Alles koscher!

ALLES KOSCHER!“ von Josh Appignanesi (GB 2009/2010; 105 Minuten; Start D: 30.06.2011); heißt im Original „The Infidel“, also „Der Ungläubige“, zielt mit dem deutschen Titel auf den deutschen Erfolgsspaß „Alles auf Zucker“ von Dany Levy (2004) und ist eine britische Independent-Produktion von SEHR klugen „multikulturellen Witzbolden“. Drehbuch-Autor ist der 47jährige britische Komiker, Stand-Up-Comedian, Schriftsteller und TV-Moderator DAVID BADDIEL, der sein Skript direkt für den, „auf den“ populären britischen Autor und Komiker OMID DJALILI schrieb. Der am 30. September 1965 im Londoner Stadtteil Chelsea geborene Sohn eines iranischen Reporters und einer britischen Modeschöpferin bezeichnet sich selbst als „Irans einziger Stand-up-Komiker“ und ist in Großbritannien über seine „frechen“ TV-Shows und seine zynischen, treffsicheren wie eindeutig-zweideutigen Pointen-Sprüche sehr populär. Zum Beispiel mit der Comedy-Reihe „The Omid Djalili Show“, die zwischendurch sogar mal bei uns im WDR-Nachtprogramm ausgestrahlt wurde. Der untersetzte, bullige „Bob Hoskins-Typ“ zielt auf „komische“ politische Unkorrektheit. In Sachen Religion, in Sachen zwischenmenschlichem Miteinander, in Sachen „bewusste kulturelle Vorurteile“.

Omid Djalili mimt in „Alles koscher!“ einen liberalen britischen Moslem. Quasi: Integration plus. Mahmud Nasir ist Minibus-Unternehmer, lebt mit Ehefrau und Kinder im bürgerlichen Ambiente. Mag Fußball, Musik(-Clips) und vermag durchaus schon mal anständig wie „unauffällig“ gepflegt zu fluchen. Und besitzt, wie gesagt, eine eher „tolerante“ Einstellung zu seiner Religion. Betet wie vorgeschrieben fünfmal am Tag, wenn er denn dazu kommt. Fastet jeden Tag während des Ramadan, wenn er denn dazu kommt („zählt ja sowieso keiner mit“). Verkörpert sozusagen die pralle Lebenslust. Als überzeugter Moslem. Der die 80er Jahre Popmusik mehr „genießt“ als die Moschee. Und der die aktuellen TV-Berichte über Hassprediger aus dem Nahen Osten lieber wegzappt. Mahmud, ein Gemütsmensch. Der es sich eher „gemütlich-tolerant“ eingerichtet hat. Lebensbejahend.

Dann aber passiert es. Seine Mutter ist gestorben, und beim Aufräumen ihrer Wohnung findet er seine Geburtsurkunde. Als Adoptionsurkunde. Und tatsächlich stellt sich „amtlich“ heraus – Mahmud Nasir heißt in Wirklichkeit Solly Shimshillewitz. Klingt nicht nur „jüdisch“, ER ist nun AUCH ein Jude. Plötzlich. Unverhofft. Mittenmal. Damit beginnt für Mahmud-Solly eine wahre tour de force. Denn gerade jetzt hat sich ein einheimischer fundamentalistischer Hassprediger zuhause angesagt, dessen Tochter Mahmuds Sohn zu ehelichen gedenkt. Beziehungsweise umgekehrt. Die Stiefvater-Prüfung sozusagen. Und da will sich Daddy Mahmud natürlich als „pflichtgemäßer“ wie stets frommer Moslem präsentieren.

Andererseits hat er soeben seinen eigenen jüdischen Papa im Pflegeheim ausgemacht. Doch ein Besuch bei DEM ist an „jüdischen Auflagen“ gebunden. Verlangt ein orthodoxer „Aufpasser“. Also muss sich der nunmehr dauergestresste jüdische Moslem „teilen“. Muss seinen „löblichen Moslem“ ebenso vorführen wie er zugleich „das Jüdische“ sich aneignen will. Um seinen Vater treffen zu können. Bevor der stirbt. Dabei hilft ihm Lenny, ein jüdischer Taxifahrer aus der Nachbarschaft, mit dem Mahmud eine „freundliche Feindschaft“ pflegt. Und DER ihm nun Lektionen in Sachen „Jüdisch-Sein“ vermitteln soll. Und vermittelt. Zum Beispiel, wie man Topol tanzt. Und viele weitere „jüdische Sachen“. „Jüdisches Training“ als köstlich-absurder Stress-Test. Für Solly-Mahmud. Oder umgekehrt.

Ein wunderbarer Film. Weil: Ein frecher Frei-Film. Ein pointierter Radau-Film. Ein herrlich amüsanter Film. In Sachen Attacke gegen religiöse Verbissenheit. In Sachen unchristlichem „Glaubens-Gehorsam“. In Sachen geistiger Abhängigkeit. Samt Folgen. Sprich Heucheleien. Intoleranz.. Aggressionen. In Sachen kulturellem bzw. unkulturellem Miteinander. Dieses platte Freund-Feind-Verhältnis. Schema. In unserem Alltag. Wegen klerikaler „Befindlichkeiten“. Als wenn DIE „den Menschen“ ausmachen. Sollten. „Alles koscher!“ ist eine phantastische Hymne an die Menschlichkeit. An die Toleranz. An Sinn und Verstehen. An Verstand und Verständnis. Im Umgang miteinander. Im Umgang füreinander. Mit viel prallem wie prächtig durchtriebenem Humor. Ohne Rechthaberei. Auf irgendeiner oder für irgendeine „Seite“. Sondern mit intelligentem Pointen-Spaß. Als humanes Plädoyer auf den Ursprung: Das Mensch-Sein. Mit Lieber-Versöhnung als Konflikt. Hass. Krieg. Gegen-Sein.

JOSH APPIGNANESI, Jahrgang 1975, der in Cambridge Anthropologie studiert hat, ist vor fünf Jahren mit seinem Film „Song of Songs“ bekannt geworden, einer mit ganz winzigem Budget gedrehten Studie über die intensive Beziehung zwischen Bruder und Schwester in einer sehr religiösen jüdischen Gemeinde Londons („Bester britischer Film“ beim „Edinburgh Film Festival“). Hier nun liefert er gleich mit seinem zweiten Spielfilm ein Little-Meisterwerk an intelligentem Spaß ab. Was natürlich vor allem an der phantastischen Performance von OMID DJALILI liegt. Diesem Klasse-Streit-Komiker mit dem großen Denk-Herzen und der hin- wie mitreißenden klugen „Schnauze“ (= 4 ½ PÖNIs).

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