ALGEBRA IN LOVE

PÖNIs: (4/5)

Der Typ wird in diesen Tagen 61 Jahre jung (geboren am 25. Januar 1952 in Washington, D.C.), kommt jetzt erst mit seinem insgesamt vierten Film heraus, bei uns gleich als Heimkino-Angebot, und zählt dennoch zu den Filmkünstlern, die international hochgeschätzt sind. Das hat – auch – gleich mit seinem allerersten Spielfilm zu tun, „METROPOLITAN“, 1990 hierzulande mit dem Zusatztitel „Verdammt, bourgeois, verliebt“ herausgekommen, für den WHIT STILLMAN eine „Oscar“-Nominierung für das „Beste Drehbuch“ bekam und den „Independent Spirit Award“ für den „Besten Erstlingsfilm“ erhielt. Eine mit unterschwelliger Ironie begleitete US-Jugendstudie um existentielle Lebensbedingungen und Sinnfragen. 1995 folgte der ironische Gesprächsfilm „Barcelona“; 1999 dann das gesellschaftliche US-Zeitbild „The Last Days of Disco“ (mit Chloe Sevigny + Kate Beckinsale).

In seinem vierten Spielfilm nähert sich der eigenwillige Weltansichtsbetrachter Whit Stillman, wieder als Co-Produzent, Drehbuch-Autor und Regisseur unterwegs, einem Woody Allen. Auch sein viertes Filmprodukt ist nichts für Schnellseher, Leichtgläubige, Bilderramscher. Vielmehr ist hier ein amüsantes Konzentrieren, der Spaß an Worten, Wortverbindungen, Wortbedeutungen, überhaupt an ironisch-durchtriebener Sprache verlangt. „Handlung“ entsteht hier durch „komische“, also urige, also originelle neurotische Uni-Mädels und über ihre eigenartige „Benutzung“, Handhabung von „bedeutungsvoller Sinn-Sprache“. Als stimmungsvolles Lebenselixier und als eine Art „Test-Ab- und Bestimmung“ fürs künftige Erwachsenen-Leben. Kompliziert? Keineswegs. Vielmehr intelligent „anders“:

„ALGEBRA IN LOVE“ von Whit Stillman (Co-Pr.; B + R; USA 2011; K: Doug Emmett; M: Mark Suozzo; 95 Minuten; Heimkino-Veröffentlichung: 10.01.2013).

„Damsels in Distress“, also „Maiden im Kummer“, blickt auf Violet (GRETA GERWIG). Und auf die von ihr angeführte wie „abgehobene“ wie zutiefst kuriose und charmante Mädels-Clique. An der Sevenoaks Universität. Anstatt sich nur um ihren eigenen Murks und Erfolg zu kümmern, beschreiten die drei schmucken wie verschrobenen Girls einen „anderen Weg“: DEN der Nächstenhilfe nämlich. Eine Form von „Jugendsozialdienst“. Indem sie sich auf ihre persönlichen Uni-Fahnen geschrieben haben, für mehr Stil, vor allem aber bessere Gerüche, also männliche Körperpflege, und für weniger Selbstmorde an der Uni zu kämpfen. Gerade haben sie sich „Erstling“ Lily (hinreißend, ein talentierter weiblicher Charmebolzen: ANALEIGH TIPTON) angenommen. Und weisen sie bei der ersten Party sogleich auf ihr notwendiges wie wichtiges soziales Engagement hin und ein: „Hier ist so viel Material, wir könnten das ganze Leben mit Sozialarbeit verbringen“. Was sich trocken anhört wie das beknackte Tun von überdrehten Neurosenfräuleins, entwickelt sich als scharfsinnig-ulkige Betrachtung und Begleitung von eigenwilligen, aber hochinteressant „ausgespielten“ US-Demnächst-Ladies. Und ihren „kompakten Erläuterungen“ zum Allgemein- und Überhaupt-Leben. Mit andauernd „über-sortierten“ Sätzen, pointierten Gedanken, linkischen Überlegungen und exzentrischen Folgerungen. Whit Stillman lässt sie süffisant lamentieren, überzogen klugscheißern, „ernsthaft-komisch“ laut konstatieren. Schlüsse ziehen, Regeln aufstellen, Meinungen meinen. Jungs, wenn sie denn mitmischen dürfen, zeigen sich eher als deppert oder „hoch“-deppert (= natürlich, er heißt Xavier, ist Franzose und strebt als „Katharer“ eine spezielle Lebensform und eine ebensolche „begründete“ Geschlechtsakt-Ausübung an; die Amis und ihre Franzosenliebe). Jedenfalls haben die Gut-Girls rund um die Uhr mit ihrem vielen Helfen, dem dauernden Gutes-Tun bzw. Wollen und ihren ständigen Bemühungen „gegen Unglück und Scheitern“ viel zu schaffen. Beziehungsweise sich und anderen, also auch uns, viel Erstaunliches aus Sinn und Unsinn zu erklären. Um diese dann auch sie „voll treffenden“ Liebes-Nöte Zum Beispiel. („Er lügt, ich finde das äußerst attraktiv“.)

Schräg. Natürlich. Aber auch wunderbar denk-bar. Vielsagend zum Schmunzeln. Wenn sich alles zweideutig anhört. Verbal bewegt. Klein, handlich, „lieb“ steht auf meinem Protokollzettel. Emotional prickelnd. Sagenhaft bezaubernd. Im höchsten Denk-Maße anmaßend. Als wort- wie geistreiche Verbal-Slapstick. Mit weiteren thematischen Fußnoten wie Francois Truffaut, einer Anti-Selbstmord-Seife, nicht existierenden Strategieentwicklungsfirmen und der Abschlussarbeit mit dem fröhlichen Thema: „Niedergang der Dekadenz“. Ach so ja, getanzt und gesungen wird dann auch noch. Erst mit frischen Erinnerungen an Fred Astaire, dann mit der Erfindung eines neuen Tanzes. Mit Limbo-Charakter.

SIE ist BESONDERS: die GRETA GERWIG. In diesem Jahr wird sie 30, wirkt aber hier wie ein verhupftes Teenie-Huhn. Mit einer körpersprachlichen „Antenne“, die einen ebenso an- wie „verrückt“ macht. Wie Greta Gerwig ihre „saubere“ Flachschuh-Tölpelin – mit vollem Ernst – mimisch, sprachlich und „läuferisch“ verblüffend durchzieht, ist die volle Betrachtung wert. Erstmals tauchte sie in dem Berlinale-Film „Greenberg“ von Noah Baumbach und neben Ben Stiller 2009 auf (s. Kino-KRITIK). Als junge Haushälterin, die von einer Karriere als Sängerin träumt. Kritiker A. O. Scott pries damals in der „New York Times“ genau DAS, was ich heute bei ihrer Erscheinung und in ihrem Part hier spüre: Als „maßgebliche Leinwandheldin ihrer Generation“ scheine sie in einigen Szenen gar nicht zu spielen. Sondern „ihre transparente Darstellung“ würde weniger auf eine ausgefeilte Technik und vielmehr „vom Fehlen jeglicher Methode“ herrühren. Stimmig wie stimmungsdoll.

Greta Gerwig, die in New York lebt und zu deren Vorbildern die britische Schauspielerin und Drehbuch-Autorin Emma Thompson zählt, trat danach noch – weitgehend unerkannt – im letzten Woody Allen-Streich „To Rome With Love“ auf (s. Kino-KRITIK). Jetzt ist sie, dank „Damsels in Distress“/“Algebra in Love“, auf einem guten Weg, spannend bekannt zu werden. Die Neugier auf ihre nächsten Filme ist geweckt. Ganz stark. Ist auch diese köstliche Hip-Hop-Campus-Komödie, die sich, lt. „Stern“ (3/2013) anfühlt „wie ein Film von Woody Allen nach einer Frischzellenkur“. Whit Stillmann sollte bald mal wieder filmisch loslegen. Weitermachen. Wir warten (= 4 PÖNIs).

Anbieter: „Sony Pictures Home Entertainment“.

Teilen mit: