ALICE IM WUNDERLAND (2010)

„ALICE IM WUNDERLAND“ von Tim Burton (USA 2008/2009; B: Linda Woolverton; nach Motiven der Romane „Alice im Wunderland“ und „Alice hinter den Spiegeln“ von Lewis Carroll/1865; K: Dariusz Wolski; M: Danny Elfman; 109 Minuten; deutscher Kino-Start: 04.03.2010); dies soll die 25. filmische Adaption des berühmten Kinderbuches von LEWIS CARROLL (*1832-†1898) aus dem Jahr 1865 sein, das bekanntlich 1871 eine Fortsetzung unter dem Titel „Alice hinter den Spiegeln“ erfuhr. Dies erwähne ich deshalb, weil der 51-jährige Tim Burton sein „Alice“-Werk auch mit Motiven aus jenem Fortsetzungsband verbunden hat. Zudem nahm er sich einige eigene, dramaturgische Freiheiten heraus:

In seiner Verfilmung ist das Mädchen Alice aus dem Kleinmädchen-Alter fast hinaus; anstatt „niedliche“ 6 Jahre zu sein, wie damals, als sie sich erstmals im „Untergrund“ aufhielt, befindet sie sich nunmehr im 20. Lebensjahr. Und ist ziemlich taff. Eigentlich soll sie ja einen viktorianischen Lord-Schnösel heiraten, doch dann taucht dieses „weiße Kaninchen mit Weste und Taschenuhr“ auf, was sie abhauen lässt. „Man“ plumpst in das Loch des Kaninchenbaus am großen Baum, hoppla, und befindet sich wieder „unten“. Dort trifft sie alte Bekannte wie die Haselmaus, die Grinsekatze, die sich unsichtbar machen kann, auf die Zwillinge Diedeldum und Diedeldei oder auf den „verrückten Hutmacher“. Doch das skurrile Völkchen hier zweifelt an der Identität von ALICE. „Die ist das doch gar nicht“, muss sich Herr Weißkarnickel alias Mr. McTwisp anhören. Während Alice „dies hier“ für „den üblichen Alptraum“ hält, den sie schon oft geträumt hat und aus dem sie ja gleich erwachen werde. Doch daraus wird nichts, ganz im Gegenteil. Alice wird schließlich doch „vereinnahmt“ und sogleich für den „großen Auftrag“ vorbereitet: Nämlich die böse Rote Königin auszuschalten, indem sie ihren garstigen Monster-Adlaten, Jabberwocky, am Blumertag besiegt. Wie es prophezeit ist. Bevor es aber soweit ist, lernen wir nach und nach die Herrschaften hier, das trickig-komische Mensch-Tier-Personal, näher kennen. Wie die etwas spinnert auftretende, aber offensichtlich nette Weiße Königin (ANNE HATHAWAY), die gute Schwester der bösen Monarchin. Die bekanntlich, ganz Diktatorin, für ihr Leben gerne köpft: „Ich liebe Hinrichtungen am Morgen“. Oder eben jenen überkandidelten, bunt-schräg (oder umgekehrt) ausschauenden Hutmacher, der ein gedanklicher Schussel ist und weiß: „Die besten Leute sind verrückt!“ Im Übrigen dienen Flamingos zum Beispiel als Golfschläger, zusammengerollte Igel als „passender Ball“, während kleine, auf dem Rücken liegende Schweinchen als wärmende Hocker herhalten müssen. Und so weiter, und so fort. Ach so ja, ich vergesse keineswegs zu erwähnen, dass die rote Schurkin über einen zierlichen wie klitzekleinen Körper verfügt, auf dem ein viel zu großer, schrill geschminkter Kopf angebracht ist (HELENA BONHAM CARTER, die Liebste von Tim Burton im realen Leben).

Apropos Schminke & Co.: Der 46-jährige Superstar JOHNNY DEPP, dessen dreimalige Auftritte als Captain Jack Sparrow in den „Fluch der Karibik“-Hits ebenso unvergessen sind wie seine Rollen in Filmen wie „Gilbert Grape – Irgendwo in Iowa“ (1993), „Don Juan DeMarco“ (1995), „Chocolat“ (2000) oder „Wenn Träume fliegen lernen“ (2004), filmte zum bereits 7. Mal mit dem „schrägen“ Regisseur Burton. Dessen Werke wie „Edward mit den Scherenhänden“ (1990), „Batmans Rückkehr“ (1992), „Sleepy Hollow“ (1999) und vor allem „BIG FISH“ (2003; der noch der „endgültigen Entdeckung“ bedarf/s. Kino-KRITIK) Kultcharme besitzen. Hier jedoch, mit geradezu exzentrischem Make-up, großen Kulleraugen und Zahnlücke, wirkt er nur wie ein bekiffter Bruder seiner fabelhaften Willy-Wonka-Figur aus „Charlie und die Schokoladenfabrik“ von 2005. Seltsam uninspiriert. Was möglicherweise auch daran liegt, dass der Film mit nur/in nur drei begehbaren Kulissen für leibhaftige Schauspieler entstand, während 2.500 Szenen am Computer gewerkelt wurden. So bleibt „Seele“ auf der Strecke. Wie zum Beispiel NICHT bei der bekannten Zeichentrickversion aus dem Haus Walt Disney von 1951; dort bekam der chaotische Nonsens-Humor von Lewis Carroll viel Platz und besaß außerordentlichen Einfallsreichtum. Tim Burtons Adaption dagegen sieht sich wie eine freundliche Auftragsarbeit für „Walt Disney Pictures“ an: mit viel Rummelplatz-Gedöns, urigen Effekten und einem unnötigen wie faden, zugesetzten 3D-„Schmaus“. (Der Film wurde erst „normal“ produziert, bevor er – nach dem gigantischen „Avatar“-Erfolg – auf 3D „aufgemöbelt“ wurde; was aber „folgen = wirkungslos“ bleibt). Den surrealen, überdrehten Original-Spaß des berühmten Kinderbuchklassikers, mit „um die Ecke gedachter Poesie“, gibt es hier nur ansatzweise. Dieser heutigen Spaß-Ausgabe von „Folge dem weißen Kaninchen“-Fantasy fehlt, bei aller Opulenz, der wahre Anarcho-Charme. Und der Kampf mit Old-Jabber schließlich, na ja, der übliche Grusel von der Hau-Drauf-Fecht-Stange. Und für kleine Interessenten zu schaurig, wenn auch ziemlich kurz. Alice schließlich, gespielt von der polnischstämmigen 20-jährigen Australierin MIA WASIKOWSKA (Nebenrolle in „Unbeugsam – Defiance“), ist eine eher „herbe Type“ mit einigem modernen femininen Selbstbewusstsein. Ganz okay, aber auch nicht „aus dem Sessel hauend“. Allerdings – diese tückisch-liebenswerte GRINSEKATZE dagegen, DIE hat mir schon SEHR gefallen…

Was also bleibt, sind die berühmten Fakten (für „Wer wird Millionär“ beispielsweise): Das Buch erschien erstmals am 4. Juli 1865; im Jahre 1998 wurden für eine Erstausgabe sagenhafte 1,5 Millionen Dollar anlässlich einer Versteigerung bezahlt (damit ist „Alice im Wunderland“ das teuerste Kinderbuch aller Zeiten); 1903 entstand der 1. „Alice“-Kinofilm (von Cecil Hepworth); ROBERT DE NIRO sagt als verstörter Taxifahrer Travis Bickle in dem 76er Scorsese-Meisterwerk „Taxi Driver“ das Gedicht von „Humpty Dumpty“ auf; im Francoise-Truffaut-Film „Fahrenheit 451“ aus dem Jahr 1966 ist „Alice im Wunderland“ eines jener Bücher, die von Bücherliebhabern vor der Auslöschung durch die Regierung beschützt bleiben. So betrachtet – Tim Burton hätte (s)einen „besseren Gag-Wahnsinn“ zelebrieren sollen als diese sympathische, brav-emanzipatorische, irgendwie routiniert wirkende Nett-Bunt-ALICE-Trickserei (= 3 ½ PÖNIs).

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