegebenenfalls neu interpretiert werden: entweder ergänzend oder korrigierend; mit weiteren und möglicherweise veränderten Sichtweisen. Erkenntnissen. Entdeckungen. Eine Vorführung kurz vor dem Start „reicht“ längst nicht aus, um sich umfangreich mit dem Film auseinander setzen zu können. Viele weitere Besichtigungen werden = müssen folgen. Zudem: Vorsichtig wird vor der Pressevorführung gebeten, ja nicht zu viele Details zu verraten, in die Kritik mit-einzubauen, von wegen: Spoiler-Gefahr. Darum bittet sowohl der Regisseur eingangs per Einblendung als auch der Verleih per Wort. Einverstanden, allerdings mit vielen Ja-Aber. Über diese Ja-Aber-Erläuterungen von mir werden wir also erst demnächst sprechen (können). Dieser Film wird also für eine ganz lange Zeit immer „weiter“ beziehungsweise weiterhin beobachtet werden, im Gespräch bleiben. Wie großartig.

„Blade Runner 2049“ ist schon wie sein Vorgänger eine großartige Komplikation; ein immenses Rätsel; das Eintauchen in einen besonderen, extraordinären Kosmos des philosophischen Denkens, des ausufernden Empfindens, des spannenden Interpretierens; des Quasi-„Lösens“. Motto: Was ist der Mensch, was seine Bedeutung, wie erlauben wir uns überhaupt: „so“ zu existieren.

Der Ursprung: Der dystopische Roman „Träumen Androiden von elektrischen Schafen?“ des amerikanischen Schriftstellers Philip K. Dick (*16.12.1928 – †02. März 1982), Erstveröffentlichung 1968; seit dem Erscheinen des Films „Blade Runner“ im Jahr 1982 wird das Buch auch unter dem Titel des Films verkauft. „Blade Runner“, der Film von 1982, entstand nach Motiven dieses Romans, das Drehbuch verfassten damals Hampton Fancher, der heute auch wieder als Co-Autor mitwirkte, und David Webb Peoples. Der britische Regisseur RIDLEY SCOTT, der mit seinen ersten beiden Werken „Die Duellisten“ (1977) und vor allem dann mit dem Horror-Mythos und heutigen Klassiker „Alien – Das unheimliche Wesen aus einer anderen Welt“ (1979) bekannt wurde, übernahm 1981 die Regie für „Blade Runner“ (s. Kino-KRITIK), der damals die Produktions-„Unsumme“ von 28 Millionen Dollar kostete. Bereits vor, während und nach dem Dreh gab es zahlreiche Konflikte zwischen Regisseur, Autoren, Produzenten und Schauspielern über zentrale Inhalte des Films. Nachdem sich bei ersten Testvorführungen auch beim Publikum „Irritationen“ zeigten mit Ridley Scotts düsterer und philosophisch komplexer Zukunftsvision, verlangten die Geldgeber Änderungen. „Blade Runner“ erhielt – sehr zum Missfallen des Regisseurs – ein erklärendes Voiceover (geschrieben von Roland Kibbee) und ein angehängtes Happy-End, für das – ironischerweise – unbenutzte Landschaftsaufnahmen aus Stanley Kubricks Horrorfilm „Shining“ (1980) verwandt wurden. Als Blade Runner dann 1982 in die Kinos kam, gab es zwei Versionen, eine für den USA-Markt und eine für den internationalen, die explizitere Gewalt in den Action-Sequenzen enthielt. Wer sich für die Herstellung des Originals umfangreich interessiert, dem sei die dreieinhalb-stündige Dokumentation „The Making of Blade Runner“ bei der „Final Cut“-Edition von „Blade Runner“ aus dem Jahr 2007 empfohlen, mit drei Audio-Kommentaren. Jedenfalls: Seit seinem Entstehen kursiert dieser Klassiker in nunmehr acht Versionen, zuletzt: eine von 2017 innerhalb einer 4K „Ultimate Collector‘s Edition“, mit vielen Extras (darunter ein 72-seitiges Buch mit Artworks zum Film). Blade Runner, Jahrgang 1982, der Film-noir der Zukunft, mit Harrison Ford in der Haupt-/Titelrolle anstatt des vorgesehenen Dustin Hoffmans. Der Roman von 1968 ist im San Francisco des Jahres 1992 angesiedelt; in späteren Buch-Ausgaben im Jahr 2021. Der Film von 1982 spielt in Los Angeles des Jahres 2019. Heute, bei der Fortführung, sind wir 30 Jahre danach unterwegs, befinden wir uns im Jahr 2049.

DENIS VILLENEUVE: Kanadier des Jahrgangs 1967. Seit 1998 inszeniert er Spielfilme. Sowohl „Prisoners“ (s. Kino-KRITIK/2013) als auch „Sicario“ (s. Kino-KRITIK/2015) und zuletzt „Arrival“ (s. Kino-KRITIK/2016) erreichten die Bewertung von 4 1/2 PÖNIs. Denis Villeneuve beauftragte während der Vorbereitungen zu seinem neuen Mammutwerk „Blade Runner 2049“ – Budget: 185 Millionen Dollar – Kollegen, drei Kurzgeschichten zum Thema zu verfassen, die zwischen 2019 und vor 2049 angesiedelt sind. Im August 2017 veröffentlichte der Regisseur Luke Scott („Das Morgan Projekt“) den Kurzfilm „Nexus“, der im Jahr 2036 spielt. Mit Jared Leto, der im neuen Film die Figur des „Kauf-Manns“ Niander Wallace einnimmt. Diesen Kurzfilm kann man auf der „Sony-Webseite“ sehen, wo sich die Ausschnitte aus dem aktuellen Film befinden. Und dieser Kurzfilm führt dann auch zu den erklärenden Schrifttafeln am Anfang von „Blade Runner 2049“: „Replikanten sind biotechnisch hergestellte Menschen, entwickelt von der Tyrell Corporation. Sie wurden als Sklaven eingesetzt. Nach einer Reihe brutaler Rebellionen wurde die Herstellung verboten und die Tyrell Corp. musste Konkurs anmelden. Jahre später erwarb der Industrielle Niander Wallace die Überreste der Tyrell Corp. und entwickelte eine neue Generation von gehorsamen Replikanten. Viele der älteren Replikanten-Modelle überlebten. Sie werden gejagt und in den „Ruhestand“ versetzt. Die Jäger der Replikanten heißen: BLADE RUNNER“.

Los Angeles, ein Jahrzehnt nach dem Atom-Sturm: ein enges Drecksnest, unübersichtlich; Lärm-voll; mit riesigen Reklametafeln an Hochfassaden; mit Menschenmassen, die sich hin- und her-bewegen; durch enge Gassen, miefige Läden, schmutzige Neon-Straßen hetzen; es regnet viel; während die Musik von Hans Zimmer (zuletzt: „Dunkirk“) und Benjamin Wallfisch (zuletzt: „ES“) brüllt und „Gefahren-Signale“-wummert. Leben hier, signalisieren die Motive, ist nur noch ein großer Teil von Siechen. Eine fassungslose Scheißhaus-End-Erde-Atmosphäre existiert hier. Die allerdings, 2017, immer weniger nach Science Fiction und mehr nach realer Zukunft riecht. An welchen Stellen unserer Welt im Moment es auch immer bereits schon SO „dampft“.

Weiterhin gilt: Replikanten sind die Zukunft der Spezies. Ohne sie kann „Mensch“ nicht länger existieren. Doch die Fragen bleiben: Was passiert, wenn diese Maschinen den Menschen „überholen“? Nicht nur „technisch“ „ausreifen“, sondern auch „menschlich“? Sich also nicht mehr so einfach „abschalten“ lassen, wenn es dem sie herstellenden Menschen gefällt? Wenn sie Gefühle entwickeln, eine Seele in sich „entdecken“? Wenn sie ein Eigen-Leben ansteuern? Oder wenn sie dann sogar die Möglichkeit besitzen, sich tatsächlich eigenständig fortzupflanzen? Replikanten, die Kinder zeugen und bekommen?!?

Er heißt Officer K (RYAN GOSLING). Er zählt zu den neuen, jungen, dynamischen Blade Runner-Prototypen, die eingesetzt werden, wenn es gilt, ältere „Expertisen“ endlich unschädlich zu machen. So der Einstieg. Wir schauen zu, wie der stoische Officer K seine brutale Tagesarbeit erledigt. Zuhause erwartet ihn dann „Freude“: Haben wir neulich in „Her“ von Spike Jonze (s. Kino-KRITIK) dessen Pixel-Frau nicht sehen, sondern nur verführerisch stimmlich vernehmen können (über die Stimme von Scarlett Johansson), so sehen wir hier die „technische Geliebte“ von K, namens Joi (ANA DE ARMAS). Die mit der Kamera seines Appartements verbunden ist und nun von ihm, zum einjährigen Beziehungsjubiläum, ein tragbares Modell geschenkt bekommt, so dass sie sich erstmals – zu ihrer großen Freude – frei und dann auch „draußen“ bewegen kann. Doch er wird wieder benötigt. Lieutenant Joshi (ROBIN WRIGHT), seine Vorgesetzte, hat einen neuen Auftrag für ihn. Und jetzt beginnt die Geschichte richtig. Bewegt sich auf die ewigen Fragen zu wie vor allem, wann taucht endlich – verdammich-nochmal – der originale Rick Deckard alias HARRISON FORD auf, UND: Ist er nun einer oder ist er „normal“? Ist er ein Replikant oder ist er „Mensch“? Das wollen wir endlich-endlich wissen. Nach so vielen Jahrzehnten bedarf es doch 3 x endlich der Klärung.

Doch Denis Villeneuve lässt sich Zeit. Entwickelt, lässt ruhig spüren, lässt empfinden ohne größere Hektik. Eher bedächtig. Zunächst. Mit enorm vielen Nur-Anspannungsbewegungen. Bedächtigkeit lautet das neue schlaue Kino-Motto. Mit auch schon mal Elvis Presley- und Frank Sinatra-Auftritten im Hologramm-Gepäck. Bevor dann im letzten Drittel der Action-Countdown sprießt. Und das britische Kamera-Ass ROGER DEAKINS, der bisher 13 x für den „Oscar“ nominiert wurde (zuletzt: „Sicario“), aber bislang nie einen bekommen hat, sich einmal mehr auszeichnen kann mit dem grellen Aufspüren, faszinierenden Herumschnüffeln und wahnsinnigen Ausleuchten von unglaublich beeindruckenden Fiction-Motiven. Von wegen: diese sagenhaften Bauten. Aber auch: Seine ausdrucksstarken visuellen Kraft-Bilder überspielen mittig manchmal die etwas zähe, beinahe stehende Handlung und beinhalten überhaupt immer auch eine eigene hervorragende Optik-Kommentierung.

Dies also die erste Kritik über dieses phänomenale Fortsetzungs-Werk, das man weder sofort „fassen“ noch etwa „abhaken“ kann. Weil es in aller Kopf-Stärke und Bauch-Kälte ständig weiterhin rumort. Rumoren wird. Was für ein Film; aber auch: was für nunmehr zwei Filme!!!

Wir werden hierüber noch oft und viel denken, empfinden und sprechen müssen. Beziehungsweise: Über das Thema „BLADE RUNNER“-insgesamt sich auszutauschen, ist künftig spannende Cineasten- und Fan-Pflicht. Von wie vielen Filmen kann man dies als (erstes) Fazit benennen? (= 4 1/2 PÖNIs).

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