Augenzeuge

Heute geht die filmische DVD-Reise zurück. Präzise: Gleich 3 Jahrzehnte zurück. Und stößt zunächst düster auf mit dem reißerisch gestalteten DVD-Titel-Cover, das den tatsächlichen Inhalt in keinster Weise widerspiegelt. Sondern nur „auf Panik-Show“ „garstig“ aufpoliert wurde. Mit einem vermeintlich beißenden schwarzen gefährlichen Hund „oben“ und einer hilfe-schreienden, wegrennenden Frau „unten“. Dazwischen ist der deutsche Titel platziert:

DER AUGENZEUGE“ von Peter Yates (USA 1980; B:
Steve Tesich; K: Matthew F. Leonetti; 98 Minuten; Start D: 25.09.1981; DVD-Veröffentlichung: 26.11.2010).

Dass es sich hier aber um keinen billigen Action-Streifen pur handelt, wird klar, wenn man sich an Peter Yates erinnert. Zudem tauchen auf der Darstellerleiste ganz oben auf dem DVD-Cover attraktive Hollywood-Namen auf: „Oscar“-Preisträger WILLIAM HURT („Kuß der Spinnenfrau“/1986; hier junge 30); die 1949 in New York City geborene zweifache „Golden Globe“-Preisträgerin und „Alien“-Heldin SIGOURNEY WEAVER („Gorillas im Nebel“ +“Die Waffen der Frauen“/1988); das Energie-Bündel JAMES WOODS („Es war einmal in Amerika“/1984; hier dynamische 33); der kanadische Star CHRISTOPHER PLUMMER (zuletzt „Oscar“-nominiert für seine Rolle als Leo Tolstoi in „Ein russischer Sommer“/2010; hier flotte 51 Jahre jung) sowie „Oscar“-Preisträger MORGAN FREEMAN („Million Dollar Baby“/2005); der am 1. Juni 1937 in Memphis/Tennessee geborene „Chauffeur“ von „Miss Daisy“ ist hier gerade mal 43 und spielt Polizei-Lieutenant.Black („…dürfte leicht zu merken sein“).

Sie alle mischen in diesem vergessenen wie hochinteressanten 80er Jahre Thriller gut mit. Wo es noch „Klopper“ von Video-Recorder gab, mit eingebauter Zeitschaltuhr. Und in dem es um den jungen Hausmeister eines großen, unheimlich „proportionierten“ Hauses in New York geht. Mit Namen Darryl Deever. Der hat seit seiner Rückkehr aus Vietnam nicht richtig „Fuß“ fassen können, ebenso wie sein leicht reizbarer Kumpel Aldo. Mit dessen Schwester Darryl liiert ist. Also putzt er Nacht für Nacht in aller Stille und Gemütsruhe besagtes Geschäftshaus und verzieht sich ansonsten in seine kleine Bude. Die er mit einem schwarzen Hund „unorthodox“ teilt. Darryl ist „verschossen“. In die TV-Journalistin Tony Sokolov. Und eines Tages bekommt er die Chance, DIE auch näher kennenzulernen. Denn in dem Bürohochhaus, in dem Darryl sauber macht, ist ein zwielichtiger asiatischer Geschäftsmann ermordet worden. Und Darryl gibt zu erkennen, dass er WAS gesehen hat. Aber WAS? Die ehrgeizige Tony riecht die „Themen-Lunte“. Und läßt sich mit Darryl ein. Doch was weiß Darryl wirklich? Tatsächlich? Durch seine Andeutungen jedenfalls löst er eine Kette von gefährlichen Ereignissen aus. Lebensbedrohlichen Ereignissen. Die auch mit der Familie der jungen Frau zu tun haben, denn ihre Eltern sowie ihr undurchsichtiger Verlobter gehören einem Kreis von jüdischen Amerikanern an, die Glaubensbrüdern mit großem Aufwand und ebensolchem Geld-Einsatz zur Flucht aus der Sowjetunion in die USA und nach Israel verhelfen.
Eine lange verzwickte, zwielichtige Geschichte. Die zunächst viele Fährten ausbreitet, ohne dass gedanklich „ein Durchkommen“ gewährleistet ist. Dabei bleibt die Kamera in kühler, geduldiger Demonstration, während sich eine Art von geschickte hitchcocksche Suspense-Atmosphäre spannend entwickelt. Mit politischen (80er Jahre-)Zeitzeichen.

Ein exzellenter Damals-Thriller. Fein subtil handgemacht wie optisch brillant. Im Schlussteil phantastisch-originell, mit der Jagd in einem Pferdestall und den vielen aufgescheuchten Tieren. Kameratechnisch geradezu vorzüglich wie einfallsreich. Während das (heute SEHR namhafte) Darsteller-Ensemble glaubhaft mitmischt. „Eyewitness“, so der Originaltitel, ist „was Leckeres“ aus dem besseren Hollywood-Archiv. Von einem Briten inszeniert:
Von PETER YATES, dem am 24. Juli 1929 in Aldershot/Hampshire geborenen Regisseur. Der seine ersten Sporen beim britischen Serien-Fernsehen („Simon Templar“/mit Roger Moore) verdiente. 1967 beeindruckte er mit dem englischen Film „Robbery / Überfall“, der Verfilmung des legendären britischen Postraubs von 1963, Hollywood-Star STEVE McQUEEN. Und kam so zu dem Regie-Auftrag, der seinen Bekanntheitsgrad immens steigerte: Denn ihr gemeinsamer 68er Thriller „BULLITT“ wurde zu einem Genre-/Meilenstein-Klassiker. Diese rd. 10minütige Autoverfolgungsjagd auf den hügeligen Serpentinenstraßen von San Franzisco ist und bleibt unvergessen, einzigartig, grandios. In den folgenden Jahren pendelte Peter Yates zwischen kommerziellen Großproduktionen wie „Die Tiefe“ (mit Jacqueline Bisset, Robert Shaw,Nick Nolte/ 1977); dem Gerichts-Thriller „Suspect – Unter Verdacht“ (mit Cher, Liam Neeson + Dennis Quaid/1987) und Independent-Produktionen wie „Ein ungleiches Paar“ (mit Albert Finney + Tom Courtenay/1983), „Eleni“ (mit John Malkovich + Linda Hunt/1985) und dem Selbstfindungsdrama „Stürmische Begegnung“ (mit Albert Finney/1995).

Warum ich PETER YATES so hervorhebe? Weil dieser neue-alte DVD-Film nicht nur einen soliden Spannungsfilm von ihm wieder hervorbringt, sondern weil sich im BONUS-Material auch ein mitreißend informativer AUDIOKOMMENTAR (mit deutschen Untertiteln) befindet: Der britische Journalist Marcus Hearn sprach mit Peter Yates, während sie sich „Eyewitness“ nochmal gemeinsam komplett ansahen. Über diesen Film bzw. auf die (bekannten) Bilder des Films drauf, aber vor allem auch über die Arbeit und das Werk von Peter Yates. Vor allem über seine kreative, vielschichtige Zusammenarbeit mit dem auch hiesigen Drehbuch-Autoren Steve Tesich (29.9.1942 – 1.7.1996). DIESE begleitende Kommentierung ist außerordentlich unterhaltsam wie cineastisch klasse informativ. Und hört sich mindestens genau spannend, faszinierend, neugierig an wie sich diese filmische Archiv-Entdeckung heute wieder anschaut.
Also ein INSGESAMT-Erlebnis:
„DER AUGENZEUGE“ von Peter Yates – eine in JEDER HinSICHT gelungene DVD-Ausgrabung (= 4 ½ PÖNIs).

Anbieter: „Winklerfilm“.

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