127 HOURS

PÖNIs: (4/5)

„127 HOURS“ von Danny Boyle (Co-B + R; USA/GB 2010; Co-B: Simon Beaufoy; K: Anthony Dod Mantel, Enrique Chediak; M: A. R. Rahman: 93 Minuten; deutscher Kino-Start: 17.02.2011); der heute 54-jährige Brite zählt zu den spannendsten Filmemachern der Gegenwart. Hat mit (vergleichsweise) „kleinen Movies“ wie „Kleine Morde unter Freunden“ („Shallow Grave“/Debüt 1994), natürlich „TRAINSPOTTING“ (1996, mit Ewan McGregors Aufstieg), „28 Days Later“ (2002; mit digitalen Mini DV-Kameras gedreht) sowie dem 8-fachen „Oscar“-Werk „SLUMDOG MILLIONÄR“ (2008; darunter auch einer für den Regisseur) viel Neugier, Aufmerksamkeit und Lob verdient eingeheimst. Auch mit seinem neuesten Film sorgte er für viel Aufregung: Unter der Überschrift „Überlebens-Horror“ und der Titel-Unterzeile „Danny Boyle schockt Zuschauer beim Filmfestival Toronto“ hieß es in der „Süddeutschen Zeitung“ am 23. September 2010: „Drei Ohnmachten, ein epileptischer Anfall und viele panische Saalfluchten – so lautet die Bilanz der ersten Publikumsvorstellung von Danny Boyles ‘127 Hours‘ auf dem Filmfestival Toronto“. Was sich so „grausam“ anhört, ist beileibe kein dauer-blutrünstiges Horrorfilm-Szenario, sondern der – einzig mögliche – folgerichtige Schluss eines mächtigen Films mit dem Lieblingsthema von Danny Boyle: Überleben bzw. die Strategie des Überleben-Wollens. Von Menschen. Hier: von einem einzigen Menschen.

DER heißt ARON RALSTON, und DER existiert wirklich. Dieser schlaksige über 1 Meter 80-Typ ist am 27. Oktober 1975 in Indianapolis geboren und geriet vor fast 8 Jahren weltweit in die Schlagzeilen. Als Bergsteiger/Extremkletterer. Als er bei einem Solo-Ausflug in der Wildnis von Utah, präzise – im dortigen Nationalpark – in den Blue John Canyon kletterte, wo ihm ein abstürzender Felsbrocken auf den rechten Arm rollt. In einer kleinen, abgelegenen Schlucht. Es ist der 26. April 2003, es ist ein Freitag-Nachmittag. Aron (JAMES FRANCO) ist alleine losgedüst. Hat niemanden vorher informiert, was er vorhat, wohin er will. Für die nächsten Stunden und Tage ist er nun eingeklemmt, eingesperrt. Natürlich gibt es hier keinen Handy-Empfang. Natürlich ist es aussichtslos, auf Hilfe zu hoffen. Dass ihn jemand lebend findet, erscheint unwahrscheinlich. In dieser endlosen Wüstenlandschaft und Stein-Welt. Diverse Bemühungen, seine Hand aus dem Felsblock herauszubekommen, scheitern. Aron Ralston sitzt fest. „Felsenfest“. Kann mit der linken Hand seine Utensilien wie Rest-Wasser, ein Taschenmesser, eine Taschenlampe und seine kleine Video-Kamera bedienen. Friert nachts entsetzlich, während er zwischen Sich-Mut-Machen und Resignation herumfiebert. Fängt an zu halluzinieren. Erinnert sich. An die beiden Mädels, denen er unterwegs begegnete und die ihn auf eine Fete am nächsten Abend einluden. An die Eltern, die Freunde. Formuliert für die Kamera letzte Botschaften. Und kommt dann zu DER, trifft dann DIE Entscheidung. Die ihm das (schmerzhafte) Überleben sichert: Selbst-Amputation des Unterarms.

Spielfilme mit einer Person als Hauptakteur und an einem einzigen Ort sind extrem herausfordernd. Ungewöhnlich. Aber hochinteressant. Wie kürzlich „Buried – Lebend begraben“ von Rodrigo Cortés (mit RYAN REYNOLDS). Wo ein US-Soldat eingebuddelt in einem Holzsarg unter irakischer Erde liegt und verbal ums Überleben kämpft. Und wie hier. Wo ein sportlich-dynamischer Bursche in maßloser Selbstüberschätzung „gegen die Natur“ antritt und – beinahe – verliert. Erfahrungen sind das Ergebnis negativer Erlebnisse: Aron Ralston und sein „früher Lebens-Alptraum“.

Der 44-jährige britische Drehbuh-Autor SIMON BEAUFOY hat mit Danny Boyle schon beim „Slumdog Millionär“-Hit mitgeschrieben und dafür auch einen „Oscar“ bekommen („Bestes adaptierte Drehbuch“). Hier haben die Beiden wieder zusammengearbeitet, was ihnen sogleich auch wieder „Oscar“-Nominierungen einbrachte; insgesamt wurde „127 Hours“ für 6 „Oscars“ nominiert. Natürlich auch für den 31-jährigen kalifornischen Schauspieler JAMES FRANCO, Hollywoods neuem Sonnyboy. Der 2001 in dem amerikanischen TV-Biopic „James Dean“ von Mark Rydell den legendären Leinwandmimen so überzeugend spielte, dass er mit dem „Golden Globe Award“ ausgezeichnet wurde und seine Karriere durchstarten konnte. In den „Spider Man“-Folgefilmen 2 + 3 war er Harry Osborne, der Gegenspieler des fliegenden Helden. Weitere beachtliche Auftritte folgten in „Im Tal von Elah“ (neben Tommy Lee Jones), vor allem in „Milk“ (als Liebhaber von Sean Penn), in „Howl“ (wo er den Dichter Allen Ginsberg verkörperte). Ende des Monats wird James Franco gemeinsam mit seiner Kollegin Anne Hathaway die 83. „Oscarverleihung“ moderieren. Hier nun liefert er, zusammen mit Inszenator und „vehementem“ Schnitt-Impresario Danny Boyle, eine grandiose Performance ab. Jederzeit packend, berührend, beeindruckend, nahegehend. NachFÜHLbar. Mit viel emotionaler Wucht. Ohne dumm und dämlich, übertrieben oder plump „heldenhaft“ zu wirken. Ganz im Gegenteil, diese 93 Minuten laufen durch wie ein Erlebnisfilm mit Adrenalinschüben bester Spannungsklasse. Als Psycho-Kick mit existenzialistischen Seelen-Gedanken. Was würde man selbst … hätte man den Mut, die Überwindung … wie überhaupt … abgesichert-schön-risikolos leben wir eigentlich … und wie „speziell“ wichtig, bedeutsam, einmalig ist eigentlich der eigene Körper.

Wie formulierte es Danny Boyle neulich bei einem Interview: „127 Hours“ ist ein Actionfilm, in dem der Held sich nicht bewegt. Klasse (= 4 PÖNIs).

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